Berlin/Karlsruhe. Besonders hohe Zinsen gab es bislang auf Erstattungen oder Nachforderungen der Finanzämter. Damit ist nach einem Urteil jetzt Schluss.

Wer sich Zeit gelassen hat mit der Steuererklärung, konnte dank hoher Zinsen bei Erstattungen vom Finanzamt einen hübschen Bonus einstreichen – oder bekam bei Nachzahlungen besonders saftige Rechnungen präsentiert. Damit ist es künftig vorbei. Das Bundesverfassungsgericht hat den Zinssatz von sechs Prozent im Jahr gekippt (Az. 1 BvR 2237/14 u.a.).

Grundsätzlich dürfe der Staat Zinsen auf Steuernachzahlungen erheben – aber nicht in einer Höhe, die der Erste Senat als „evident realitätsfern“ bezeichnete. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Urteil.

Was sind Steuerzinsen?

Die Zinsen gibt es bei der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Sie fallen an, wenn sich Steuernachzahlungen oder -erstattungen um mehr als 15 Monate verzögern. Damit will der Staat im Sinne der Gerechtigkeit Gewinne ausgleichen, die mit dem Geld hätten erwirtschaftet werden können.

Bei Erstattungen profitieren Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, bei Nachforderungen der Fiskus.

Welche Folgen hat das Urteil für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?

Wegen der unklaren Rechtslage haben die Finanzämter die Zinsforderungen und -zahlungen seit Mai 2019 nur noch vorläufig festgesetzt. Nach dem Urteil können Steuerzahlende jetzt mit Rückzahlungen oder auch Rückforderungen für diesen Zeitraum rechnen.

Mit dem Urteil entfällt zudem ein beliebter Trick, der zu einem Bonus vom Staat führte: Wer nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, hat vier Jahre lang Zeit für die Abgabe einer freiwilligen Erklärung. Das Finanzamt zahlt die Zinsen aber bereits 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Jahres. Wer hohe Erstattungen erwartet, konnte so zusätzlich einen hohen Zinsgewinn einfahren. Künftig wird der Steuerzins wohl deutlich niedriger liegen.

Das ist wiederum ein Vorteil für alle, die plötzlich hohe Nachforderungen des Finanzamts begleichen müssen. Auch in diesem Fall galt bislang der hohe Zinssatz von sechs Prozent.

Unverändert ist die Lage, wenn jemand zu lange mit der Abgabe einer verpflichtenden Steuererklärung wartet oder die Steuerschuld zu spät überweist. Dann werden zur Strafe Verspätungs- und Säumniszuschläge von 0,25 und einem Prozent je Monat fällig. Darum ging es in den verhandelten Fällen nicht. Mehr zum Thema:Neue Frist für Steuererklärung: Das müssen Sie beachten

Warum gab es Streit um die Zinsen?

Geklagt hatten zwei Unternehmen, die nach einer Steuerprüfung allein für Zinsen sechsstellige Summen aufbringen sollten. Eine Verfassungsbeschwerde betraf den Zeitraum 2010 bis 2012 und blieb erfolglos. Damals habe der starre Zinssatz „noch in einem rechten Verhältnis“ zum Marktniveau gestanden.

Die andere Klage betraf das Jahr 2014. Ab diesem Jahr sehen die Richterinnen und Richter ein realitätsfernes Zinsniveau, das am Kapitalmarkt nicht zu erzielen ist. Auch der Bundesfinanzhof hatte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der hohen Zinsen infrage gestellt. Weiterlesen:Das sind die besten Programme für die Steuererklärung

Das aktuelle Niveau von sechs Prozent im Jahr, oder 0,5 Prozent für jeden Monat, ist seit sechs Jahrzehnten unverändert. Bei der Festlegung 1961 war das ein übliches Zinsniveau: In etwa sechs Prozent Zinsen zahlte die Bundesrepublik für die Finanzierung des Staatshaushalts über Anleihen.

Spätestens seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ist die Lage eine andere. Um mit Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln, sind die Leitzinsen in der Eurozone schrittweise bis 2016 auf null Prozent gesenkt worden. Aufs Sparbuch etwa gibt es – wenn überhaupt – nur noch einen Mini-Zins. Der Bund zahlt keine Zinsen mehr für Staatsanleihen, sondern kassiert sogar für seine Schulden.

Um welche Summen geht es?

Bis ins Jahr 2018 waren die Steuerzinsen für den Staat ein einträgliches Geschäft. Nach Regierungsangaben nahm der Fiskus in manchen Jahren rund eine Milliarde Euro mehr ein, als er ausgab. 2019 zahlte der Staat hingegen erstmals drauf: 550 Millionen Euro. Auch interessant:Kurzarbeitern droht böse Überraschung vom Finanzamt

Wie wird die Regelung künftig lauten?

Die Details wird voraussichtlich die nächste Bundesregierung klären müssen, und zwar schnell. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Neuregelung der Steuerzinsen bis Ende Juli 2022. Das Bundesfinanzministerium teilte mit, es werde, soweit erforderlich, „die Konsequenzen aus der Entscheidung mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtern und dem Gesetzgeber gegebenenfalls erforderliche Neuregelungen vorschlagen“.

Wie lauten die Reaktionen auf das Urteil?

Der Generalsekretär der FDP hat das Karlsruher Urteil begrüßt. „Gut, dass das Bundesverfassungsgericht der Hochzinspolitik der Bundesregierung ein Ende bereitet hat“, teilte Volker Wissing mit.