Berlin/Erfurt. Die Abgeordneten des Thüringer Landtags wollen am Mittwoch erneut einen Ministerpräsidenten wählen. Doch die FDP will nicht mitmachen.

Die Abgeordneten des Thüringer Landtags versuchen sich erneut an einer Regierungsbildung – vier Wochen, nachdem im Freistaat der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit der Mehrheit von CDU, Liberalen und AfD ins Ministerpräsidentenamt gehievt wurde und für ein politisches Beben sorgte. Nach dem Rücktritt von Kemmerich stellt sich der Linkspolitiker Bodo Ramelow am Mittwoch im Landtag erneut zur Wahl als Ministerpräsident. Neben Ramelow tritt der AfD-Fraktionschef Björn Höcke an.

Die Thüringer FDP-Fraktion will bei der Wahl den Plenarsaal verlassen, um ihre Ablehnung sowohl Ramelows als auch Höckes auszudrücken. „Wenn Sie dokumentieren wollen, dass Sie beide Kandidaten ablehnen, können Sie an dem Wahlgang nicht teilnehmen“, sagte der Sprecher der Thüringer FDP-Fraktion, Thomas Philipp Reiter, am Dienstag.

Die FDP will weder Ramelow noch Höcke wählen

„Eine Enthaltung ist kein Nein“, erklärte er. Nach seinen Angaben gibt es einen Fraktionsbeschluss dazu. Die FDP-Fraktion im Thüringer Landtag hat fünf Abgeordnete, von denen einer der geschäftsführende Ministerpräsident Kemmerich ist. Der 55-Jährige war am 5. Februar mit Stimmen von AfD, CDU und FDP gewählt worden und drei Tage später aufgrund des öffentlichen Drucks zurückgetreten.

Bei der Wahl gilt das gleiche Prozedere wie bei der Kemmerich-Wahl im Februar. In den ersten beiden Wahlgängen ist laut Artikel 70 Absatz drei der Landesverfassung gewählt, wer die absolute Mehrheit der Landtagsmitglieder auf sich vereint – das wären im 90-köpfigen Parlament mindestens 46 Stimmen. Rot-Rot-Grün ist allerdings in der Minderheit, dem Bündnis fehlen vier Stimmen. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Thüringen- Bundes-CDU gegen Wahl Ramelows mit CDU-Stimmen

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    Linke, SPD und Grüne streben die Wahl Ramelows bereits im ersten Wahlgang an. Dafür setzen sie auf Stimmen aus dem CDU-Lager. Die CDU bleibt offiziell auf der Linie, dass sie den Linkspolitiker „nicht aktiv“ zum Regierungschef wählen wird. Hintergrund ist ein CDU-Parteitagsbeschluss von 2018, der die Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD verbietet.

    Es wird aber darüber spekuliert, ob mehrere CDU-Abgeordnete in der geheimen Wahl bereits im ersten Wahlgang für Ramelow stimmen könnten. Auch Ramelow selbst hofft darauf nach Gesprächen mit mehreren Christdemokraten, wie er betonte. Damit sollen mögliche Stimmen von der AfD überflüssig werden, die einzig das Ziel hätten, Ramelow zu diskreditieren. Die AfD selbst erklärte im Vorfeld, sie werde dem Linkspolitiker keine Stimme geben.

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      Rot-Rot-Grün und CDU haben sich auf Stabilitätspakt geeinigt

      Nach dem wochenlangen Hickhack und dem politischen Vakuum – Kemmerich ist nur geschäftsführend ohne Minister im Amt – dürften sich auch viele Abgeordnete der CDU nach Normalität sehnen. Die wäre mit einer Übergangsregierung unter Ramelow gegeben und könnte bis zur vereinbarten Neuwahl im April 2021 einige wichtige Projekte wie den neuen Landeshaushalt umsetzen. Rot-Rot-Grün einigte sich dafür mit der CDU bereits auf einen gemeinsamen Stabilitätspakt.

      Zudem ist die Ministerpräsidentenwahl geheim, so dass das Abstimmungsverhalten der Christdemokraten konkret nicht nachvollziehbar wäre. Allerdings bleibt dies bis zuletzt mit Unsicherheiten behaftet.

      Theoretisch kann auch Höcke Ministerpräsident werden

      Auch Höcke könnte theoretisch Ministerpräsident werden, wenn Ramelow im ersten Wahlgang scheitern und die Linksfraktion ihren Kandidaten zurückziehen würde. Wäre Höcke in einem dritten Wahlgang alleiniger Kandidat, könnte er mit relativer Mehrheit nur mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Nach Höckes Ankündigung, sich zur Wahl zu stellen, muss Ramelow im schlimmsten Fall alle Runden durchhalten, wenn er Höcke nicht das Feld überlassen will.

      Die Linke wollte eigentlich nach Angaben von Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow die Selbstauflösung des Landtags und Neuwahlen beantragen, wenn Ramelow nicht schon im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit von 46 Stimmen erhält. Gemäß Artikel 50 Absatz zwei der Verfassung könnte die vorzeitige Auflösung des Landtags von einem Drittel der Abgeordneten beantragt werden – das wären 30 Parlamentarier.

      Begnügt sich die Linke mit der einfachen Mehrheit im dritten Wahlgang?

      Diesem Antrag müssen wiederum zwei Drittel – also 60 Abgeordnete – zustimmen. Das ist eine hohe Hürde. Und die CDU, die in den jüngsten Umfragen heftig abstürzte, hat derzeit kein Interesse an einer schnellen Neuwahl. Womöglich begnügt sich die Linke aber auch im dritten Wahlgang mit einer einfachen Stimmenmehrheit von Rot-Rot-Grün, um Ramelow zurück in die Staatskanzlei zu holen. Bei den anderen Fraktionen würden dazu Enthaltungen reichen.

      Über den Antrag zur Auflösung des Parlaments darf frühestens am elften und muss spätestens am 30. Tag nach Antragstellung abgestimmt werden. Ist der Antrag auf Auflösung des Landtags erfolgreich, muss die vorzeitige Neuwahl binnen 70 Tagen stattfinden. Andernfalls bliebe Kemmerich weiter geschäftsführend im Amt – und Thüringen im politischen Chaos gefangen. (afp/dpa)