Berlin. Anziehen, Essen, Schlafen: Manchmal will das Kind nicht so wie die Eltern. Was dann klüger ist, als laut zu werden – Tipps für Eltern.

Kinder wollen, dass Eltern wenig schimpfen, schreien, drohen. Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder sie nicht auf die Palme bringen. Beiden kann geholfen werden, sagt Nicola Schmidt. Die Wissenschaftsjournalistin und Bestsellerautorin ist Befürworterin einer gewaltfreien Kommunikation in der Erziehung.

„Schimpfen funktioniert einfach nicht, das ist vielfach in wissenschaftlichen Studien belegt worden“, sagt Schmidt. Weder Schreien noch Strafen halte Kinder davon ab, Verbotenes zu tun. Vielmehr würden sie dadurch lernen, negatives Verhalten zu verbergen oder darüber zu lügen. Darüber hinaus hätten Studien der Universität von Montreal belegt, dass Schimpfen im Gehirn der Kinder ähnliche Spuren hinterlasse wie Schläge.

Erziehen ohne Schimpfen: Was Eltern wissen sollten

Was aber, wenn Sohn oder Tochter nicht hören wollen, Unsinn machen und gutes Zureden nicht hilft? Viele Eltern befürchten, ohne Schimpfen tyrannische oder verwöhnte Kinder heranzuziehen, die einem auf der Nase herumtanzen. Schmidt rät dann zu Sanftmut und Achtsamkeit – auch gegen sich selbst.

„Eltern müssen freundlich zu sich selbst sein und mit Herz und Verstand an die Erziehung herangehen. Dafür, dass Kinder mich nicht ernst nehmen, wenn ich nicht streng und äußerst konsequent bin, gibt es keine wissenschaftliche Grundlage“, erklärt Schmidt. Die Forschung zeige vielmehr, dass eine Erziehung, die das Kind respektiere, kooperative und teamfähige Menschen hervorbringe.

Dass Eltern immer tun müssten, was ihre Kinder wollten, sei damit nicht gemeint. Mutter und Vater müssten und könnten nicht alle Bedürfnisse erfüllen, sollten aber die Kinder immer anhören und ihnen signalisieren, dass sie ihre Bedürfnisse verstehen und ernst nehmen.

Dahinter steht der Gedanke: Es sind immer die Eltern, die Verantwortung für das Verhalten ihrer Kinder tragen. Für Schmidt sei es die Aufgabe der Eltern, die Kinder dazu zu bringen, kooperieren zu können. „Wenn Kinder nur etwas tun, weil es von ihnen verlangt wird, tun sie es zwar, lassen es aber sofort wieder bleiben, wenn der Druck weg ist.“ Der Nutzen fürs Leben: null.

Gewaltfreie Kommunikation mit dem Kind: Das ist oberste Devise

Die oberste Prämisse der gewaltfreien Kommunikation in der Erziehung lautet: Schreien Sie Ihr Kind nicht an – auch wenn es ein Desaster hinterlassen hat, etwa auf der Terrasse im Garten. Anstatt laut „Was für eine Schweinerei, wie konntest du nur?“ zu sagen, sei es besser ruhig zu bleiben: „Ihr hattet Spaß beim Matschen, aber jetzt haben wir eine Menge Arbeit, die Sauerei wieder wegzumachen. Ich will, dass ihr nächstes Mal im Garten matscht, nicht auf meiner Terrasse.“ Wenn Eltern ihre eigenen Gefühle ausdrücken könnten, lerne das Kind Empathie.

Was für den Umgang mit den Kindern gilt, gelte ebenso in der Beziehung der Eltern. „Es nützt nichts, den Kindern Harmonie zu predigen und dann den Partner oder die Partnerin anzuschreien“, so Schmidt. Kinder hätten feine Antennen für Stimmungen und lernten durch Nachahmung. Je entspannter und glücklicher die Eltern, desto harmonischer die Familie, desto kooperativer die Kinder.

