Kriminalität

Bund und Länder verteidigen Sicherungsverwahrung

| Lesedauer: 3 Minuten
abendblatt.de

Für die Justiziministerin ist sie gerechter als "generell lange Strafen". Das Hamburger Gericht bestätigt verlängerte Sicherungsverwahrung.

Karlsruhe. Vertreter von Bund und Ländern haben vor dem Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter verteidigt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte in Karlsruhe, die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine Haftstrafe sei im Einzelfall gerechter als generell extrem lange Haftstrafen zu verhängen.

Das Verfahren gegen die inzwischen geänderten Regelungen haben vier Straftäter ins Rollen gebracht. Sie wehren sich gegen die rückwirkende Verlängerung der früher auf zehn Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung sowie gegen die Möglichkeit, dass Sicherungsverwahrung auch noch kurz vor Haftende nachträglich angeordnet werden konnte. Die Sicherungsverwahrung ist als sogenannte Maßregel nach deutschem Recht keine Strafe, sondern dient zum präventiven Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Rückfalltätern. Die Dauer der Sicherungsverwahrung muss alle zwei Jahre von Gerichten überprüft werden.

Die Kläger berufen sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der die deutschen Regelungen 2009 als menschenrechtswidrig kritisiert hatte. Begründung: Die Sicherungsverwahrung unterscheide sich kaum von der Strafhaft, ihre nachträgliche Verlängerung oder Anordnung sei daher als doppelte Bestrafung verboten. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle deutete in seiner Einführung allerdings an, dass die umstrittenen Regelungen trotz des EGMR-Urteils Bestand haben könnten. Die Sicherungsverwahrung sei bei richtiger Ausgestaltung die „notwenige“ Ergänzung „des liberalen deutschen Strafrechts mit im internationalen Vergleich eher geringen Strafaussprüchen“, sagte Voßkuhle.

Ähnlich äußerte sich die Bundesjustizministerin. Sicherungsverwahrung sei keine Strafe sondern diene dem Schutz potenzieller Opfer vor weiterhin hochgefährlichen Tätern, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Dieses zweigleisige Konzept ermögliche eine „hohe Einzelfallgerechtigkeit“ und sei im internationalen Vergleich sehr erfolgreich.

Ihr Vertreter, der Rechtsgelehrte Eckhart Müller, stützte diesen Aspekt mit einer Reihe von Zahlen: Demnach verbüßten in Frankreich 2008 rund 8700 Täter eine Haftstrafe von mehr als zehn Jahren bis lebenslänglich, in Italien waren es 6300 und in Großbritannien rund 16.000. In Deutschland gab es dagegen in dieser Gruppe nur 2900 Häftlinge sowie 448 weitere Täter in Sicherungsverwahrung. Die Sicherungsverwahrung sei insoweit keine zusätzliche Strafe. Ähnlich äußerte sich die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) und der Justizminister Nordrhein-Westfalens Thomas Kutschaty (SPD).

Demgegenüber verwies der Klägervertreter Jörg Kinzig auf Entscheidungen des höchsten Schweizer Bundesgerichts und des französischen Verfassungsrats. Auch nach deren Auffassung falle die nachträgliche Sicherungsverwahrung wegen ihrer Nähe zur Strafe unter das Rückwirkungsverbot. Voßkuhle sagte mit Blick auf das Straßburger Urteil allerdings, dass sich die Bundesrepublik zwar völkerrechtlich verpflichtet habe, die Europäische Menschenrechtskonvention zu beachten. Die Konvention habe aber nur den Rang eines einfachen Bundesrechts und könne Bindungen des Grundgesetzes „nicht beseitigen“. Voßkuhle wies in diesem Zusammenhang auf die vom „Grundgesetz ebenfalls geschützten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“ hin. Das Hamburger Oberlandesgericht hat die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung am Dienstag auch in sogenannten Altfällen als zulässig erachtet. Ein wegen Totschlags verurteilter 60-Jähriger hatte Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts vom Dezember 2010 eingereicht, wonach seine 1993 angeordnete Sicherungsverwahrung nachträglich verlängert wurde. Das Gericht begründete das mit der anhaltenden Gefährlichkeit des 60-Jährigen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2009 verstößt die nachträgliche Verlängerung jedoch gegen die Menschenrechte. Der Hamburger Gerichtssenat hat das Verfahren dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Die Sicherungsverwahrung beschäftigt seit Dienstag auch das Bundesverfassungsgericht. (dpa/AFP)

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Deutschland