Berlin. Auch bei Hobbysportlern sind bunte Kinesiotapes beliebt. Sie sollen Verletzungen vorbeugen und Schmerzen lindern. Was Studien sagen.

Nicht nur Profisportler, sondern auch viele Hobbyathletinnen und -athleten kennen das Problem: Mal zwickt die Wade, ein Muskel wird überlastet oder die Schulter ist nach der letzten Trainingseinheit verspannt. Beim Heilungsprozess werden die lädierten Stellen mit speziellen Pflastern beklebt, die in verschiedenen Farben leuchten – Blau, Pink oder Grün. Kinesiotapes.

Sie sollen Schmerzen lindern, Verspannungen lösen und sogar der ein oder anderen Verletzung vorbeugen. In der Physiotherapie kommen sie daher häufig zum Einsatz.

Kinesiotapes: Woher stammen die therapeutischen Klebebänder?

In Deutschland sind die elastischen Bänder im Trend. Sah man sie früher vor allem bei Profifußballern, zieren sie mittlerweile auch die Körper derjenigen, die ab und an im Park laufen gehen. Ihre Geschichte reicht bis in die 1970er-Jahre zurück. Damals wurden sie vom japanischen Chiropraktiker Kenzo Kase entwickelt und patentiert.

Heute bestehen Kinesiotapes aus Baumwolle, ein Acrylkleber fixiert sie auf der Haut. Die Pflaster lassen sich auf 130 bis 180 Prozent ihrer Länge dehnen. Sie sind wasserfest, können beim Baden und Duschen getragen werden. Nach ein paar Tagen lösen sie sich meist von allein. Doch wie sehr können die Tapes bei Schmerzen tatsächlich helfen?

Klebebänder gegen Schulter- und Knieschmerzen: Daten aus 23 Studien

Die Stiftung Warentest hat unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse zum Nutzen der Bänder bei Schulter- und Rückenbeschwerden sowie Knieproblemen ausgewertet. Die Studienlage sei „noch nicht sehr belastbar“, informiert die Verbraucherorganisation. Dennoch gebe es einzelne Hinweise, dass die Klebebänder durchaus einen positiven Effekt haben.

Zu den berücksichtigten Studien gehört eine Untersuchung der Cochrane Collaboration, die im Sommer 2021 veröffentlicht wurde. Die Ärztinnen und Wissenschaftler des globalen Forschungsnetzwerks analysierten Daten aus 23 Studien mit insgesamt 1054 Personen mit Schulterschmerzen.

Rund die Hälfte der Teilnehmenden hatte eine Kinesiotape-Behandlung erhalten. Die anderen bekamen Physiotherapie oder sogenannte Schein-Tapes, die extra falsch aufgeklebt wurden. Korrekt angebrachte Stretchbänder können die Funktionsfähigkeit und Beweglichkeit der Schulter verbessern – jedoch nur um etwa zehn Prozent, resümierte das Cochrane-Netzwerk.

Dass die Bänder auch bei Rückenschmerzen einen „gewissen günstigen Effekt“ auf die Bewegungsfähigkeit haben können, ergab eine 2019 erschienene Auswertung der Chongqing Medical University in China. Ein Jahr später stellte die Mekelle University in Äthiopien fest, dass Kinesiotapes bei Kniearthrose, einem schmerzhaften Verschleiß des Gelenks, vermutlich zu verbesserten Gelenkfunktionen führen können. Auch sollen die Pflaster die Schmerzen im Knie zumindest mildern.

Wirkung von Kinesiotapes nicht wissenschaftlich belegt

Anders fällt die Bewertung aus, wenn es um die angeblichen wundersamen Eigenschaften der Pflaster geht. So wird ihnen nachgesagt, die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Wer die Tapes verwendet, sollte sich davon aber nicht allzu viel versprechen. Die University of Mississippi hat die vermeintlichen Wunderkräfte der Bänder bereits vor einigen Jahren widerlegt. Auch interessant: Nackenstützkissen im Test: Welches für guten Schlaf sorgt

Trotz der Analysen falle eine „Interpretation der Ergebnisse“ schwer, teilt Stiftung Warentest mit. Denn die ausgewertete Studienübersicht habe nur eine geringe Zahl an Teilnehmenden berücksichtigt und weise an manchen Stellen methodische Schwächen auf. Anhand der Resultate werde aber gezeigt, dass der Einsatz von Kinesiotapes „punktuell günstige Effekte“ habe.

