Ohne Winde wären unsere Städte Lebensfeindlich, und die Welt der Pflanzen und Tiere sähe anders aus.

Der Orkan "Xynthia", der am 28. Februar über weite Teile Deutschlands brauste, gehört zu den stärksten Stürmen der vergangenen 20 Jahre und hat allein in Frankreich 53 Menschen getötet, in Deutschland starben sieben. In den Pyrenäen am Berg Pic du Midi de Bigorre wütete der Sturm mit mindestens 237 km/h schnellen Windstößen. Sturmtiefs wie "Xynthia" oder im Jahr 2007 "Kyrill" (47 Tote) sind es, die Klimatologen in Mitteleuropa für immer wahrscheinlicher halten, wenn das Weltklima sich weiter erwärmt - im schlimmsten von Uno-Klimaforschern angenommenen Fall um 5,8 Grad bis 2100.

Weil die Menschheit den natürlichen Treibhauseffekt durch klimaschädliche Emissionen fördert, steckt sie mehr Energie in die Wettermaschine. Deren Brennstoff ist Wärme. Durch den Klimawandel werden sich die Gegensätze zwischen tropischer Warmluft und polarer Kaltluft - und damit das Luftdruckgefälle - wahrscheinlich verschärfen. Die Folge: kräftigere Winde.

Gar keinen Wind gibt es nur selten. Zwar mussten Segelschiffe bis zum Aufkommen des Dampfantriebs vielerorts mit Windstille rechnen. Der Name "Rossbreiten" für die beiden windarmen Gürtel zwischen 25 und 35 Grad nördlicher und südlicher Breite erinnert sogar an die Gefahren des drögen Dümpelns auf hoher See. Beim tage- oder wochenlangen Liegen vor Madagaskar faulte in den Fässern das Wasser; im Notfall verspeisten hungernde Seeleute auch Pferde.

Selbst in den Rossbreiten indes bewegt sich die Luft - nur meist als träger Fallwind von oben nach unten, was Segel schlaff durchhängen lässt. Warum es fast überall und ständig wenigstens etwas windet, erklärt der Meteorologe Hans Häckel: "Bläst man einen Luftballon auf und verschließt ihn nicht sofort, strömt die Luft wieder heraus", sagt der 68-jährige Häckel, der jahrelang die Agrarmeteorologische Beratungs- und Forschungsstelle des Deutschen Wetterdienstes in Weihenstephan leitete. "Im Ballon ist der Druck größer als außerhalb, und dieser Überdruck presst die Luft heraus."

Eben das ist Wind. "Er entsteht immer dann, wenn an zwei Orten unterschiedlicher Luftdruck herrscht", und weht so lange, "bis sich die Luftdruckgegensätze ausgeglichen haben", so der Wetterfachmann. Beim Orkantief "Jeanett" betrug der Temperaturunterschied über 2000 Kilometer 14 Grad - doppelt so viel wie normal. Auch für moderne Zeitgenossen hat der Wind laut Häckel "einen Rest seines unheimlichen Wesens behalten".

Doch Winde haben auch gute Seiten, nicht nur aus Sicht von Surfern, Seglern und Lenkdrachen-Freunden: Unsere überhitzten, an Pflanzen armen Städte wären sommers unerträglich, würden Winde nicht ihr Klima verbessern.

Ohne Wind wären die Städte lebensfeindlicher, und die Welt der Tiere und Pflanzen sähe anders aus. Wenn Stürme Bäume oder Wälder entwurzeln, wenn sie Wildfeuer vor sich hertreiben und Sandberge auftürmen, wo vorher Savannen sprossen, dann zerstören sie - aber schaffen auch Neues: Lebensraum, der besiedelt werden kann. Manchmal sorgt die Natur auch für eine zusätzliche Spielwiese des Lebens: Unter Getöse bilden sich Vulkaninseln, und sobald das Magma erstarrt, fliegen Insekten und Pflanzensamen heran.

Die knapp drei Quadratkilometer große Vulkaninsel Surtsey, gut 30 Kilometer südlich von Island, entstand im November 1963. Was sich auf derart jungfräulichen Eilanden abspielt, untersuchen beispielsweise Biogeografen, Spezialisten für die Besiedlung von Neuland. "Das erste Lebewesen, was auf Surtsey ankam, war eine Zuckmücke, und zwar am 14. Mai 1964", sagt der Biogeograf Paul Müller, bis 2006 Professor an der Universität Trier. Im Jahr darauf folgte ein Schmetterling. Bis zum Jahr 1968 registrierten Wissenschaftler 70 Gliedertier-Arten, darunter 43 Fliegenarten., aber auch Spinnen; außerdem wurden 32 Landalgen-Arten herangepustet. Ohne die Hilfe des Windes hätten die Neubewohner "keine Chance" gehabt, urteilt Müller; einige der herangewehten Insekten gehörten sogar zu flugunfähigen Arten.

Doch nicht nur als Verdrifter von Kleinstgetier helfen Winde der Natur auf die Sprünge - auch als Bestäuber und Samenverbreiter. Die Fallschirmchen des Löwenzahns ("Pusteblume") hätten in einer windlosen Welt ebenso wenig Sinn wie die Samen tragenden Steppenhexen - jenes Gesträuch, das sich bei Wind von seinem im Boden verankerten Teilen trennt und nach Müllers Worten "wie eine Kugel über die Prärie saust".

Manche Tiere und Pflanzen haben unter dem Druck des Windes auch ihre Gestalt verändert. Um durch Luftzug nicht zu viel Wasser zu verdunsten und so zu verdorren, haben Pflanzen wie das Federgras ihre Spaltöffnungen an die Blattunterseite verlegt und rollen die Blätter ein. "So schaffen sie einen Hohlraum, in dem fast Windstille herrscht, und vermindern ihren Wasserverlust", sagt Werner Nachtigall, der bis 2002 als Professor für Biologie mit dem Schwerpunkt Technische Biologie und Bionik an der Universität Saarbrücken lehrte.

Seit alters her nutzt schließlich auch der Mensch die Kraft bewegter Luft - mit Mühlen und Windrädern.