Berlin. Die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz warnt: Kampf gegen Rechtsextremismus nicht vernachlässigen. Sie hat auch die Polizei im Blick.

Am Eingang zum Kanzleramt steht ein Desinfektionsspender, die Besucher werden aufgefordert, sich zu bedienen. Vieles ist anders, seit das Coronavirus sich am stärksten in Europa ausbreitet, auch in der deutschen Regierungszentrale. Der Staatsministerin für Integration, Annette Widmann-Mauz, kommt es aber auf eine ganz andere Botschaft an.

Die Corona-Krise fordert Deutschland bis zum Äußersten. Wie erleben Sie die Situation im Kanzleramt?

Annette Widmann-Mauz: Im Kanzleramt arbeiten wir sehr konzentriert. Ich mache mehr Videokonferenzen und sage Termine ab, die nicht unbedingt notwendig sind, um gerade ältere Menschen zu schützen. Es ist eine ernste Situation. Wichtig ist jetzt, dass wir Zeit gewinnen.

Damit sich keine Falschinformationen verbreiten, brauchen alle Menschen gesicherte Infos zur aktuellen Lage. Auch die, die noch nicht so gut Deutsch sprechen. Sie sind zum Teil auf Angebote in ihrer Muttersprache angewiesen. Hier sind die Verantwortlichen auf allen Ebenen gefragt, auch die Bundesregierung. Ich setze mich dafür ein, dass wir bestmöglich alle Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land mit den richtigen Informationen erreichen.

Gerät in dieser Lage die Aufarbeitung des rassistischen Terroranschlags von Hanau ins Hintertreffen?

Widmann-Mauz: Das darf es nicht. Wir haben dringenden Handlungsbedarf: Rassismus und Rechtsextremismus sind die größte Bedrohung für unser Land und unsere Demokratie – und zwar nicht erst seit den Anschlägen von Halle und Hanau. Rassismus tötet, das ist die bittere Wahrheit. Da können wir uns keine Atempause leisten. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken – über das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität hinaus, das wir jetzt auf den Weg gebracht haben.

Das Bundeskabinett wird in dieser Woche einen Ausschuss zu Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen. Was soll dieses Gremium leisten?

Widmann-Mauz: Der Kabinettsausschuss hat die Aufgabe, den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus entschieden voranzubringen. Wir müssen unsere Maßnahmen ständig überprüfen und wenn nötig verbessern. Wir brauchen schnell Ergebnisse.

Was vermissen Sie?

Widmann-Mauz: Mir geht es um ganz praktische Hilfe. Ein Beispiel, das mir besonders wichtig ist: Wir brauchen eine zentrale Hotline für Menschen, die Opfer von Rassismus werden oder Rassismus in ihrem Umfeld erleben – nach dem Vorbild der Anlaufstelle für Frauen, die Gewalt erfahren haben. Diese Beratung muss mehrsprachig und an allen Tagen erreichbar sein. Hier sollen Betroffene, aber auch Kollegen, Nachbarn und Freunde Infos über die vielen guten Beratungsmöglichkeiten vor Ort bekommen.

Ein solches Hilfetelefon könnte in ein Kompetenzzentrum gegen Rassismus eingebettet werden, das alle Aktivitäten bündelt. Das setzt eine verlässliche Finanzierung voraus. Und es braucht spezielle Einrichtungen für die Polizei in Bund und Ländern: Es sollten interne Ombudsstellen für Polizeibedienstete geschaffen werden, die Rassismus erfahren oder beobachtet haben.

Hat die Polizei ein besonderes Rassismus-Problem?

Widmann-Mauz: Die Polizei ist Teil unserer Gesellschaft. Es geht um schnelle Hilfe für Betroffene bei der Polizei, vergleichbar mit dem Wehrbeauftragten der Bundeswehr. Mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei – etwa in NRW – haben eine familiäre Einwanderungsgeschichte. Deshalb sind auch hier Ombudsstellen wichtig, falls es zu Problemen kommt. Wir müssen ein Bewusstsein schaffen. Dafür ist es mir auch wichtig, dass wir ein genaues Bild vom gesellschaftlichen Klima insgesamt in Deutschland bekommen, eine Art „Rassismus-Barometer“.

Wo findet bei uns besonders häufig Rassismus statt? In der Schule, im Job, im Sport? Wie sind die Erscheinungsformen? Dafür reicht die Kriminalitätsstatistik nicht aus. Auch Daten von Beratungsstellen – bei der Polizei und anderswo – sollten in die Beurteilung einfließen.

Und daraus lässt sich ableiten, welches Bundesland wie rassistisch ist: auf einer Skala von eins bis zehn?