Auf Augenhöhe mit dem Kind: Nicola Schmidt rät, sich für Fehler zu entschuldigen.
Auf Augenhöhe mit dem Kind: Nicola Schmidt rät, sich für Fehler zu entschuldigen. © iStock | istock

Klare Regeln setzen und eigene Fehler zugeben

Gleichzeitig gelte: Kinder brauchen Regeln. Klare, konkrete Regeln, formuliert in einfacher Sprache: „Sagen Sie bei Tisch nicht ,Benimm dich!‘. Das ist zu abstrakt, kein Kind kann sich darunter etwas vorstellen. Sagen Sie stattdessen: „Setz dich jetzt bitte ruhig auf deinen Platz und iss mit der Gabel“, so die Autorin.

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Auch Eltern können nicht über Nacht Gewohnheiten ablegen. Schon gar nicht, wenn sie selbst unter Druck stehen – etwa durch Zeitdruck oder Ärger. Es kommt also vor, dass Eltern ab und an aus der Haut fahren. Dann ist es Schmidt zufolge das Beste, vom Thron der unfehlbaren Mama oder des allwissenden Papas herunterzusteigen und Fehler zuzugeben.

So lernten Kinder, dass Fehler kein Beinbruch seien, und würden diese Verhaltensweise übernehmen. „Begeben Sie sich dazu auf Augenhöhe mit dem Kind und suchen Körperkontakt. So signalisieren Sie dem Kind, dass Sie es ernst nehmen“, erklärt Schmidt.

Erziehen ohne Schimpfen: Ganz viel Übung und Geduld

Am Anfang sei gewaltfreie Kommunikation eine große Herausforderung, sagt auch Kathy Weber, Familienberaterin und Trainerin für gewaltfreie Kommunikation. „Es bedarf ganz viel Übung und ganz viel Geduld.“ Fundamental wichtig dafür ist aus Webers Sicht: bedingungslose Liebe. Die 41-Jährige erlebt häufig, dass Eltern das Gefühl haben, ohne Zwang und Drohungen funktioniere Erziehung nicht. „Es fehlt an Vertrauen, dass Menschen Dinge freiwillig tun“, sagt sie.

Zudem sei es für relativ viele Menschen schwer, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren. „Weil wir es häufig nicht gelernt haben“, sagt Weber. Sie ist davon überzeugt, dass es aber jeder Mensch lernen kann.

Kind und Eltern: Zwei Bedürfnisse – ein Kompromiss

Und was, wenn etwa Kind und Elternteil ihre Bedürfnisse formuliert haben und diese sich völlig entgegenstehen? „Die Vision ist, dass wir Lösungen finden, mit denen alle mit ihren Bedürfnissen gesehen und diese bestmöglich erfüllt werden“, erklärt sie.

Beispiel Zähneputzen: Das Kind hat das Bedürfnis, etwas anderes zu machen. Mama oder Papa wollen das Zähneputzen schnell erledigt sehen. Ein Kompromiss könne sein: Man sucht gemeinsam ein Lied aus, das während des Zähneputzens läuft.

Gewaltfrei kommunizieren in vier Schritten

Wie ein kommunikativer Umgang zwischen Menschen ohne Gewalt gelingen kann, dazu hat der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg (1934 bis 2015) ein Handlungskonzept entwickelt. Im Mittelpunkt von Rosenbergs Ansatz steht die Annahme, dass dem menschlichen Handeln der Wunsch zugrunde liegt, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Diese stehen oft in Konkurrenz zu den Bedürfnissen anderer.

Zu einer kommunikativen Lösung gelangt man demnach nur dann, wenn man seinem Gegenüber empathisch begegnet – und nicht gleich bewertet und urteilt. Dafür gibt einem Rosenberg vier Schritte an die Hand:

  1. Wertfrei beobachten.
  2. Die eigenen Gefühle wahrnehmen und äußern.
  3. Das eigene Bedürfnis erkennen und äußern.
  4. Eine Bitte formulieren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de.