Berlin. Landrat Holger Heymann sieht die ländliche Struktur als Grund, warum es im Kreis Wittmund nur wenige neue Corona-Infektionen gibt.

In Deutschland steigen die Infektionszahlen mit dem Coronavirus rasant an. Fast 200 Landkreise und Städte haben den Wert von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten und gelten damit als Hotspots. Im niedersächsischen Landkreis Wittmund in Ostfriesland hingegen lag die Sieben-Tage-Inzidenz bis zum Mittwoch bei 0.

Erst am Donnerstagmittag wurde eine Corona-Neuinfektion in Wittmund gemeldet, am Freitag kamen drei weitere Fälle hinzu. Im Deutschland-Vergleich steht der Landkreis dennoch sehr gut da. Doch warum schlagen sich die ländliche Nordsee-Region und ihre rund 57.000 Einwohner in der Pandemie bisher so wacker? Ein Anruf bei Landrat Holger Heymann (SPD).

Herr Heymann, Ihr Landkreis war bis zum Mittwoch der einzige in Deutschland ohne eine Corona-Neuinfektion in der vergangenen Woche. Was machen Sie besser als alle anderen?

Holger Heymann: Dass das Infektionsgeschehen bei uns so niedrig ist, das hat nicht unmittelbar mit der Arbeit unseres Gesundheitsamtes zu tun. Das ist eine Momentaufnahme. Ich glaube aber, dass die ländlichen Strukturen bei uns dafür verantwortlich sind, dass wir gut dastehen.

Was meinen Sie damit?

Holger Heymann (SPD) ist der Landrat von Wittmund.
Holger Heymann (SPD) ist der Landrat von Wittmund. © Landkreis WIttmund | Pressestelle

Heymann: Bei uns im Landkreis gibt es kein riesiges Industrieunternehmen. Es gibt bei uns auch kaum überdimensionale Hotel- und Bettenburgen. Die Touristen, die zu uns kommen, sind zum größten Teil in kleinen Ferienwohnungen untergebracht. Die meisten Menschen wohnen hier in Einfamilienhäusern im Grünen, es gibt nur vereinzelt ein paar Mehrfamilienhäuser. Was mir aber besonders wichtig erscheint: Es gibt bei uns keine Schlachthöfe und es gibt so gut wie keine Diskothek bei uns. Für die Jugendlichen ist das, was die Diskotheken angeht, natürlich schade. Aber in Pandemie-Zeiten ist es ein positiver Punkt.

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Und die Leute haben stattdessen nicht privat gefeiert?

Heymann: Nein, die Bevölkerung hier hat sich sehr vorbildlich verhalten. Wir haben keine größeren Verstöße feststellen können in den vergangenen Wochen. Wir kontrollieren schon, auch mit der Polizei zusammen, aber wir haben keine größeren Familienfeiern oder große Hochzeitsfeiern festgestellt, von denen Gefahr ausgehen könnte. Das bedeutet wiederum, dass ein großer Dank der hiesigen Bevölkerung gilt.

Spielt denn da auch eine Rolle, dass Ihre Gegend in Ostfriesland nicht so dicht besiedelt ist?

Heymann: Es gibt hier wenige Einwohner auf viel Fläche. Man hat auf jeden Fall die Möglichkeit vor die Tür in die unberührte Natur zu gehen, ohne auch nur in den nächsten Kilometern einer anderen Person zu begegnen. Vielleicht ist das schon auch ein Vorteil gegenüber Ballungszentren.

Haben Sie irgendwelche Regeln, die andere nicht haben?

Heymann: Nein. Wir haben aktuell gar keine gültige Allgemeinverfügung – also keine eigenen Regeln für den Landkreis. Wir orientieren uns zurzeit lediglich an der Verordnung des Landes Niedersachsen. Das würden wir natürlich anders bewerten, wenn der Inzidenz-Wert auch bei uns höher liegen würde.

Ihre Region lebt vom Tourismus. Kommen aktuell noch Urlauber? Wollen Sie überhaupt welche gerade?

Heymann: Urlauber sind bei uns immer willkommen! Wir haben auch den Eindruck, dass sich die Touristen sehr gut an die Spielregeln halten. Die Touristen-Zahlen übersteigen jedes Jahr die Zahl der Einwohner um ein Vielfaches. Wir erleben sogar, dass in diesem Jahr noch mehr Urlauber kommen, weil viele sagen, dass sie sie nicht ins Ausland fliegen möchten. Und zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen kommen viele Menschen, die sagen, ich muss mal raus – und dann kommen sie zu uns. Darüber freuen wir uns natürlich.