Textilpflege Marwitz

Lüneburger Traditionswäscherei: Seit 200 Jahren krisensicher

| Lesedauer: 7 Minuten
Martina Berliner
Das Waschhaus in der Lüneburger Fein- und Hauswäscherei im Jahr 1927.

Das Waschhaus in der Lüneburger Fein- und Hauswäscherei im Jahr 1927.

Foto: DBL Marwitz

Der Familienbetrieb Marwitz behauptet sich gegen das Unternehmenssterben – in sechster Generation. Was die Textilpfleger richtig machen.

Lüneburg. Hemden, Hosen, Jacken, Schürzen, Schutzwesten, Blaumänner schweben in schier endlosen Reihen vorbei. Sie stoppen, verharren, fahren wieder an, um je nach Farbe, Materialbeschaffenheit und Zustand auf verschiedenen Schienen weiter zu gleiten. Was wie von Geisterhand bewegt wirkt, ist von modernster Technik gesteuert. Insgesamt 14.500 Teile werden täglich im Industriebetrieb im Lüneburger Hafen bearbeitet. Es läuft bei der Marwitz Textilpflege GmbH, im doppelten Sinne.

Zwischen Nordseeküste und westlichem Berliner Umland wird bei 2500 gewerblichen Kunden schmutzige Miet-Berufskleidung eingesammelt, gewaschen, getrocknet, geglättet, bei Bedarf repariert oder ausgetauscht und wieder ausgeliefert. Marwitz in Lüneburg ist seit 1972 Partner der DBL, der Deutsche Berufskleider-Leasing GmbH, einem Verbund aus rechtlich unabhängigen, wirtschaftlich selbstständigen mittelständischen Anbietern der textilen Mietbranche.

Marwitz in Lüneburg heute: Industrielle Wäscherei und Kleidervermietung

Bei Marwitz läuft das Geschäft so reibungslos wie die elektronisch gelenkten Kleiderbügel. Stetig wächst der jährliche Umsatz um drei bis fünf Prozent. 147 Angestellte sorgen derzeit dafür, dass 50.000 Personen der verschiedensten Branchen bei der Arbeit stets korrekt, sauber und sicher gekleidet sind: Köchinnen, Verkäuferinnen, Monteure, Straßenbauer, Müllmänner.

Die Firma Marwitz, gegründet 1823 von Christian Marwitz und derzeit in sechster Generation von Dirk Hischemöller, dessen Schwester Katrin Perczynski und ihrem Ehemann Thomas Perczynski geführt, ist ein Paradebeispiel erfolgreichen Unternehmertums. Beharrlichkeit, Mut, Innovationsbereitschaft, Überzeugungskraft, familiärer Zusammenhalt, berufliches Engagement auch der Frauen sowie Offenheit und Fairness gegenüber Kunden und Mitarbeitern waren und sind Voraussetzungen fürs Bestehen auch in Notzeiten.

Offene Türen und Transparenz gehören zur Unternehmensphilosophie

Ob nach dem frühen Tod des Gründers, beim Großbrand, in Kriegen, Wirtschaftskrisen, bei technischen Umbrüchen oder Fachkräftemangel – immer wieder hat die Familie aus eigener Kraft Wege aus dem Dilemma gefunden und beschritten. Angesichts des zweihundertjährigen Bestehens und des Wandels von der Ratzeburger Tuchmacherei und Färberei über die Lüneburger Wäscherei bis zum Industriebetrieb für Textilpflege sind die Strategien verblüffend zeitlos.

Überzeugungsarbeit durch Transparenz spielt früh eine große Rolle. Schon in den 1880er Jahren veranstalten die Söhne des Gründers Führungen durch ihre Ratzeburger Weberei. Deren Nachfolger laden Anfang des 20. Jahrhunderts zur Besichtigung ihrer Dampf-, Wasch- und Badeanstalt ein. Das Ziel: Gewinnung neuer Kunden und Mitarbeiter. Ganz genauso macht es DBL Marwitz in Lüneburg heute. Schulklassen, Vereine, Kunden und auch Mitbewerber dürfen vor Ort Einblick nehmen.

200 Jahre Geschichte auf Youtube: Neues Medium für eine alte Idee

Bereits 1927 nutzt die dritte Generation Marwitz das neue Medium Film für sich. In den Kinos läuft ein Minuten langer Werbespot, der die Arbeit in der Lüneburger Wäscherei und Chemischen Reinigung zeigt. Heute findet man auf Youtube drei kurze Dokumentarfilme über die lange und wechselvolle Firmen-Geschichte. Während der Corona Pandemie wird sogar eine digitale Betriebsbesichtigung von DBL Marwitz entwickelt.

