Europawahl

Jung und urban – warum die Grünen so erfolgreich sind

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Annalena Baerbock (l.), Grünen-Vorsitzende, und Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen, umarmen sich jubelnd nach der Bekanngabe der ersten Prognose für die Europawahl.

Annalena Baerbock (l.), Grünen-Vorsitzende, und Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen, umarmen sich jubelnd nach der Bekanngabe der ersten Prognose für die Europawahl.

Foto: Kay Nietfeld / dpa

In fast allen deutschen Metropolen landen die Grünen bei der EU-Wahl auf Platz eins. Ihr Erfolg dürfte andauern – doch die Partei muss liefern

Berlin.  Deutschlands Metropolen haben ihr Kreuz vor allem an einer Stelle gesetzt: bei den Grünen. Ob Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, München, Stuttgart, Frankfurt oder Leipzig – überall sind die Grünen nach der Europawahl auf Platz eins. Die Partei lässt in neun der zehn größten Städten des Landes die politische Konkurrenz hinter sich. Insgesamt sind die Grünen deutschlandweit die zweitstärkste Kraft hinter der Union.

Selbst in Sachsen, wo insgesamt die AfD stärkste Partei ist und etwa auch die Landeshauptstadt Dresden für sich entscheiden kann, ist Leipzig eine grüne Hochburg, mit 20,2 Prozent der Stimmen. „Heute ist ein Sunday for Future! Das war eine Richtungswahl und die Menschen haben Richtung Klimaschutz und eines solidarischen Europa gewählt“, sagte der Grünen-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Sven Giegold.

In München landet die CSU bei 26,9 Prozent der Stimmen – die Grünen holen 31,2. Schon bei der Landtagswahl in Bayern im vergangenen Jahr erzielte die Partei einen Überraschungserfolg. In Hamburg, in dem die SPD lange als Hausmacht galt, lassen die Grünen mit 31,2 Prozent die Sozialdemokraten weit abgeschlagen hinter sich (19,8 Prozent). Auch die CDU kommt nur auf 17,7 Prozent.

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Grüne bei Europawahl auch ganz im Norden stärkste Kraft

Auch in Schleswig-Holstein etwa, einem eher konservativen, landwirtschaftlich geprägten Flächenland mit Kiel als einziger echter Großstadt, liegen sie vor der CDU auf Platz eins. Einzig in Essen schaffen es die Grünen nicht auf den Spitzenplatz – die CDU landet in der nordrhein-westfälischen Metropole knapp vor der Umweltschutzpartei.

Der Erfolg der Grünen zeigt sich vor allem bei jungen Menschen. Aber nicht nur dort: Wie eine Erhebung von Infratest dimap für die ARD ergab, wurden sie bei den unter 60-Jährigen mit 25 Prozent stärkste Kraft - bei den 25- bis 34-Jährigen holten sie sogar 27 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen gar 34 Prozent. Die Koalitionsparteien von Union und SPD erreichen bei den jüngsten Wählenden nur knapp mehr zehn Prozent der Stimmen. Noch bei der Bundestagswahl 2017 waren CDU und CSU in diesem Milieu vorne. Das ist gekippt. Die Grünen profitieren von der Krise der traditionellen Volksparteien.

Die Grünen geben sich jung und urban

Jung und urban – das sind die grünen Stammwähler. Schon immer war die Partei bundesweit in den Großstädten stärker als im ländlichen Raum oder in kleineren Städten. Und die Städte in Deutschland wachsen. Ein Ausnahmeerfolg war bisher der Sieg der Grünen in Baden-Württemberg, wo sie mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellen. Stehen die Grünen jetzt vor dem Durchbruch zur Volkspartei?

Für eine abschließende Bilanz ist noch Vorsicht geboten, genaue Analysen für die Motive zur Wahl fehlen noch. Und immer schon waren die Grünen eine Partei der urbanen Schicht, der besser Gebildeten und besser Verdienenden. Doch die Trends sind eindeutig.

