Fast 60 Vertreter der britischen Regierung kehrten Johnson den Rücken. London braucht eine neue politische Führung. Ein Kommentar.

Eine größere politische Misstrauenserklärung hat die Welt lange nicht gesehen. Innerhalb weniger Tage kehrten fast 60 Vertreter der britischen Regierung Premier Boris Johnson den Rücken. Der Oppositionsführer Keir Starmer brachte es auf die sarkastische Formel: "Ist dies der erste bestätigte Fall, in dem das sinkende Schiff eine Ratte verlässt?"

Johnson wurde plötzlich zum Polit-Paria in seiner eigenen Konservativen Partei, weil er jedwede Bodenhaftung und jedes Gefühl für ethische Standards vermissen ließ. Man muss es so drastisch sagen: Der Premier benutzte sein Amt als politischen Selbstbedienungsladen. Johnson log, um einen Vertrauten trotz Vorwürfen sexueller Belästigung in einen hochrangigen Fraktionsjob zu hieven. Er feierte mitten im landesweiten Lockdown Partys in 10 Downing Street. Und er verpasste seinem Regierungssitz per Parteispende eine Luxusrenovierung.

Boris Johnson nutze Bühne zur Ego-Show

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Der Exodus aus seinem Kabinett ist die Quittung. Die Frage stellt sich trotzdem: ­Warum hat es so lange gedauert, bis die Tories gegen ihren Chef meuterten? Der grenzenlose Narzissmus, der hemmungslose Hang, die Bühne zur Ego-Show zu nutzen, das rücksichtslose Klammern an die Macht waren schon lange offensichtlich.

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Das Problem: Auch in der Stunde seines tiefsten Falls zeigt Johnson keine Einsicht. Er will bis zum Kongress der Konservativen im Oktober im Amt bleiben. Wohl in der Hoffnung, das Blatt in letzter Minute doch noch zu seinen Gunsten wenden zu können.

Die Illusion eines unverbesserlichen Paradepopulisten. Hier sollte ihm seine Partei einen Strich durch die Rechnung machen. Großbritannien braucht jetzt einen klaren Schnitt und schnell eine neue politische Führung. Nur so kann wieder politische Hygiene einziehen.

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