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"Dumpfbacke": Thilo Sarrazin streitet mit Steinbrück bei Jauch

| Lesedauer: 4 Minuten
Christoph Rybarczyk

Heftige Kontroverse um die Eurokrise in der ARD. Sarrazins neues Buch "Europa braucht den Euro nicht" sorgt für Kontroversen und Proteste.

Berlin. So arbeitet ein Profi: Noch bevor mit Ex-Finanzminister Peer Steinbrück ein Wort über das neue Buch des früheren Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin gewechselt ist, lässt Günther Jauch in seiner Sendung die Kritik ins Leere laufen. Kühl und professionell zitiert er, was die Deutsch-Israelische Gesellschaft, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast von sich gegeben haben, noch ehe die Sendung angefangen hat. Dass man dem populistischen Provokateur Sarrazin wieder ein Forum bietet – eine Schande für die öffentlich-rechtlichen Sender, finden viele. Und so gab es Proteste vor dem Gasometer in Berlin, wo die Sendung ausgestrahlt wurde. Auf Transparenten war zu lesen: „Nein zu Rassismus“.

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Steinbrück sagte, er sitze in der Sendung, um Sarrazin zu widersprechen – und nicht, um Punkte als möglicher Kanzlerkandidat der SPD zu machen. Diesen Vorwurf, den ihm Finanzminister Wolfgang Schäuble gemacht habe, finde er unverschämt.

Sarrazin behauptete vorneweg: „Ich bin überzeugter Europäer.“ Aber die deutsche Wirtschaft habe bei Weitem nicht so von der Einheitswährung profitiert wie angenommen. Dem widersprach in einem Einspielfilm der Geschäftsführer des DIHK, Martin Wansleben. Steinbrück sagte, Sarrazin beschreibe die südlichen Euro-Länder wie Griechenland, Italien oder Spanien „bizarr“. Er warf seinem SPD-Genossen Sarrazin „Geschichtsblindheit“ vor.

Sarrazin vergleicht in seinem Buch Angela Merkel wegen ihrer „Fortschrittsgläubigkeit“ mit dem früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Aufhänger ist Merkels Credo „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Dieser Einschätzung mag Sarrazin nicht folgen. Er spricht von Legendenbildung bei der Wirtschaftsentwicklung unter Euro-Bedingungen und von „realen Zahlen“, die er präsentiere. „Der Euro hat wachsende Risiken mit sich gebracht.“

Steinbrück empörte sich über Sarrazins These, dass die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg und am Holocaust etwas mit dem Abgeben von Kompetenzen an eine Währungsunion zu tun hat. Er sprach von „dumpfbackigen und nationalistischen Themen, für die es in einigen Teilen Europas ja schon Parteien gibt“. Sarrazin eine Dumpfbacke? Ein Nationalist? Steinbrück hat da offenbar keinen Zweifel.

Sarrazin berief sich auf Altkanzler Helmut Schmidt. Da ging Steinbrück der Hut hoch. Er, der gemeinsam mit Schmidt ein Buch schrieb, verlangte Deutungshoheit über die schmidtschen Worte. „Not frisst Demokratie, Armut frisst den Stolz der Menschen“, sagte Steinbrück. Deshalb müsse die Eurokrise mit aller Rücksicht auf die Krisenländer gemanagt werden.

Sarrazin sagte, der Staatsbankrott Greichenlands stehe unmittelbar bevor. Und dann seien auch die 80 Milliarden Euro „futsch“, die bereits nach Athen geflossen seien. „Das sind nicht nur Bürgschaften gewesen, das Geld ist weg.“

Steinbrück warf Sarrazin Schwarzmalerei vor. Wenn man sein Buch lese, könne man auch im Bett bleiben und sich die Decke über den Kopf ziehen. Sarrazin machte einen wichtigen Punkt: „Wir können nicht die Probleme von Griechen, Spaniern und Italienern lösen.“ Die politischen Strukturen in diesem Ländern machten es nicht möglich. Er verlangte, dass diese Länder „uns ähnlich werden“. Die Griechen seien aber außerdem ein Volk, das für sich selbst sorgen könne.

Da platzte Steinbrück entgültig der Kragen. „Der kann doch nicht diesen ganzen Bullshit erzählen“, entfuhr es dem früheren Bundesfinanzminister, als Jauch ihn nicht sofort antworten ließ. Korruption, Missmanagement – ja, alles bekannt aus Griechenland. „Aber es geht nicht mehr allein um Griechenland, es geht um Europa.“ Europa sei mehr als Binnenmarkt und Haushaltsdefizit. „Dieses Europa ist eine Zivilisation, Meinungsfreiheit, Sozialstaat, Trennung von Staat und Kirche – davon finde ich in diesem Buch nichts.“ Steinbrück tobte, Sarrazin dozierte, Jauch moderierte – eine perfekte Sonntagabend-Promotion für ein Buch, das am Dienstag in den Handel kommt. „Ein Harry-Potter-Text ist das nicht“, jammerte Jauch.

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