Berlin. In Deutschland machen die Krisenstäbe der Regierungen einen stimmigen Eindruck. Wir werden in diesen Zeiten vom Sachzwang regiert.
Deutschland ist nicht lahmgelegt. Das öffentliche Leben ist zwar wegen der Corona-Krise auf ein Mindestmaß reduziert. Aber jedenfalls der Blick auf Italien, auf menschenleere Städte wie Mailand zeigt: Es kann noch ärger werden. Noch stiller und noch unheimlicher.
Wir werden vom Sachzwang regiert. Der Ausgangspunkt sind die Empfehlungen der Virologen. Die Verwaltung agiert wie ein Transmissionsriemen, sie regelt und ordnet, sie handelt. Am Ende ist da die Politik, sie erklärt, legitimiert, wirbt um Vertrauen.
Das Gemeinwesen erweist sich als krisenfest. Eine Folge des bislang bestandenen Stresstests ist eine Rückbesinnung auf den starken Staat als Garant der (Versorgungs-)Sicherheit. Er darf weiter hinterfragt werden, aber er steht momentan in einem neuen Licht.
Noch vor ein paar Jahren war viel von seinem ärmlichen Bruder die Rede, vom schlanken Staat. In der Corona-Krise aber zeigt sich, dass die Daseinsvorsorge nicht wie ein Unternehmen organisiert werden darf, sie braucht Reserven, eine bewusste Übererfüllung, was die Fachleute „Redundanz“ nennen.
Corona-Krise: Natürlich können Ordnungsbehörden nicht jede Kneipe überwachen
Man kann nur über jedes „überflüssige“ Krankenhausbett froh sein, das doch nicht abgebaut wurde; über jede Stelle bei Rettungsdiensten oder Polizei, die nicht wegrationalisiert wurde. Vieles, was man nur am Rande wahrnimmt, die Absage von Atommülltransporten oder von Großveranstaltungen, folgt einem größeren Plan. Es geht mittelbar um das Ressourcenmanagement. Es hat den Effekt, die Polizei zu entlasten, sodass sie sich auf das Wichtige konzentrieren kann.
Der derzeitige Zustand wird lange anhalten, und natürlich können die Ordnungsbehörden nicht jeden Spielplatz, nicht jede Kneipe überwachen. Sie sind darauf angewiesen, dass die Zivilgesellschaft mitzieht, dass die Bürger Auflagen respektieren, ihr Verhalten anpassen, größere Gruppen meiden, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren.
Und so sind diese Tage nicht zuletzt ein Test auf die Autorität des Staates, darauf, dass die große Mehrheit der Bevölkerung den Anordnungen folgt; auch dann, wenn – nächste denkbare Stufe – Ausgangssperren verhängt und der Inlandsverkehr zum Erliegen kommen sollte. In der Vergangenheit wurde vielfach der Autoritätsverfall des Staates ausgemacht, die Corona-Krise könnte einen Wendepunkt markieren.
Einschränkung der Reisefreiheit tut weh
Wenn etwas den Menschen vor Augen führt, dass sich nicht allein das Coronavirus, sondern auch der Verlust der Freiheiten exponentiell verbreitet, dann sind es die Grenzkontrollen. Die massive Einschränkung der Reisefreiheit tut weh, weil sie Europa jahrzehntelang erfahrbar gemacht hat. Sie war kein Malus, sie war ein Bonus. Mit der Reisefreiheit geht die EU ans Eingemachte. Und die Rückkehr zur Normalität wird noch einmal ein kritischer Zeitpunkt sein.
In Deutschland machen die Krisenstäbe einen stimmigen Eindruck. Manches hätte schneller erfolgen und einheitlicher ausfallen können, aber alle Zweifel am Föderalismus sind eine akademische Debatte, die uns jetzt nicht weiterhilft. Den Zustand der Fehlerlosigkeit wird man nie erreichen. Es geht darum, Ruhe, Sicherheit, Kompetenz zu vermitteln; was umso schwerer wiegt, als die Behörden vielfach Neuland betreten.
Was kürzlich noch als Panikreaktion ausgelegt worden wäre, kann jäh und unverrückbar das Gebot der Stunde werden. Krisenmanagement ist nicht selbsterklärend. Eine Daueraufgabe von Verwaltung und Politik wird sein, die Lage und Maßnahmen immerzu zu erklären, zu begründen und einzuordnen.
Die Bürger müssen sie verstehen. Eine aufrichtige Information – von Sachzwängen, Zusammenhängen, auch von Fehlannahmen – gehört zur Geschäftsgrundlage. Sie macht den Unterschied zu einer blinden oder zur erzwungenen Gefolgschaft.
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