Hier ist der erste Teil der Firmenhistorie bei Youtube:

Innovations-, Investitions- und Risikobereitschaft sind von je her groß. Schon die Ratzeburger Weberei arbeitet mit modernsten Webstühlen. Nach dem verheerenden Großbrand von 1906 wechselt Marwitz die Branche, weil Wäschereien, so die Hoffnung, weniger durch Feuer gefährdet sind. 1919 schreckt die Unternehmerfamilie auch vor einer Betriebsverlagerung nach Lüneburg nicht zurück, verspricht doch die wachsende Garnisonsstadt mehr Kundschaft.

1960er Jahre: Die Waschmaschine für zu Hause sorgt für große Krise

Der Siegeszug der Haushaltswaschmaschine in den 1960er Jahren beschert der auf Privatkunden ausgerichteten Wäscherei enorme Umsatzeinbrüche. So wagt die vierte Generation einen neuerlichen Kurswechsel. 1972 erfolgt der Beitritt zum Verbund DBL und damit der Schritt zum Industriebetrieb. Der Start mit der damals ganz jungen Dienstleistung der Mietberufsbekleidung erfordert nicht nur viel Kapital, sondern persönlichen Einsatz. Auch von Generation fünf. „Mein Vater hat morgens in der Wäscherei gearbeitet und nachmittags Kunden akquiriert“, erinnert sich Katrin Perczynski.

Sie selbst, ihr Mann und ihr Bruder leben und arbeiten ebenfalls mit Überzeugung, Stolz und Freude für die Firma. Und das aktuelle Führungstrio investiert weiter mutig in die Zukunft. Zuletzt flossen etwa sieben Millionen Euro in noch modernere Technik, die die Abläufe noch effizienter und nachhaltiger macht.

Wäscherei-Wasser fürs Schwimmbad: Marwitz und die Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit und Effizienz ist bei Marwitz von jeher wichtig. So wird bereits im Jahr 1907 der Wäscherei eine Badeanstalt angegliedert, weil heißes Wasser ohnehin vorhanden ist. Und man wirbt bereits damals damit, keine scharfen Laugen zu verwenden. Heute werden die Waschmittel bei Marwitz selbst aus mehreren Komponenten gemischt, damit wirklich nur diejenigen Substanzen enthalten sind, die zur Säuberung des jeweiligen Gewebetyps nötig sind.

Zur Abwasseraufbereitung werden kohlendioxidhaltige Abgase der Dampferzeugung zur Neutralisierung der Seifenlauge genutzt. Und damit ausgediente oder nicht mehr benötigte Kleidung nicht zu Müll wird, tüftelt man bei Marwitz derzeit in Kooperation mit anderen Firmen an Recycling-Lösungen.

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Das Wohl der Angestellten steht stets im Fokus. Immer schon haben die Inhaber von Marwitz selbst kräftig mit angepackt. Und auch heute stellen sich die Führungskräfte zuweilen für einige Zeit an jeden einzelnen Arbeitsplatz, um eine Vorstellung von der Leistung ihrer Mitarbeiter zu haben und ihnen den entsprechenden Respekt zu zollen.

Denn trotz Automatisierung, trotz mancher Erleichterung durch noch bessere Maschinen – es bleibt beim Sortieren, Aufbügeln, Waschen, Kontrollieren, Reparieren, Umbügeln, an der Faltmaschine, bei Abholung und Lieferung viel anstrengende Handarbeit zu verrichten. Deshalb kommt zweimal jährlich der Sportwissenschaftler Jürgen Rappard, um den Angestellten im individuellen Gespräch Tipps zur Gesundheitsförderung zu geben.

Familien-Nachfolge im Blick: Geht Marwitz in die siebte Generation?

Das größte Entgegenkommen den Mitarbeitern gegenüber ist Marwitz‘ Verzicht auf Schichtarbeit. Obwohl die Maschinen rund um die Uhr produktiv sein könnten, stehen sie vom Nachmittag bis in den frühen Morgen still, an Wochenenden sowieso. Die regelmäßigen Arbeitszeiten ermöglichen ein Familienleben neben dem Job und machen Marwitz als Arbeitgeber attraktiv, in Zeiten des Fachkräftemangels von immenser Wichtigkeit.

Ebenso entscheidend ist die Unternehmensnachfolge. Derzeit ist noch ungewiss, ob eine siebte Generation an den Start gehen wird, um die Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Tochter und Sohn von Katrin und Thomas Perczynski sowie die beiden Töchter von Dirk Hischemöller und seiner Frau sind noch in der Berufsfindungsphase. „Wir üben keinen Druck aus und beraten lediglich, wenn Interesse besteht“, sagt Katrin Perczynski. Sie wirkt aber zuversichtlich, dass das bald der Fall sein könnte.