Brüssel. Ist die Nato ein Relikt des Kalten Krieges? Steigen die USA unter Trump aus dem Bündnis aus? Sieben Fragen und Antworten zum Jubiläum.

Sie versteht sich als erfolgreichstes Bündnis der Geschichte: Die Nordatlantische Allianz (Nato) wird an diesem Donnerstag 70 Jahre alt. Doch beim feierlichen Treffen der Nato-Außenminister am Gründungsort Washington ist die Stimmung getrübt. Es gibt Streit ums Geld und viel Diskussionsbedarf. Wie steht die Nato da? Sieben wichtige Fragen zum 70. Geburtstag.

Lastenteilung: Beschummelt Deutschland die Nato?

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überschattet das Jubiläums-Treffen. Neu ist die Klage der USA nicht, neu ist der scharfe Ton. Den setzte wieder

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„Ich habe große Gefühle für Deutschland, aber sie zahlen nicht, was sie zahlen müssen“, klagte er bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Die USA zahlten einen großen Anteil, „das ist sehr unfair“.

Die aktuelle Kritik bezieht sich auf eine Vereinbarung aller Nato-Staaten von 2014, bis 2024 eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung anzustreben. Deutschland liegt bislang bei nur 1,24 Prozent, wollte eigentlich bis 2024 auf 1,5 Prozent kommen.

In Anwesenheit von US-Präsident Harry S. Truman (M) unterzeichnete der amerikanische Außenminister Dean Acheson am 4. April 1949 den Nordatlantikpakt. Unter dem Symbol der vierstrahligen Windrose schlossen sich am 4. April 1949 zehn europäische Staaten mit den USA und Kanada zu dem Verteidigungsbündnis „Nord-Atlantische Vertragsorganisation“, (engl. Abkürzung: Nato) zusammen.
In Anwesenheit von US-Präsident Harry S. Truman (M) unterzeichnete der amerikanische Außenminister Dean Acheson am 4. April 1949 den Nordatlantikpakt. Unter dem Symbol der vierstrahligen Windrose schlossen sich am 4. April 1949 zehn europäische Staaten mit den USA und Kanada zu dem Verteidigungsbündnis „Nord-Atlantische Vertragsorganisation“, (engl. Abkürzung: Nato) zusammen. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Consolidated

Doch mit der neuen

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steht selbst dieses Mini-Ziel infrage. Zum Missfallen der Verbündeten. Beim Jubiläumstreffen ist Ärger programmiert. Die amerikanische Nato-Botschafterin Kay Hutchinson hat in Brüssel schon die Hoffnung auf einen Regierungswechsel in Berlin geäußert – eine ungewöhnliche Provokation.

Aber auch Osteuropäer oder Franzosen sind verschnupft. Das Problem: Die Zahlen sprechen klar gegen Berlin. Ärgerlich, denn Deutschland leistet mehr, als es aussieht. Es ist zweitgrößter Truppensteller der Nato, führt die schnelle Eingreiftruppe des Bündnisses und gehört zu den Leitnationen bei der Nato-Präsenz im Baltikum. Die Ausgaben wurden bereits deutlich erhöht, auch wenn die Ausrüstungsmängel noch lange nicht beseitigt sind.

Die Zahlen sind innerhalb des Bündnisses schwer vergleichbar: Die USA geben zwar mit 3,4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung doppelt so viel für die Verteidigung wie die Europäer aus. Aber sie finanzieren damit „eine global agierende Streitmacht“, die zum großen Teil unabhängig von der Nato operiere, wie es in einer Studie der Bundesakademie für Sicherheitspolitik heißt.

Ist die Nato das letzte Relikt des Kalten Kriegs?

Schon der Ursprung spricht dagegen: Die Gründungsidee entstand in Europa bereits 1947, das Bündnis sollte zunächst eine Allianz gegen eine befürchtete „deutsche Aggressionspolitik“ sein. Als die Nato dann am 4. April 1949 von den USA, Kanada und zunächst zehn westeuropäischen Staaten in Washington offiziell gegründet wurde, zeichnete sich die Blockkonfrontation aber schon klar ab.

