Vizepräsidentin des Europaparlaments, Silvana Koch-Mehrin, über die deutsche Politik unter Kanzlerin Merkel - und die EU als Vorbild.

Hamburg. Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP), hat eine Ausländerquote für deutsche Behörden gefordert. "Eine Quote für Migranten in der öffentlichen Verwaltung kann dazu beitragen, dass mehr qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland kommen", sagte Koch-Mehrin dem Abendblatt.

Die Europapolitikerin verwies auf eine entsprechende Initiative im Europäischen Parlament. Dort sollen "massive Anreize" gesetzt werden, um Verwaltungsangestellte unterschiedlicher Herkunft und Religion sowie unterschiedlichen Geschlechts anzulocken. "Auf meinen Vorschlag sind auch ausdrücklich Quotenregelungen vorgesehen", sagte Koch-Mehrin. "Dieses Projekt kann der deutschen Verwaltung als Vorbild dienen."

Den Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), ausländische Fachkräfte mit einer sogenannten Lockprämie anzuwerben, hieß Koch-Mehrin gut. "Deutschland ist ein Land, das qualifizierte Zuwanderer braucht. Wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen wir ausländische Fachkräfte willkommen heißen", sagte sie. "Ich halte den Vorschlag für sinnvoll." Außer Lockprämien von Firmen gebe es aber noch andere Möglichkeiten, qualifizierte Zuwanderer ins Land zu holen.

Lesen Sie hier das Interview mit der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP)

In den europäischen Institutionen ruht der Betrieb. Das Hamburger Abendblatt erreichte die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin am Telefon auf einer Mittelmeerinsel zum Interview.

Hamburger Abendblatt:

Frau Koch-Mehrin , die deutsche Politik ist nach turbulenten Wochen in die Sommerpause gegangen. Wie ist das Berliner Durcheinander in Brüssel aufgenommen worden?

Silvana Koch-Mehrin:

Von den Nickeligkeiten zwischen den Koalitionsparteien ist in Brüssel gar nicht so viel angekommen. Man nimmt eher wahr, dass Deutschland die Wirtschaftskrise erstaunlich gut überstanden hat.

Deutschland ist von einer wahren Rücktrittswelle erfasst worden. Welche Abgänge sind in der EU auf Verwunderung gestoßen?

Konsequenzen für Europa hatte nur der Wechsel von Günther Oettinger in die EU-Kommission. Beim Rücktritt von Horst Köhler hat man sich schon gefragt, was dahinter steht. Registriert wurde aber vor allem, dass der neue Bundespräsident als Erstes zu den europäischen Institutionen gereist ist. Rücktritte deutscher Ministerpräsidenten spielen in der gesamteuropäischen Betrachtung eher eine untergeordnete Rolle.

Wie ist es um das Ansehen der Bundeskanzlerin bestellt? Ist Angela Merkel noch Miss Europa?

In der Eurokrise hat sich das Bild von Angela Merkel gewandelt. Sie wird nicht mehr als Miss Europa wahrgenommen, die schwierige Kompromisse zustande bringt. Frau Merkel ist jetzt eher die Madame Non, die sich lange gegen Hilfen für Griechenland gesperrt hat. Ihr Handeln ist in manchen Staaten als hart und wenig nachvollziehbar empfunden worden.

Genießt Guido Westerwelle im europäischen Ausland größeren Respekt als in Deutschland?

Guido Westerwelle war der erste deutsche Außenminister seit Klaus Kinkel, der das Europäische Parlament besucht hat. Dass er sich um die kleineren Mitgliedsländer besonders kümmern will, ist ebenfalls positiv aufgenommen worden. In Deutschland wird die Arbeit von Guido Westerwelle gelegentlich unterschätzt.

Welche Initiativen der schwarz-gelben Bundesregierung sind in anderen Mitgliedstaaten gewürdigt worden? Die Hotelsteuer?

Die Möglichkeit, Hotelübernachtungen mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen, ist auf europäischer Ebene geschaffen worden - mit Zustimmung des damaligen Finanzministers Steinbrück. Die meisten EU-Staaten haben das rasch umgesetzt, darunter fast alle unsere Nachbarn. Deutschland musste nachziehen, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.

Wäre es sinnvoll, die Mehrwertsteuersätze in der Europäischen Union zu vereinheitlichen?

Wir haben ja schon Schritte in diese Richtung unternommen - und Grenzen nach oben und nach unten beschlossen. Es wäre sicherlich hilfreich, auf diesem Weg weiterzugehen. Einen einheitlichen europäischen Mehrwertsteuersatz halte ich für überlegenswert. Er könnte wie in Deutschland bei 19 Prozent liegen.

Steuersenkungen halten Sie immer noch für möglich?

Eine weitere Entlastung der Bürger in Deutschland ist in dieser Wahlperiode nötig und auch möglich. Die Wirtschaft kommt wieder in Fahrt.

Bundeswirtschaftsminister Brüderle hat eine Kontroverse ausgelöst mit dem Vorschlag, ausländische Fachkräfte mit einem Begrüßungsgeld nach Deutschland zu locken. Ein kluger Ansatz?

Ich finde, ja. Deutschland ist ein Land, das qualifizierte Zuwanderer braucht. Wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen wir ausländische Fachkräfte willkommen heißen. Ich halte den Vorschlag von Rainer Brüderle für sinnvoll. Außer Lockprämien von Unternehmen gibt es aber noch andere Möglichkeiten, um qualifizierte Zuwanderer ins Land zu holen.

An welche denken Sie?

Zum Beispiel an bürokratische und steuerliche Erleichterungen. Der Staat kann auch eine Vorreiterrolle einnehmen, indem er für Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung sorgt.

Das bedeutet?

Das Europäische Parlament beschreitet diesen Weg bereits. Uns geht es um Chancengleichheit und Vielfalt, was Herkunft, Geschlecht oder Religion der Beschäftigten angeht. Dazu wollen wir massive Anreize setzen. Auf meinen Vorschlag sind auch ausdrücklich Quotenregelungen vorgesehen. Dieses Projekt kann der deutschen Verwaltung als Vorbild dienen.

Sie wollen eine Ausländerquote für deutsche Rathäuser und Ministerien?

Wenn andere Anreize nicht helfen - warum nicht? Eine Quote für Migranten in der öffentlichen Verwaltung kann dazu beitragen, dass mehr qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland kommen.

Frau Koch-Mehrin, wo sehen Sie sich in fünf Jahren? EU-Kommissarin oder Bundesministerin?

(lacht) Ich fühle mich in Brüssel ausgesprochen wohl und finde es spannend, die Berliner Politik von dort aus zu begleiten.

Also EU-Kommissarin.

Wer weiß? Vielleicht mache ich ja eines Tages eine Pommesbude in Australien auf.