Dennoch sollten Trainierende keine Wunder erwarten. Vielmehr hätten die Tapes einen kognitiven Effekt: Weil man die beklebte Region beim Sport verstärkt wahrnehme, schone man sie eher und belaste sie weniger. Ob die Pflaster wirklich vor Schmerzen und Sportverletzungen schützen, sei aber weiterhin unklar.

In einigen Fällen rät die Organisation vom Tragen der Bänder auch ab – etwa bei Hautentzündungen.

Fachgerecht beklebt: Gerade am Anfang sollten Menschen mit Beschwerden die Tapes lieber von Profis auftragen lassen.
Fachgerecht beklebt: Gerade am Anfang sollten Menschen mit Beschwerden die Tapes lieber von Profis auftragen lassen. © iStockphoto | iStockphoto/Ika84

Kinesiotapes gegen Verletzungen: Das sagt ein Charité-Sportmediziner

Auch für Jan Pohlmann, Sportmediziner an der Berliner Charité, ist die Studienlage wenig aussagekräftig – und die Wirksamkeit der Tapes wissenschaftlich nach wie vor fraglich. Pohlmann: „Es hat sich gezeigt, dass die alleinige Therapie mit Kinesiotapes bezüglich Rehabilitation und Prävention von Verletzungen eher keine ausreichende Maßnahme darstellt.“ Lesen Sie auch: E-Bike und Co.: Das sind die Fahrrad-Trends für 2022

In Kombination mit anderen physiotherapeutischen Maßnahmen können die Klebestreifen aber als „möglicher Baustein im Therapiekonzept“ eingesetzt werden. Daher kommt es vor, dass er und seine Kollegen die Tapes als zusätzliche Behandlungsmethode einsetzen. Das hänge jedoch auch immer von der individuellen Therapie eines Patienten ab.

Gesundheitliche Risiken sind – abgesehen von etwa allergischen Hautreaktionen auf den Klebstoff – nicht bekannt. Bevor man aber die Tapes eigenständig auf den Körper klebt, sollten Verbraucher sich von Fachleuten, wie Physiotherapeuten, schulen lassen, rät Pohlmann. Auch interessant: Dr. Google? Das sollte man bei Netz-Suche nach Symptomen beachten

Farbe bei Kinesiotapes vor allem Geschmackssache

Welche Farben die Bänder haben, spielt dabei keine Rolle. Von den Materialeigenschaften sind alle Tapes gleich.

Ihr Erfinder Kenzo Kase verwendete erst beige Töne. Irgendwann beschwerte sich ein Schulmädchen bei ihm, dass ihr die Farbe nicht gefalle, und Kase änderte die Produktion. Seitdem gibt es sie von Schwarz bis Pink.

Kinesiotapes: Kleben oder kleben lassen?

Mit etwas Übung und einer gewissen Routine ist es durchaus möglich, Kinesiotapes selbst am eigenen Körper aufzubringen. Auf Videoplattformen wie Youtube findet man auch Anleitungen. Lesen Sie auch: Hanteltraining für Einsteiger: So halten sich Anfänger fit

Kommt man aber, wie etwa am Rücken, nicht an die Körperstelle heran oder ist noch unsicher, kann man die Klebebänder auch von einem Physiotherapeuten anbringen lassen, der in der Regel bewährte Techniken kennt. Sonst bringen auch Masseure, Ärztinnen oder Heilpraktiker, die sich entsprechend fortgebildet haben, die Kinesiotapes fachgerecht auf.

Eine Tape-Anwendung bei Fachleuten kostet laut Stiftung Warentest je nach Umfang um die 15 Euro. Krankenkassen erstatten die Kosten in der Regel nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de.