Berlin. Frank Werneke wird neuer Vorsitzender der zweitgrößten Gewerkschaft Deutschlands. Verdi-Gründungschef Bsirske tritt nach 18 Jahren ab.

Man kann mit Frank Werneke über vieles sprechen, sein Privatleben gehört nicht dazu. Dass er gern ins Sportstudio geht, ist alles, was der neue Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi erzählt. Natürlich weiß Werneke, dass er künftig im öffentlichen Rampenlicht stehen wird, dass er in Talkshows eingeladen und vielleicht auf der Straße erkannt wird. Aber das hat alles mit dem Job zu tun, nicht mit ihm als Person.

Klappt alles wie geplant, dann wird Werneke an diesem Dienstag auf dem Gewerkschaftstag von Verdi in Leipzig zum Chef gewählt. Aber was soll groß schiefgehen – andere Kandidaten gibt es nicht. Eine Frau ließ sich für den Posten angeblich auch nicht finden. Der 52-jährige Werneke wird also die Nachfolge von Frank Bsirske antreten, der im Februar 67 Jahre alt geworden ist.

Werneke: Vom Stellvertreter zum Nachfolger

18 Jahre lang stand Bsirske an der Spitze von Verdi. Er war das Gesicht dieser „Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft“, wie Verdi offiziell heißt. Ein Riesenladen mit noch immer fast zwei Millionen Mitgliedern in Dutzenden von Branchen.

Werneke wird nun das neue Gesicht. Er trägt denselben Vornamen, hat aber seinen eigenen Kopf: „Wir sind unterschiedliche Personen. Ich habe meinen eigenen Stil“, sagt Werneke, der fast die ganze Zeit Bsirskes Stellvertreter war. Freunde sind sie nicht geworden, aber der Umgang sei „mehr als nur professionell“, wie Werneke es formuliert.

Das Erbe, das er nun antritt, könnte größer nicht sein. Bsirske hat Verdi 2001 mitgegründet und seither zusammengehalten. Er hat die Gewerkschaft als politische Kraft etabliert, hat wie kein zweiter Gewerkschaftschef gegen Hartz IV und für den Mindestlohn gekämpft. Dass es die Lohnuntergrenze heute gibt, ist Bsirskes Verdienst: „Ohne Bündelung mehrerer Gewerkschaften zu Verdi hätten wir keinen Mindestlohn durchsetzen können“, sagt er heute, „weder in der Gesellschaft noch im DGB.“

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    In vielen Branchen kann Verdi keine Tarifverträge schließen

    Werneke will an dieser Stelle weitermachen. In seinen ersten Interviews hat er sich klar für zwölf Euro Mindestlohn und für die Grundrente ausgesprochen. Die Minijobs will er genauso abschaffen wie sachgrundlose Befristungen. Von der schwarzen Null, also der Weigerung der Bundesregierung, neue Schulden zu machen, hält er nichts: Daran festzuhalten, sei „purer Unsinn“. In einem Interview mit unserer Redaktion sprach er sich zudem für eine einkommensabhängige CO2-Steuer aus.

    Anders als Bsirske, der als bislang einziger Gewerkschaftschef Grünen-Mitglied war, ist Werneke seit seiner Jugend in der SPD. Nur die Agenda-Politik von Gerhard Schröder brachte ihn an den Rand des Austritts: Das sei eine „Phase des Leidens“ gewesen, wie er sagt. Die Schmerzen über den Zustand der Partei seien damals fast noch größer gewesen als heute.

    Besonders die Altenpflege bereitet der Gewerkschaft Probleme

    Die größte Baustelle für den neuen Verdi-Chef ist aber eine andere: In vielen Branchen kann die Gewerkschaft ihrer ureigenen Rolle als Arbeitnehmervertretung gar nicht gerecht werden. Verdi ist dort schlicht nicht in der Lage, Tarifverträge durchzusetzen. Beispiel Altenpflege: Kaum ein privater Heimbetreiber will einen Tarifvertrag unterschreiben – und Verdi kann kaum etwas dagegen tun, weil der Organisationsgrad der Beschäftigten „unterirdisch“ niedrig ist, wie Frank Bsirske es ausdrückt.

    In solchen Fällen hofft Verdi auf die Hilfe des Staates: Der Bundesarbeitsminister soll die wenigen Tarifverträge, die es in der Pflege gibt, für allgemeinverbindlich erklären. Es ist eine Hilfskonstruktion, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Sozialpartnerschaft verweigern.

    Verdis unermüdlicher Kampf gegen Amazon

    Die Alternative wäre ein so zäher Kampf, wie Verdi ihn mit dem Versandhändler Amazon ausficht: Die Gewerkschaft fordert in den deutschen Versandzentren seit sechs Jahren einen Tarifvertrag wie im Einzelhandel, der US-Konzern lehnt das ab und lässt sich auch durch regelmäßige Streiks nicht beeindrucken.

    Werneke sieht trotzdem Erfolge: Amazon habe die Gehälter erhöht und zahle sogar Weihnachtsgeld. „An allen Standorten gibt es Betriebsräte und Verdi ist mit 40 bis 60 Prozent der Belegschaft gut organisiert“, sagt er. „Wir haben da einen ganz langen Atem.“

    Eine Gründung aus der Not

    Auch in der Gewerkschaft selbst ist noch genug zu tun: Verdi wurde 2001 aus der Not geboren. Die fünf Gründungsgewerkschaften waren allein kaum mehr lebensfähig. Zusammen wollten sie stark sein, doch die Organisation geriet derart komplex, dass sie sich oft selbst gelähmt hat. Nur Bsirskes Kommunikationstalent konnte sie zusammenhalten. Sein Nachfolger Werneke hat das Glück, dass der Gewerkschaftskongress ihm eine Organisationsreform mit auf den Weg geben will.

    Als Vizechef war Werneke zuletzt für Finanzen und Mitgliederentwicklung zuständig. In beiden Bereichen sei man gut unterwegs, versichert er. Es kämen mehr Beiträge in die Kasse; pro Jahr würden 120.000 Menschen neu eintreten. Trotzdem: Seit der Gründung hat Verdi fast eine Million Mitglieder verloren.

    Wernekes erstes Ziel: Weniger Arbeitszeit in Ostdeutschland

    Die erste Feuerprobe wird Werneke spätestens im Sommer nächsten Jahres bestehen müssen: Da wird er erstmals Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst in Kommunen führen, das ist bei Verdi traditionell Chefsache.

    Als Bsirske sich in diesem Jahr mit dem „besten Ergebnis seit vielen Jahren“ aus dem Tarifgeschäft verabschiedete, saß Werneke schon als stiller Beobachter mit am Tisch. Nächstes Jahr will er beweisen, dass er es genauso kann: Dann soll die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst in Ostdeutschland flächendeckend sinken.