Im Nordatlantikvertrag beschworen die Partner Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und verpflichteten sich im Artikel 5 zum kollektiven Beistand im Fall einer militärischen Aggression von außen. Auch wenn es oft anders verstanden wird: Das bedeutet nicht zwingend, dass die Staaten militärische Hilfe leisten – unter anderem die USA legten Wert darauf, dass jeder selbst entscheidet, welche Maßnahme er trifft. Den eigentlichen Zweck der Nato fasste ihr erster Generalsekretär Lord Ismay so zusammen: „Die Russen draußen, die Amerikaner drinnen, die Deutschen unten halten.“

Das Verteidigungsbündnis konnte Frieden und Sicherheit erhalten, am Ende kollabierte die Sowjetunion. Zweifel an seinem Fortbestand beantwortete die Nato nach 1990 aber mit einer erstaunlichen Wandlungsfähigkeit. Sie erfand sich praktisch neu, wurde zum Krisenmanager, griff mit Militäreinsätzen in Konflikte auf dem Balkan ein, stellte sich in den Dienst von UN und OSZE, setzte Soldaten ab 2001 auch im Kampf gegen internationalen Terrorismus ein. Nach und nach traten 13 ost- und südosteuropäische Staaten der Allianz bei, die jetzt 29 Mitglieder hat.

Wo kämpft die Nato?

11. September 2001: Nach den Terrorattacken auf das World Trade Center in New York und das Pentagon rief die Nato den Verteidigungsfall aus – das einzige mal in der 70-jährigen Geschichte.
11. September 2001: Nach den Terrorattacken auf das World Trade Center in New York und das Pentagon rief die Nato den Verteidigungsfall aus – das einzige mal in der 70-jährigen Geschichte. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Seth_Mccallister

Der größte Einsatz in Nato-Regie läuft noch immer in Afghanistan, wo derzeit rund

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vor allem den Aufbau der afghanischen Streitkräfte unterstützen, darunter rund 1200 Bundeswehrsoldaten. Weitere Nato-Missionen: im Kosovo, bei der Überwachung des Luftraums im Baltikum und auf dem Westbalkan, im Mittelmeer mit der Operation „Sea Guardian“, bei der Unterstützung der Afrikanischen Union und im Irak beim Training der Streitkräfte.

Insgesamt sind derzeit etwa 20.000 Nato-Soldaten im Einsatz. An allen Missionen ist auch die Bundeswehr mit – meist kleineren – Kontingenten beteiligt, die aber darüber hinaus auch weitere Kräfte für EU-Missionen stellt. Den Verteidigungsfall hat das Bündnis nur ein einziges Mal ausgerufen – nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 in New York.

Ist Russland der Gegner der Nato?

Offiziell nicht. Aber das Bündnis richtete sich im Kalten Krieg klar gegen die So­wjetunion und den Warschauer Pakt. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR begannen Versuche, eine Zusammenarbeit der Nato mit Russland aufzubauen. Parallel zur geplanten Nato-Erweiterung wurde eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Moskau vereinbart, ein ständiger Nato-Russland-Rat gegründet. Russland beteiligte sich sogar an Nato-Missionen auf dem Balkan.

Doch die mehrstufige Osterweiterung der Allianz und weitere Kooperationen mit russischen Nachbarn empfand Moskau als Einkreisung durch den Westen und Bedrohung seiner Interessen. Das Verhältnis kühlte sich etwa seit 2004 ab, Russland änderte seine geopolitische Strategie. Die russische Annexion der Krim, Beginn eines größeren Ukraine-Konflikts, hat die Nato alarmiert: Die Abschreckung Russlands, die Fähigkeit zur Landesverteidigung nimmt seitdem wieder großen Raum ein. 4000 Soldaten sind in Osteuropa stationiert, eine neue schnelle Eingreiftruppe wurde aufgebaut, die Verteidigungsausgaben wurden erhöht.