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Vor allem eine Wahlkämpferin hatten die Grünen: Greta Thunberg. Die schwedische Umweltaktivisten machte „Fridays For Future“ groß. Wöchentlich demonstrieren junge Menschen für den Klimaschutz – und das Thema landet in den Medien. Wenn eine Partei sich an die Spitze der Bewegung setzen kann, dann sind es die Grünen. Und offenbar genießt sie bei den jungen Wahlberechtigten das Vertrauen, am besten das Klima zu schützen. Mehr als die Hälfte der Deutschen trauen der Partei zu, hier am ehesten die Wege aus der Klimakrise zu finden. Bei der Europawahl 2014 war es laut Umfragen nur jeder Fünfte.

Neben Greta Thunberg stach in der Woche vor der Wahl aber noch eine weitere Wahlkämpferin hervor. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Ska Keller. Keller lag im Suchinteresse nach den Spitzenkandidaten der Parteien bei Google in der Woche vor der Wahl recht konstant vorne. Am Tag nach der Wahl googelte jeder vierte, der einen der Kandidaten suchte nach ihr. Der Spitzenkandidat der Union kam zum Vergleich auf nur 16 Prozent der Suchanfragen und landete auf Platz vier.

Bisher scheitert Klimapolitik

Hitzewellen, Naturkatastrophen, Diesel-Skandal – das Thema Umwelt und Klima ist längst nicht mehr nur Klientelpolitik. Klima steht weit oben auf der Liste der Probleme, bei denen Menschen von der Politik Lösungen erwarten. Bisher aber vermittelten die Regierungen vor allem Hilflosigkeit. Große Klima-Konferenzen endeten mit schlaffen Beschlüssen, der Kohlendioxid-Ausstoß steigt.

Zugleich fielen die Grünen mit einer konsequent liberalen Asylpolitik auf. Während die Koalition von Union und SPD auf schärfere Gesetze in der Flüchtlingskrise setzte, weigern sich die Grünen im Bundesrat bis heute, die Maghrebstaaten als
„sicher“ einzustufen. Auch das dürfte der Partei bei der jungen Wählerschaft Pluspunkte eingebracht haben, zeigen sich in den Umfragen junge Menschen meist deutlich offener gegenüber Geflüchteten als ältere.

Stimme gegen rechts?

Viele dürften die Grünen somit auch eine Stimme gegen die rechte AfD gesehen haben. Die rechtspopulistische Partei bleibt vor allem im Osten stark. Für Europa, für den Klimaschutz, für offene Grenzen. Und die Konkurrenz reagiert noch am Wahlabend. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht die Partei nach dem Debakel bei der Europawahl bei Anstrengungen für mehr Klimaschutz in der Pflicht. Miersch sagte: „Wir sehen, dass die Bevölkerung das Thema Klimaschutz ganz oben ansiedelt. Die SPD hat per Koalitionsvertrag Druck gemacht für ein Klimaschutzgesetz.“

• Aktuell: Alle Entwicklungen zur Europawahl 2019 im News-Blog

Junge Menschen wählen mehrheitlich grün. Und diese Klientel informiert sich stark digital und abseits von Zeitungen und Fernsehen. Der Youtuber Rezo nahm zuletzt die CDU mit einem Video unter Feuer. Auch die SPD und die AfD standen im Visier der „Influencer“ im Internet. Sie verschonten die Grünen. Nach dem Video von Rezo warten CDU und SPD weiter nach einem Gesprächsangebot auf eine Antwort. Welche Auswirkungen das Video auf die Entscheidung an der Urne gehabt hat, ist vorerst unklar. Und doch bestätigt auch die Debatte der vergangenen Woche, wo die Präferenzen junger Menschen liegen. Und wen sie favorisieren.

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Doch der Druck auf die Grünen aus der eigenen Wählerschaft ist da. Führungspersonen aus der Klimaschutzbewegung „Fridays For Future“ werten das gute Abschneiden der Grünen als Zeichen dafür, dass die Abstimmung eine „Klimawahl“ gewesen sei. Und doch sagen sie auch ziemlich deutlich: Die Partei müsse nun Taten folgen lassen.

Und schon einmal – vor knapp zehn Jahren – legten die Grünen eine Serie von Wahlerfolgen hin. Beschleunigt durch die Debatte nach dem Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Doch bei der Bundestagswahl 2013 konnte sie diese Erfolgswelle nicht fortsetzen. Die Partei holte damals nach eigenem Ansinnen nur enttäuschende 8,4 Prozent der Stimmen. (cu/dpa)

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