Moskau. Putin dementiert eine russische Beteiligung am Anschlag auf Alexej Nawalny. Den russischen Corona-Impfstoff will er nicht testen.

Wladimir Putin ist diesmal allein im Raum. Oder fast. Natürlich sind Kameraleute dabei, die den Präsidenten ins richtige Licht rücken. Und ein paar Journalisten dürfen mit Maske und gehörigem Abstand ebenfalls in den Studioecken kauern. Aber Corona zwingt auch einen Kremlherrscher ins Videoformat.

Und so sitzt Putin bei seiner großen Jahrespressekonferenz diesmal nicht in einem rappelvollen Saal, sondern wie ein Nachrichtensprecher an einem Tisch und beantwortet über viereinhalb Stunden hinweg Fragen, die ihn aus allen Winkeln des riesigen Landes erreichen. Auch von „ganz normalen Menschen“, wie es im Staatsfernsehen heißt. Lesen Sie auch: Proteste in Moskau - Festnahmen bei Demonstrationen für Nawalnys Freilassung

Tatsächlich sind die Fragesteller handverlesen. Putin ist auf alles vorbereitet. Und deswegen stört ihn anfangs nicht einmal der „Elefant“, der auch mit im Raum ist und auf den Namen Alexej Nawalny hört.

Portrait- Alexej Nawalny

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    Giftanschlag: Kremlkritiker Nawalny überzeugt von staatlichem Auftrag

    Die Metapher vom „Elefanten im Raum“ beschreibt ein unübersehbares Problem, das alle Beteiligten im Sinn haben, ohne es anzusprechen. Ein solches Problem ist für die Fragesteller an diesem Tag der Anti­korruptionsaktivist Nawalny. Nur wenige Tage vor der Pressekonferenz hat ein Team internationaler Journalisten Details über den Giftanschlag veröffentlicht, den der Kremlkritiker im August nur knapp überlebte.

    Nawalny selbst folgerte: „Der Anschlag war eine groß angelegte Operation mit Dutzenden Beteiligten, darunter etliche Generäle des FSB. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass der Geheimdienst einen staatlichen Auftrag exekutiert hat. So etwas würden sie nie ohne den Befehl Putins tun.“ Hintergrund: Nawalny: „Ich behaupte, dass hinter der Tat Putin steht“

    Corona zwingt auch einen Kremlherrscher ins Videoformat. Anders als früher sitzt Wladimir Putin bei seiner Jahrespressekonferenz nicht in einem vollen Saal, sondern wie ein Nachrichtensprecher an einem Tisch.
    Corona zwingt auch einen Kremlherrscher ins Videoformat. Anders als früher sitzt Wladimir Putin bei seiner Jahrespressekonferenz nicht in einem vollen Saal, sondern wie ein Nachrichtensprecher an einem Tisch. © dpa | Aleksey Nikolskyi

    Ein versuchter Auftragsmord mit einem Präsidenten als Drahtzieher: Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Weltweit wird derzeit diskutiert, ob dieser Putin wirklich und wahrhaftig Menschen exekutieren lässt. Eiskalt. Gezielt. Im Fall Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok als Mordwaffe.

    Putin lässt Anschuldigungen ins Leere laufen

    Politisch hilft in einer solchen Lage keine Unschuldsvermutung mehr. Politisch hilft da nur ein überzeugender öffentlicher Konter, und darauf warten an diesem Donnerstag alle. Aber Putin wäre nicht Putin, wenn er von seinen Maximen abweichen würde.

    „Einen Gegner nicht großreden“, lautet seine Devise. Und deshalb ignoriert der Präsident den „Elefanten im Raum“ und spricht erstmal ausgiebig über eine geplante Herstellerbeteiligung an der Entsorgung von Verpackungsmüll. Er gibt sich zuversichtlich, dass die Getreideernte 2020 beachtliche 134 Millionen Tonnen erreichen werde.

