Berlin. Die Ukraine erwartet von Deutschland große Hilfen. Auf einer Konferenz sollen erste Pläne für den Wiederaufbau des Lande entstehen.

Das Projekt scheint Lichtjahre entfernt: Wiederaufbau der Ukraine. An diesem Dienstag soll eine internationale Konferenz in Berlin erste Pläne für die Mammutaufgabe erstellen. Doch zunächst fordert die ukrainische Regierung Soforthilfe im Krieg – auch von Berlin. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Schäden haben die russischen Drohnenattacken angerichtet?

Seit Wochen greifen russische Raketen und Drohnen gezielt Gas- und Stromkraftwerke, Umspannwerke und Hochspannungsleitungen. 30 Prozent aller Kraftwerke und 40 Prozent aller Energieanlagen seien zerstört worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Nach Angaben von Energieminister Herman Haluschtschenko hat die Ukraine 90 Prozent ihrer Windkraft-Kapazitäten verloren. Bei der Solarenergie seien es 40 bis 50 Prozent. In mehreren Städten kam es zu totalen Stromausfällen.

Welche Strategie steckt hinter den russischen Angriffen?

Aus ukrainischer Sicht ist die Sache klar. „Den Russen geht es nicht nur darum, eine humanitäre Krise auszulösen und die Ukrainer in die Knie zu zwingen. Sie wenden auch ein Instrument des Wirtschaftskrieges an“, sagte der Wirtschaftsberater von Präsident Selenskyj, Alexander Rodnyansky, unserer Redaktion.

Die Ukraine, die seit April an das zentraleuropäische Stromnetz angeschlossen ist, könne nun nicht mehr Energie in die EU exportieren. „Doch durch die Bombardierung unserer Kraftwerke haben die Russen eine wirtschaftspolitische Front im Krieg eröffnet: Leider haben sie ihr Ziel, die ukrainischen Stromexporte abzuwürgen, erreicht“, so Rodnyansky Die Angriffe seien auch ein gezielter Schlag gegen die Energiesicherheit der EU.

Wie groß ist die Zerstörung der Ukraine bislang?

Zahlreiche Produktionsanlagen sind durch den Krieg vernichtet. Es fehlen Fachkräfte: Viele Männer kämpfen an der Front, eine große Zahl von Frauen ist geflohen. Die Stromversorgung fällt häufig aus, die Logistik bleibt massiv gestört. Für 2022 erwartet die Zentralbank der Ukraine eine Inflation von 24,5 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt wird nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums in Kiew um 33 Prozent einbrechen.

Welche Soforthilfe braucht die Ukraine?

„Die Menschen bereiten sich auf die Kälte vor. Sie beschaffen sich Thermokleidung, Notstrom- und Dieselgeneratoren für den Winter. Auf die Ukrainer kommt eine ganz große Krise zu“, betont Selenskyjs Wirtschaftsberater Rodnyansky. Die Ukraine brauche neben Stromgeneratoren vor allem mobile Kraftwerke.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verlangte eine „akute Winterhilfe“ für die Ukraine. Er nannte dabei Generatoren, Transformatoren und Netzreparaturen. Zudem wäre es dringend angezeigt, dass eine deutsche Wirtschaftsdelegation in die Ukraine fahre, sobald es dort wieder stabiler sei, so Habeck.

Auch die Wirtschaft will sich beteiligen. „Wir brauchen schnellstmöglich Klarheit, wie der Handel mit in der Ukraine dringend benötigten Produkten abgesichert werden kann“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. „Dazu gehören unter anderem Produkte des täglichen Bedarfs, der Medizintechnik und der Gesundheitswirtschaft insgesamt.“

Was fordert Kiew von Deutschland?

Kiew erwartet ein hohes Maß an finanzieller Unterstützung. „Wir brauchen jeden Monat vier bis fünf Milliarden Dollar für unseren Haushalt. Wir glauben, dass Deutschland etwa 500 Millionen Dollar pro Monat übernehmen könnte, vor allem mit Blick auf das Jahr 2023. Der Staat muss funktionieren, die Renten müssen ausgezahlt werden“, unterstreicht Rodnyansky. Von der EU insgesamt erhofft sich die Ukraine rund zwei Milliarden Dollar pro Monat.

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Was braucht die Ukraine mittel- und langfristig?

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bezifferte die Gesamtkosten für den Wiederaufbau seines Landes auf rund 750 Milliarden Dollar. Darin sind allerdings auch die Kosten für Aufbau und Modernisierung von Gebieten enthalten, die nicht durch den Krieg zerstört worden sind. Weltbank und US-Regierung gehen von einem Gesamtbedarf von insgesamt 350 Milliarden Dollar aus.

Was bringt die Wiederaufbaukonferenz in Berlin?

Die Berliner Konferenz an diesem Dienstag beschäftigt sich vor allem mit den mittel- bis langfristigen Herausforderungen nach dem Krieg. Deutschland, das derzeit den Vorsitz über die westlichen Industrieländer (G7) hat, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten zu der internationalen Konferenz eingeladen.

Dabei soll auch der ukrainische Präsident Selenskyj per Video zugeschaltet werden. „Es ist wichtig, schon jetzt den künftigen Wiederaufbau vorzubereiten. Wir erhoffen uns eine bessere Koordinierung mit den westlichen Partnern, damit wir uns auf einen Plan einigen können“, mahnt Selenskyjs Berater Rodnyansky.

Dabei gehe es um eine „konkrete Strategie“ für den Wiederaufbau. „Die Ukraine hat nach wie vor großes Potenzial in der Landwirtschaft – vor allem, wenn diese in den EU-Binnenmarkt integriert werden soll. Über unsere Gaspipelines könnten wir in der Zukunft grünen Wasserstoff exportieren. Auch IT und neue Technologien sind vielversprechende Branchen.“

Was verspricht Bundeskanzler Olaf Scholz?

Der Kanzler visiert bereits heute eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine nach Ende des Krieges an. „Wenn wir die Ukraine wiederaufbauen, dann tun wir das mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf“, sagte der SPD-Politiker am Montag auf einem Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. Die Verkehrsinfrastruktur sowie der Logistik- und Transportsektor müssten so aufgebaut werden, dass das Land problemlos an die EU angebunden werden könne.

Die Beitrittsperspektive solle auch als Signal an private Investoren verstanden werden. Der Kanzler verwies darauf, dass über 2000 deutsche Firmen in der Ukraine aktiv seien, andere wollten so schnell wie möglich zurück. Er appellierte an die ukrainische Regierung, die Rahmenbedingungen für Investitionen ihrerseits weiter zu verbessern. Er nannte mehr Rechtsstaatlichkeit und einen noch entschiedeneren Kampf gegen die Korruption.

Scholz nannte den Wiederaufbau der Ukraine eine „Generationenaufgabe“, die viele Jahre dauern könne. Der Kanzler und EU-Kommissionschefin von der Leyen schlugen in der „FAZ“ einen „Marshallplan“ für die Ukraine vor. Mit dem Marshallplan hatten die USA 1948 bis 1952 ein Wirtschaftsförderungsprogramm für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelegt.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.