Demonstration in Niedersachsen

Mit Singen und Klatschen gegen die Neonazis

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abendblatt.de

Eine jüdische Gemeinde feiert Sabbat, während Rechtsextreme vorüber ziehen. Bis 2030 haben sie ihre „Trauermärsche" bereits angemeldet.

Bad Nenndorf. Mit Israel-Fahnen und bunten Wimpeln sind die Gebetsräume der jüdischen Gemeinde in der Bad Nenndorfer Bahnhofstraße heute geschmückt. Als die Neonazis kommen, stehen die Gemeindemitglieder und ihre Gäste an der Straße und empfangen sie mit Musik. Laut singen sie „Havenu schalom alechem“ und klatschen in die Hände. Die Demonstranten blicken eisern und kalt zu ihnen herüber. Es scheint, als überrasche sie dieser Friedensgruß. Die Neonazis haben weiße Hemden an, laute Parolen skandieren sie nicht – ein „Trauermarsch“ soll der Zug durch die Innenstadt zum Wincklerbad sein. Entlang der Strecke lesen die Demonstranten oft, dass sie nicht erwünscht sind. „Bunt statt braun!“ ist mit bunter Kreide immer wieder auf den Asphalt gemalt.

Die Sabattfeier der Gemeinde muss an diesem Samstag unter Polizeischutz stattfinden. Rund 100 Juden zählen zu ihren Mitgliedern. Seit vergangenem September nutzen die Gläubigen die Räume in der Bahnhofstraße, sagt die Gemeindevorsitzende Marina Jalowaja. Es sei ein gutes Gefühl, dass heute so viele Menschen auf die Straße gingen, um gegen Rechts ihr Gesicht zu zeigen. Sie kann nicht nachvollziehen, dass es in dem Land, in dem sich der Holocaust ereignete, wieder Nazis gibt. Angst hat sie nicht. „Die mussten damals die Menschen haben, dass sie verfolgt oder ermordet werden. Das ist heute in Deutschland glücklicherweise undenkbar“, sagt Jalowaja.

Als Gäste beobachten Martina Spiekermann und Gisela Howell den Vorbeizug an der Gemeinde mit Erschrecken und Tränen in den Augen: „Die Demonstranten haben das selbe Alter wie meine Kinder“, sagt Spiekermann. Es sei sicherlich schwer, die jungen Menschen wieder zurück zu gewinnen für die offene, demokratische Gesellschaft. „Wenn ich könnte, ich würde das Wincklerbad einfach abreißen“, sagt Spiekermann. Dann wäre den Nazis zumindest ihr Pilgerziel genommen. „Verbote bringen wahrscheinlich nichts“, sagt Howell. „Die Märsche sind ein Ventil“, meint sie, „der Druck muss doch raus.“ Wenn die Neonazis nicht mehr nach Nenndorf kämen, dann fänden ihre Aufmärsche eben woanders statt.

Insgesamt 40 Christen aus der ganzen hannoverschen Landeskirche zählen heute zu den Gästen der jüdischen Gemeinde. „Allerdings stimmt es mich traurig, von der Polizei mit dem Bus durch die abgesperrten Straßenzüge zur Synagoge chauffiert worden zu sein“, sagt Gemeindeglied Ralf Schönbeck. Ähnlich sieht es auch Erdmuthe Steinmüller. Sie fühlt sich dem Staat Israel verbunden und engagiert sich gegen das Vergessen. „Durch die Bibel weiß ich, dass wir alle zusammen gehören“, sagt die 62-jährige Schwester. Sie ist Novizin und erst vor drei Jahren Nonne geworden. Seitdem ermutigt sie Menschen, Gedenkstätten von Konzentrationslagern zu besuchen. „Christen müssen Zeichen setzten, sich einmischen – und das gehe nur mit Wissen über die Vergangenheit“, sagt sie.

Unterdessen zieht der Aufmarsch der Neonazis weiter zum Wincklerbad, dem Ziel ihres „Trauermarsches“. Heute wird es von der Kurverwaltung genutzt. Von 1945 bis 1947 hatte das britische Militär hier führende Nationalsozialisten inhaftiert. In dieser Zeit soll es auch zu Folterungen gekommen sein. Heute sollen die Misshandlungen den Nazis als Anlass dienen, die Deutschen als „Opfer“ darzustellen, die Kriegsschuld zu relativieren, kritisieren die Gegner der Aufmärsche.

Auch in den kommenden Jahren werden wohl Rechtsextremisten durch den Ort ziehen. Bis 2030 haben sie die „Trauermärsche“ bereits angemeldet. Falls sie bis dahin nicht verboten sind, wird auch der Protest weitergehen. „Wir müssen doch zeigen, dass die Nazis hier nicht willkommen sind“, sagt Gisela Howell und bekommt Zustimmung von vielen, die den Nazi-Aufmarsch vor der jüdischen Gemeinde miterlebt haben. „Vielleicht merken die Rechten das ja auch irgendwann“, sagt sie. (epd/abendblatt.de)

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