    Über solche Themen vergehen mehr als anderthalb Stunden. Dann erst widmet sich Putin kurz und schmerzlos dem „Elefanten“. Was da so in internationalen Medien zu lesen sei, sagt er, sei doch alles „ausgedachtes Zeug“. Auch interessant: Fall Nawalny: Russische Sanktionen verärgern Bundesregierung

    Putins Aussage ist kein Dementi, sondern eine verklausulierte Drohung

    Von Recherchen könne keine Rede sein, erzählt Putin. „Das ist der Versuch, Material amerikanischer Spezialdienste zu legalisieren.“ Im Übrigen sei die Sache vollkommen klar: „Wenn der russische Staat jemanden hätte vergiften wollen, dann hätten wir das zu Ende gebracht.“ Punkt.

    Das ist kein Konter. Auch kein Dementi. Es ist die kaum verklausulierte Ansage: Wenn wir töten wollen, töten wir. Mit den bekannten Fakten im Kopf kann der Zuhörer selbst ergänzen: Wir wollten Nawalny nicht töten. Wir wollten nur zeigen, dass niemand vor uns sicher ist.

    Westliche Geheimdienstexperten halten diese Version seit Langem für die plausibelste. Nur so sei zu erklären, warum Nawalny nach dem Anschlag nach Berlin ausreisen durfte. Zuletzt gab es sogar Spekulationen, das jüngst veröffentlichte Recherchematerial sei vom FSB durchgestochen worden, um die eigene Beteiligung zu demonstrieren. Lesen Sie hier: Nawalny dankt „brillanten Ärzten“ der Charité

    Dieses Foto, das der russische Oppositionsführer vor drei Monaten auf seinem Instagram-Account veröffentlicht hat, zeigt Alexej Nawalny auf einer Parkbank.
    Dieses Foto, das der russische Oppositionsführer vor drei Monaten auf seinem Instagram-Account veröffentlicht hat, zeigt Alexej Nawalny auf einer Parkbank. © dpa | Uncredited

    Putin entzieht Gerüchten den Boden

    Aber so etwas bestätigt Putin natürlich nicht. Vielmehr führt er vor, dass er noch immer auf der Höhe seiner Kraft und seiner Macht ist. Frisch sieht er aus mit seinen 68 Jahren, geradezu rosig im Gesicht. Er gestikuliert sparsam, aber klar. Und bleibt über all die Stunden hinweg konzentriert.

    Er, der nach 20 Jahren an der Macht doch eigentlich über den Dingen schweben könnte, hat alle Fakten parat und signalisiert seinen Landsleuten: Ich kümmere mich um euch. Vor allem aber entzieht er so allen Gerüchten den Boden, er sei gesundheitlich angeschlagen.

    Das Coronavirus ist auch so ein „Gegner“, den Putin nicht großreden will. Ein paar Fragen zur Pandemie sind erlaubt. Aber der Präsident antwortet knapp, auch als die Rede auf den russischen Impfstoff „Sputnik V“ kommt. Man verlasse sich nicht allein darauf, versichert er, sondern arbeite auch mit dem Pharmariesen Astrazeneca zusammen.

    Wird Putin 2024 nochmal antreten?

    Im Übrigen werde er sich selbst erst mal nicht mit dem russischen Vakzin impfen lassen. Er sei dafür zu alt. „Da vertraue ich den Behörden“, erklärt Putin, die das Präparat nur bis 60 zugelassen hätten. Putin für irgendetwas zu alt? Das mag man kaum glauben nach diesem Auftritt. Eher bleiben Zweifel an „Sputnik V“ zurück als am Präsidenten.

    Obwohl Putin offen lässt, ob er 2024 noch einmal zur Wahl antreten wird. Aber von einer Exit-Strategie aus dem Amt ist nichts zu erahnen. Dabei hatten „Kremlastrologen“ genau darüber zuletzt viel spekuliert. Schließlich hat Putin sich und seiner Familie kürzlich Immunität auf Lebenszeit zusichern lassen. Sogar per Verfassungsänderung. Wozu Schutz vor Strafverfolgung, wenn er im Amt bleiben will? So lautete die Frage. Putin blieb eine Antwort bislang schuldig. Sein kraftstrotzender Jahresendauftritt signalisierte aber: Weil ich es kann.