Steigen die USA unter Trump aus dem Bündnis aus?

Standpauke: Beim Nato-Gipfel im Mai 2017 in Brüssel staucht US-Präsident Donald Trump (Mitte) seine Amtskollegen wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben zusammen.
Standpauke: Beim Nato-Gipfel im Mai 2017 in Brüssel staucht US-Präsident Donald Trump (Mitte) seine Amtskollegen wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben zusammen. © picture alliance/AP Photo | dpa Picture-Alliance / Matt Dunham

Das ist nicht ausgeschlossen. Trump hat die Nato schon als „obsolet“ bezeichnet, beim

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wenn die ihre Verteidigungsausgaben nicht erhöhten. Laut „New York Times“ hat Trump auch bei anderen, privaten Gelegenheiten den Wunsch geäußert, die USA aus dem Bündnis zu führen.

In der Nato-Zentrale beruhigt man sich mit dem Befund, dass Trump sich öffentlich zu „100 Prozent“ zum Bündnis bekannt hat. Zudem handeln die USA bislang völlig anders, als Trump redet: Tatsächlich ist das amerikanische Militärengagement in Europa verstärkt, nicht verringert worden. Allein dieses Jahr stecken die USA 6,4 Milliarden Euro in eine europäische Abschreckungsinitiative, für Ausrüstung und Soldaten. Die Zusammenarbeit in den Nato-Stäben ist gut wie eh und je. Und im US-Kongress steht eine breite Mehrheit hinter der Nato und gegen alle Austrittsüberlegungen; nach Umfragen denken auch 70 Prozent der Amerikaner so.

Doch Zweifel bleiben, dass die USA unter Trump wirklich im Bündnisfall eingreifen würden. „Die größte Herausforderung ist, dass erstmals ein US-Präsident die Nato nicht aus Überzeugung unterstützt und anführt“, heißt es in einer neuen Studie von zwei ehemaligen US-Botschaftern bei der Nato, Nicholas Burns und Douglas Lute.

Können sich die Europäer ohne Nato verteidigen?

In absehbarer Zeit nicht. „Europa ist ohne die Allianz und den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner nicht verteidigungsfähig“, sagt der Chef der Münchner der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Die USA sind Hauptpfeiler des Bündnisses, auch mit ihrem nuklearen Schutzschirm für Europa – Frankreich und Großbritannien beteiligen die Verbündeten bislang nicht an ihrem relativ kleinen Arsenal von rund 500 Atomsprengköpfen (Russland hat rund 6800). „Wir sind blind, taub und unfähig ohne den amerikanischen Partner“, sagt Ischinger.

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mit unserer Redaktion: „Europäische Sicherheit hängt von der transatlantischen Bindung ab. Die EU sollte auf keinen Fall die Botschaft übermitteln, dass sie allein handeln will.“

Wie blickt die Nato in die Zukunft?

Zum Feiern ist niemandem zumute. Beim Jubiläum ist die Stimmung im Bündnis schlecht. Die Spannungen zwischen Europäern und USA sind so groß wie lange nicht. Unabhängig vom Geld verlagern sich die globalen Gewichte: Die USA wenden sich verstärkt dem Rivalen China zu, Russland verliert für sie an Bedeutung – und damit auch die Nato.

Beim Jubiläumstreffen soll nun über die Herausforderung durch China gesprochen werden. China sei Militärmacht, könne Teile seiner Waffensysteme weltweit einsetzen und rücke auch damit näher, dass es Marinemanöver im Mittelmeer oder in der Ostsee abhalte, heißt es. Sorgen bereitet aktuell das Mitglied Türkei, das sich immer weiter von der Nato entfernt. Auf die neuen Gefahren des Cyberkriegs muss die Nato erst noch Antworten finden.