Berlin. Washington im Juni 1963. Robert H. Lochner kann sich an jene denkwürdige Deutschstunde im Weißen Haus gut erinnern. Ein paar leichte Sätze hatte er John F. Kennedy auf einen Zettel geschrieben - zum Üben, was der amerikanische Präsident auch brav tat. "Es war fuuurcht-bar", sagt Lochner. Dass Kennedy wenig später, am 26. Juni, vor dem Schöneberger Rathaus dann doch fehlerfrei sein berühmtes "Ich bin ein Berliner" ausrief, ist nicht zuletzt ein Verdienst des Übersetzers. Der ist heute - 40 Jahre später - 84 Jahre alt und lebt in einer Altbauwohnung in Berlin. Lochner ist recht rüstig. Dreimal pro Woche geht er zum Faustball, einmal spielt er mit anderen Amerikanern Tennis. Gepflegt sieht er aus, mit seinem grauen Anzug, den Manschettenknöpfen und dem frisch gestärkten Hemd. Der gebürtige New Yorker kann sich gut an früher erinnern, an den Kalten Krieg, seine Arbeit als Journalist und als Übersetzer für die Alliierten. Er hat sie alle kennen gelernt: Den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, Kennedys Berlin-Beauftragten General Lucius D. Clay, den damaligen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt - und Kennedy. Lochner selbst ist ein "Berliner unter dem Sternenbanner", so hat er seine Biografie genannt. Er kommt aus einer Familie, die im 19. Jahrhundert von Nürnberg nach Amerika auswanderte, den Kontakt zur alten Heimat aber nie ganz abreißen ließ. Bob wuchs in Berlin auf. Die Liebe zum Journalismus hat er vom Vater, der bei der US-Nachrichtenagentur AP arbeitete. Die Zweisprachigkeit kam ihm in seiner Karriere immer wieder zugute. Er war lange Jahre Intendant des RIAS, des Rundfunks im amerikanischen Sektor, und Clays Übersetzer. Und der empfahl ihn schließlich für die Kennedy-Visite nach Washington weiter. Es war ein schöner Sommertag, als der 35. Präsident der USA, damals 46 Jahre alt, nach Berlin kam. Anlass war der 15. Jahrestag der Luftbrücke. Zuvor besuchte Kennedy Köln, Bonn und Frankfurt, aber nirgendwo war der Empfang so begeistert wie in der geteilten Stadt, dem Inbegriff des Kalten Krieges. Zweimal blickte der Amerikaner auf die Mauer, am Brandenburger Tor, das von der DDR demonstrativ mit Fahnen verhängt worden war, und am Checkpoint Charlie. An dem Ausländerübergang setzte er seinen Fuß dicht an die Markierung der Sektorengrenze. Einige Ost-Berliner winkten verstohlen. Im Westen jubelten Hunderttausende Kennedy zu, warfen Konfetti und schwenkten Fähnchen. Lochner saß im Fond des offenen Wagens, der den hohen Besuch durch Berlin fuhr. Auf dem Weg zum Rathaus Schöneberg sprach ihn Kennedy an, er möge ihm doch den deutschen Satz "Ich bin ein Berliner" notieren. Lochner hatte kein Papier dabei und kramte kurzerhand im Rathaus im Schreibtisch von Willy Brandt. "Dann haben wir an einer halbwegs ruhigen Fensterecke geübt. Das sei sein ganzer Beitrag gewesen, meint Lochner bescheiden. Die historische Rede selbst übernahm der Dolmetscher von Konrad Adenauer, Heinz Weber. Die Menschen vor dem Rathaus waren wie entfesselt. Der gut aussehende, charismatische Mann am Rednerpult, der sich immer wieder in die vom Wind zerzausten Haare griff, zog die Menge in seinen Bann. Einige Berliner waren sogar auf die Dächer geklettert, um den Präsidenten zu sehen. Dann fiel der berühmte Satz, der auf dem Manuskript so geschrieben ist, dass ihn ein Amerikaner gut aussprechen kann: "Ish bin ine bear-LEAN-ar." Der Jubel war ohrenbetäubend. Kennedy war nach der Rede noch ganz benommen von der Begeisterung. Jahrzehnte danach werden die Bilder immer wieder zu sehen sein, als die Mauer fällt und sich Millionen Deutsche im Freudentaumel in den Armen liegen. Die vier berühmten Worte stammen von Kennedy selbst, nicht von einem seiner Redenschreiber. "Sie gehören zu den gelungensten Sätzen politischer Rhetorik der amerikanischen Außenpolitik des 20. Jahrhunderts, ja der Moderne überhaupt", wie der Harvard-Historiker Andreas Daum in seinem Buch "Kennedy in Berlin" schreibt. Oft wird der Satz aus dem Zusammenhang gerissen. Die Menschen vor 2000 Jahren seien stolz gewesen, Bürger Roms zu sein, rief Kennedy in die Menge. Heute sei es das Stolzeste, sich in der freien Welt als Berliner zu bekennen. Am Ende sagt er: "Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt West-Berlin. Deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner." So heißt es im Wortlaut des Übersetzers. Die 1961 errichtete Mauer nannte Kennedy "die abscheulichste und stärkste Demonstration über das Versagen des kommunistischen Systems. Sie schlägt nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sie schlägt der Menschlichkeit ins Gesicht." Fünf Monate später erschütterte die Nachricht vom Tod Kennedys die Welt. Nirgendwo sei die Trauer so groß gewesen wie in Berlin, meint Lochner. Er war an jenem 22. November 1963 gerade im Offiziersclub Harnack House, als die Empfangsdame ihm von dem Attentat erzählte. Lochner machte sich schnell auf den Weg zu seinem Sender. Willy Brandt rief die Berliner dazu auf, Kerzen in die Fenster zu stellen. "Als ich nach Hause fuhr, hatte ich das Gefühl, dass ich Hunderttausende von Kerzen gesehen habe", erinnert sich Lochner. Kennedy und die alliierte Schutzmacht sind noch 40 Jahre später in Berlin allgegenwärtig. Das Manuskript der berühmten Rede ersteigerte der Senat 1978 für 8000 Dollar in New York. Der Platz vor dem Schöneberger Rathaus, eine Schule und ein Institut der Freien Universität sind nach Kennedy benannt. Einrichtungen wie die American Academy oder das Aspen Institut bringen viele Amerikaner in die Stadt, darunter Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller. (dpa)
- Zum Jahrestag der Kennedy-Rede eröffnet heute eine Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums (bis 13. Oktober).
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