Widmann-Mauz: Es geht nicht darum, bestimmte Regionen anzuprangern, sondern um Anhaltspunkte, wo wir stehen – und um Leitlinien für politisches Handeln. Wir kennen alle den Satz: „Wehret den Anfängen!“. Dabei fehlen belastbare Zahlen, die zeigen, wie weit sich der Rassismus schon in unsere Gesellschaft gefressen hat. Genau das brauchen wir.

Die Aufdeckung des NSU-Terrors ist fast ein Jahrzehnt her – und Sie rätseln immer noch?

Widmann-Mauz: Wir müssen Rassismus erkennen, benennen und bekämpfen. Es gibt ja Leute, die meinen, wir haben damit überhaupt kein Problem. Ich bin der Überzeugung: Ja, wir haben ein Rassismus-Problem. Und es ist größer, als die meisten das wahrhaben wollen. Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte. Niemand von uns ist frei von Vorurteilen. Dessen müssen wir uns bewusst werden, um dann vorurteilsfrei zu handeln.

An diesem Montag beginnen die internationalen Wochen gegen Rassismus. Sie stehen nicht ohne Grund unter dem Motto: Gesicht zeigen, Stimme erheben. Wenn wir die Wurzeln von Rassismus bekämpfen wollen, müssen wir das gemeinsame Wir betonen, das nicht fragt nach Herkunft, nach Religion, nach Aussehen. Das schweißt unsere Gesellschaft zusammen.

Ist der Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus auch ein Anti-AfD-Ausschuss?

Widmann-Mauz: Wir haben als Bundesregierung die Pflicht zur Neutralität gegenüber dem Parlament. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die AfD Hass sät gegen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Die AfD kann sich nicht zum Opfer stilisieren. Der Verfassungsschutz hat es erst letzte Woche bestätigt: Björn Höcke und Andreas Kalbitz sind Rechtsextremisten. Solche Menschen schaffen den Nährboden für rassistischen Terror wie in Hanau.

AKK- AfD trägt Mitschuld an Anschlag in Hanau

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    Politiker der Grünen wollen Rassismus bekämpfen, indem sie das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz streichen. Unterstützen Sie den Vorstoß?

    Widmann-Mauz: Ich bin für diese Diskussion offen. Damit müssen sich die Bundesregierung und das Parlament beschäftigen. Ich denke, in unserer Verfassung könnte man das besser ausdrücken, ohne Klischees und falsche Darstellungen zu befördern. Ich werde mich konstruktiv an der Suche nach neuen Formulierungen beteiligen.

    Sie sind auch Vorsitzende der Frauen Union. Bedauern Sie, dass sich nur Männer aussichtsreich um den CDU-Vorsitz bewerben?

    Widmann-Mauz: Entscheidend ist für mich, dass der oder die Vorsitzende die CDU in eine gute Zukunft führt. Natürlich wäre mir eine Bewerberlage lieber, in der sich die ganze Vielfalt der CDU spiegelt – was die politische Position, die regionale Herkunft und auch das Geschlecht angeht. Wir brauchen auf allen Ebenen mehr starke Frauen in Verantwortung. Unsere Partei muss strukturell noch mehr tun, um Frauen in die allererste Reihe zu bringen. Dann gibt es auch für höchste Ämter mehr Vielfalt bei Bewerbungen.

    Und zwar was?

    Widmann-Mauz: Unsere Vorschläge reichen von festen Mindestquoten bei Parteiämtern über paritätisch besetzte Wahllisten bis zu parteiinternen finanziellen Anreizen. Wir werden sehen, was der Parteitag davon beschließt. Wir müssen Frauen sichtbarer machen und ihnen mehr Chancen zur Gestaltung geben. Die CDU hat bisher immer sehr davon profitiert, dass Frauen sie überproportional gewählt haben.

    Norbert Röttgen, Armin Laschet oder Friedrich Merz - wer ist Ihr Favorit?

    Widmann-Mauz: Die Frauen Union wird sich mit den Bewerbern beraten. Danach fällt die Entscheidung, ob wir eine Empfehlung abgeben oder nicht.

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    Stimmt es, dass Norbert Röttgen Ihnen den Posten der CDU-Generalsekretärin angeboten hat?

    Widmann-Mauz: Das müssen Sie Herrn Röttgen fragen. Ich weiß nicht, wen er für diesen Posten im Auge hat.

    Wird der neue CDU-Vorsitzende auch Kanzlerkandidat?

    Widmann-Mauz: Wir müssen dazu mit der CSU Einvernehmen herstellen. Aber völlig klar ist: Die CDU wählt ihren Vorsitz auch im Lichte einer späteren Kanzlerkandidatur.