Prof. Volker Lilienthal über unbestechlichen Journalismus und die Rolle der US-Zeitungen

Hamburg. Die Watergate-Affäre hat an den Fundamenten der US-Demokratie gerüttelt. Über die anhaltende Bedeutung sprach das Abendblatt mit Volker Lilienthal, Inhaber der Rudolf-Augstein-Professur für Qualitätsjournalismus an der Uni Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

Der Watergate-Skandal hat die politische Berichterstattung in den USA und auch in Deutschland nachhaltig verändert. Was haben Politik und Medien daraus gelernt?

Volker Lilienthal:

Die Politik ist seither auf der Hut. Sie weiß: Am Ende kommt alles heraus. Der Journalismus hatte nach diesem Erfolg zunächst ein Stimmungshoch, das sich in dem Filmtitel "Die Unbestechlichen" von 1976 ausdrückte. Klar wurde aber auch, dass man eine Enthüllung dieser Größenordnung nicht mit links stemmen kann, sondern dass das nur mit großzügigen Arbeitsbedingungen geht. Bernstein und Woodward waren fast zwei Jahre lang mit dem Thema beschäftigt. Ihr Verlag hatte sie großenteils freigestellt.

Woodward und Bernstein haben intensiv recherchiert, aber vertrauensvoll vor allem auf eine Quelle gesetzt: Deep Throat. War das handwerklich vertretbar? Haben sie sich leiten oder missbrauchen lassen von Interessen Dritter?

Lilienthal:

Fast alle journalistischen Enthüllungen beginnen mit der Initialinformation einer einzigen Quelle. Deren Behauptungen müssen aber unbedingt vor Veröffentlichung geprüft werden, es braucht eine Bestätigung aus mindestens einer zweiten Quelle. So haben Woodward und Bernstein aber auch gearbeitet. Schon zum ersten Watergate-Bericht der "Washington Post" hatten neun Reporter beigetragen. Auch das ist eine Lektion aus der Affäre: Investigativer Journalismus ist Teamwork. Dass Informanten, anonyme zumal, eigene Interessen verfolgen, ist klar. Deshalb wird der Journalist aber nicht missbraucht. Er muss die Motive des anderen kennen und taktisch mit ihnen umzugehen wissen. Den Insider, der etwas Geheimes ausplaudert, mag ein Rachegelüst treiben - davor darf der Journalist nicht zurückschrecken, wenn denn das Thema von großer öffentlicher Bedeutung ist.

Im US-Wahlkampf schlagen die konkurrierenden Lager häufig über die Stränge. In der Auseinandersetzung zwischen Obama und Romney spielen Internet-Kampagnen eine immer größere Rolle. Haben sich US-Zeitungen als Enthüller und Plattformen der Debatten überlebt?

Lilienthal:

Keineswegs. Zwar stimmt es, dass die liberale Presse in den USA in den ideologischen Grabenkämpfen der Parteien oft überhört wird und dass sie schlimme Auflagenverluste erlitten hat. Aber Blätter wie der "Philadelphia Inquirer" oder auch "USA Today" machen immer wieder mit großformatigen, allumfassend recherchierten Enthüllungsreportagen von sich reden. Sie halten der Gesellschaft den Spiegel vor und sorgen damit - hoffentlich - für Kurskorrektur.