Die Bundesregierung weiß nicht, wie teuer der Atomausstieg wird. Auch die Kosten der Nachrüstungsmaßnahmen für AKW sind unklar.

Hamburg. Auch wenn die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden - der Atomausstieg rückt näher. Aber die schwarz-gelbe Koalition hat bislang keine Vorstellung von den Kosten, die durch den Bau und den Erhalt eines Endlagers für Atommüll entstehen werden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die dem Hamburger Abendblatt exklusiv vorliegt. Zudem hat die Bundesregierung bislang nicht schätzen lassen, welche Kosten die noch bevorstehenden Nachrüstmaßnahmen bei Kernkraftwerken verursachen werden.

Konkret heißt es in der Antwort des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, Jochen Homann: "Der Bundesregierung liegen keine aktuellen Kosteneinschätzungen für die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle vor." Weiter schreibt Homann: "Die Bundesregierung hat bislang keine Kosteneinschätzung zu konkreten Nachrüstungsmaßnahmen bei Kernkraftwerken vorgenommen."

Zugleich geht aus dem Schreiben hervor, dass die Atomkraftwerk-Betreiber E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe zusammen über rund 27,5 Milliarden Euro an Rückstellungen verfügen (Stand 31.12.2008). Die Summe sollen die Energieversorger für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke, für die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und weiterer atomarer Abfälle zur Verfügung stellen. Trotz des nahenden Atomausstiegs hat sich der Betrag in den vergangenen Jahren kaum verändert. Bei E.on etwa sank er zwischen 2005 und 2008 von rund 13,4 auf 12,2 Milliarden Euro. Bei RWE dagegen stieg der Betrag im gleichen Zeitraum von rund 8,7 auf rund 9,5 Millionen Euro.

Ob diese Summen ausreichen werden, um das Atommüll-Problem zu lösen, will die Regierung noch nicht prognostizieren. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagte dem Abendblatt: "Über die Kosten eines Endlagers lässt sich keine abstrakte Aussage treffen. Diese sind nur aus einem konkreten Fall abzuleiten." Der Sprecher betonte: "Genau dieses soll ja im Falle Gorlebens geschehen, wobei es sich um keine Vorwegnahme einer später zu treffenden Entscheidung für oder gegen Gorleben handelt."

Die Grünen geben sich damit nicht zufrieden. "Die Bundesregierung kümmert sich nicht, sondern vertraut darauf, dass die Energiekonzerne schon alles recht machen", sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sylvia Kotting-Uhl, dem Abendblatt. Dies sei "eine gefährliche Untätigkeit", wie die Abgeordnete betont. Die Regierung riskiere, "dass am Ende wieder einmal die Steuerzahler einspringen müssen und wegen strahlender Altlasten zur Kasse gebeten werden".

Erfahrungswerte gäbe es, um zumindest die Kosten der Rückbauten, Stilllegungen und der Sicherung von Atommüll zu kalkulieren. Das AKW Stade ging 2003 außer Betrieb und wurde 2005 stillgelegt. Das AKW Obrigheim ging 2005 vom Netz und wurde 2008 stillgelegt. Welche Summen vonseiten der Betreiber für den Rückbau, die Stilllegung und die Entsorgung des atomaren Mülls anfielen, ist der Regierung aber unbekannt. Das ergab eine Anfrage der Grünen im Mai 2009.

Ein Grund: In Deutschland müssen die Energieversorger ihre Rücklagen nicht einzeln für die von ihnen betriebenen AKWs ausweisen, sondern nur eine Gesamtsumme. Andere Länder, etwa Schweden oder die Schweiz, gehen anders vor. Sie haben öffentliche Rückstellungsfonds gebildet, in die sie die Konzerne einzahlen lassen. Einen solchen Fonds lehnt die Koalition jedoch ab.