Berlin. Neue Drohungen gegen Cem Özdemir zeigen: Aus Ablehnung wird in Deutschland immer öfter blanker Hass. Dagegen müssen wir alle einstehen.

Wer die öffentliche Bühne sucht, sollte robust sein. Schrille Kritik, Häme, ja sogar Anfeindungen müssen bis zu einem bestimmten Punkt ausgehalten werden. Das gilt für Politiker, Künstler, auch für Journalisten. Aber es ist wichtig, eine klare Grenze zu definieren. Und zwar die Grenze, ab der Kritik zur Bedrohung wird und aus Ablehnung blanker Hass. Ab der eingeschüchtert oder mundtot gemacht werden soll.

Diese wichtige Trennlinie wird in Deutschland immer öfter überschritten. Der brutale Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin und der mutmaßlich rechtsextreme Mord am Regierungspräsidenten von Kassel sind nur die grausamen Extreme einer Entwicklung, die unaufhaltsam scheint und Angst macht. Immer mehr Politiker – auch in den Regionen – berichten von Drohungen oder fühlen sich zunehmend unsicher.

Jetzt bedroht ein rechtes Terrornetzwerk aus den USA den bekannten Grünen-Politiker Cem Özdemir. Die Gruppe muss man ernst nehmen, mehrere Tötungen sollen schon auf ihr Konto gehen. Özdemir wird bereits seit längerer Zeit von allen möglichen Extremisten bedroht und muss beschützt werden. Die jüngste Morddrohung ist wegen des Absenders – ein gewalttätiges rechtes Netzwerk – besonders ernst zu nehmen.

Die deutsche Justiz hat manche Chance vergeben

Es ist mutig von Cem Özdemir, damit an die breite Öffentlichkeit zu gehen, und er tut das einzig Richtige mit diesem Schritt. Das Thema Gewalt und Drohungen gegen Vertreter einer freien, demokratischen Gesellschaft gehören auf die Tagesordnung von uns allen. Es darf nicht zwischen den Aktendeckeln von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz verschwinden. Die ganze Gesellschaft ist aufgerufen, sich ganz schnell Gedanken zu machen. Sie muss sich fragen: Wie konnten wir so weit kommen? Was müssen wir tun, damit aus Ablehnung nicht Hass und aus Hass nicht Gewalt wird?

Ein Kommentar von Jörg Quoos, Chefredakteur unserer Zentralredaktion.
Ein Kommentar von Jörg Quoos, Chefredakteur unserer Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki | Dirk Bruniecki

Für gewaltbereite Täter kann es nur eine Antwort geben: die volle Härte des Rechtsstaats und seiner Organe. Wer mit Gewalt droht, muss mit scharfen Sanktionen rechnen. So was ist kein Kavaliersdelikt. Leider hat die Justiz manche Chance zu dieser klaren Ansage vergeben. Es war eine deutsche Staatsanwaltschaft, die es hinnehmbar fand, dass Pegida-Demonstranten symbolische Galgen für Regierungsmitglieder durch die Straßen tragen. Wen wundert es ernsthaft, wenn bei einem solchen Rechtsverständnis immer mehr Hemmschwellen fallen? Und auch die, die mit Worten der Gewalt den Weg ebnen, müssen benannt werden.

AfD ruft zur Jagd auf – und jetzt drohen Nazis, Beute zu machen

Seit Jahren wird die Sprache in der Politik martialischer. „Wir werden Frau Merkel jagen“, sagte AfD-Chef Gauland vor johlenden Anhängern in der Nacht nach der letzten Bundestagswahl. Der AfD-Bundestagskandidat Nicolaus Fest tönte auf einer Parteiveranstaltung: „Wir sind da, um Frau Merkel zu erlegen!“

„Wir werden die Rechten dieser Welt vereinen und dafür sorgen, dass Abschaum wie Sie gejagt und erschossen wird ...“, schrieb das Terrornetzwerk „Atomwaffen Division Deutschland“ vor wenigen Tagen in einer Todesdrohung an Cem Özdemir. Die E-Mail war an ihn persönlich in seinem Bundestagsbüro gerichtet. Eine größere Kampfansage an die Demokratie kann es nicht geben.

Ja, die AfD hat mit dieser konkreten Morddrohung wohl nichts zu tun. Wer aber zur „Jagd“ aufruft, muss damit rechnen, dass sich echte Jäger aufgerufen fühlen, Beute zu machen. Daher ist eine Mäßigung in der Sprache und respektvoller Umgang im öffentlichen Diskurs der erste Schritt, um eine Eskalation von Gewalt zu verhindern.

Es wird höchste Zeit, zu diesen ungeschriebenen Regeln unserer Gesellschaft zurückzukehren.