Berlin. Rüstungsmitarbeiter sollen Geheimpläne des Verteidigungsministeriums verbreitet haben. Nun wird drei Männern der Prozess gemacht.

Parkplätze sind Orte des flüchtigen Augenblicks. Unauffällig genug für die Rüstungsexperten Thomas Meuter und Martin M., die sich laut Generalbundesanwaltschaft Anfang September 2016 auf einem Parkplatz treffen. Meuter hat für seinen Berufskollegen und Freund die 51-seitige Kopie eines Dokuments dabei, das die Aufschrift „GEHEIM“ trägt. Meuter bestreitet dies, zuletzt auch öffentlich – deshalb wird er mit seinem richtigen Namen genannt.

Die Dokumente betreffen Einzelplan 14, den Etat des Verteidigungsministeriums. Sie erlauben Rückschlüsse auf die Schlagkraft von Bundeswehr und Nato sowie auf die Haushaltsplanung. Für die Rüstungslobbyisten ist es die Kartografie eines Claims. Sie steckt eine geschäftliche Goldader ab. Wer weiß, womit die Militärs kalkulieren, kann seine Firmenpolitik entsprechend ausrichten und ist bei Verhandlungen im Vorteil.

Die Spur lässt sich bis in ein Abgeordnetenbüro verfolgen

Die Männer ahnen nicht, dass es der Beginn einer verhängnisvollen Affäre ist. Sie wird Kreise ziehen – bis ins Büro des CDU-Abgeordneten Karl A. Lamers –, beide in Untersuchungshaft bringen und bis heute verfolgen. Am Dienstag hat der Bundesgerichtshof verkündet, dass ein Verfahren vor einem Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) eröffnet wird. Den zwei Männern wird der Prozess „wegen Offenbarens von Staatsgeheimnissen“ gemacht. Und noch ein weiterer Mann wird angeklagt.

Mithin wird die Begründung des Bundesgerichtshofes zum Sittengemälde einer ganzen Branche. Nach den Aussagen der Angeklagten habe die „Übung“ bestanden, „entsprechende Dokumente und Informationen untereinander und mit Dritten – wie in der Rüstungslobby nicht unüblich – auf Gegenseitigkeit der Kontaktpflege im beruflichen Bereich auszutauschen.“ Es gibt „Kontaktbörsen“ für Militärs, Beamte, Rüstungslobbyisten und Branchendienste, deren Geschäftsmodell Insiderinformationen sind.

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    Der Maulwurf war entweder ungeschickt oder leichtsinnig

    Für Volksvertreter sind die Geheimnisse nur bedingt zugänglich. Sie liegen in einem begehbaren Tresor im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Man drückt auf eine Klingel, über eine Kamera erhaschen die Mitarbeiter der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages einen Blick darauf, wer Einlass begehrt.

    Die Unterlagen können in einem hell erleuchteten Raum mit Fenstern eingesehen werden. Es ist erlaubt, sich Notizen zu machen, aber sie müssen dort verbleiben, in einem Kuvert verschlossen. Auf jedem Dokument ist vermerkt, wie viele Exemplare es davon gibt. Zudem wird es mit einer „Tagebuchnummer“ versehen. Daran kann man erkennen, wer es gelesen hat. Meist ist die Nummerierung auf dem Deckblatt. Wer sich unangreifbar machen will, sticht die Papiere besser ohne Nummer durch. Der Maulwurf war ungeschickt oder so in Übung, dass er leichtsinnig wurde.

    Tatsächlicher Maulwurf konnte nicht enttarnt werden

    Abgeordnete können sich solche Papiere holen lassen, sofern sie die Unterlagen in einem Safe im Büro verwahren. Einer von ihnen ist Karl A. Lamers, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Das Dokument, das Martin M. besaß, lässt sich bis zu Lamers Büro zurückverfolgen, wo im Frühsommer 2018 das Bundeskriminalamt anklopft. Der CDU-Mann ist „einigermaßen überrascht“.

    Lamers beteuert im Gespräch mit unserer Redaktion, er habe die in Rede stehenden Papiere „nie in der Hand gehalten“. Er und seine Mitarbeiter würden „sehr hohe ethische Prinzipien im Umgang mit dem Material anlegen“. Den tatsächlichen Maulwurf konnten die Ermittler nicht enttarnen. Angeklagt sind die Industrievertreter.

    Grünen-Verteidigungsexperte fordert Schulungen für Abgeordnete

    FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hofft, dass dieser Fall „einen hohen Abschreckungsfaktor hat“. Wenn es um die Sicherheit gehe, „muss der Spaß aufhören“, sagt sie unserer Redaktion. Der Verrat von Geheimnissen sei „ein Ritt auf der Rasierklinge“.

    Ihr Grünen-Kollege Tobias Lindner mahnt Schulungen für Abgeordnete an, in denen der richtige Umgang mit vertraulichen Inhalten klargemacht werde. „Da muss es eine Sensibilisierung geben, und jeder muss sich klar sein, dass Geheimnisverrat eine Straftat ist“, sagt er.

    Es steht Aussage gegen Aussage

    Martin M. hat die Vorwürfe gestanden und wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Meuter blieb hinter Gittern, von Ende Januar bis Anfang Juli 2018. Er dementierte im „Spiegel“, die Unterlagen überhaupt übergeben zu haben. Es steht Aussage gegen Aussage.

    Der 55-jährige Meuter war bei „Dynamit Nobel Defence“, einer Traditionsfirma, die einem israelischen Konzern gehört. Martin M. arbeitete für den Rüstungslieferanten ESG in Fürstenfeldbruck, der Elektronik entwickelt.

    Papiere nachlässig in unverschlossener Schublade deponiert

    Die Staatsanwälte glauben, dass der 59-jährige Martin M. die Papiere am 19. September 2016 einem Abteilungsleiter von ESG sowie dem „Projektmanager Helikopterumfeld“, dem 38 Jahre alten Thomas K., gab. K. bewahrte sie in einem Rollcontainer im Büro auf – unverschlossen. So viel Nachlässigkeit rächte sich. Am 22. November 2016 wurden die Unterlagen bei einer Routinekontrolle des Sicherheitsdienstes entdeckt. Das Unternehmen alarmierte daraufhin den Verfassungsschutz.

    Paragraf 95 im Strafgesetzbuch besagt, wer ein Staatsgeheimnis „an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekannt macht und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“. Das betrifft nicht nur das Leck im Bundestag, sondern auch alle Personen, die das Papier verbreiteten.

    Für Juristen ist die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit maßgeblich. Das OLG wollte kein Verfahren eröffnen. Es sah keine Anhaltspunkte dafür, dass eine fremde Macht von Geheimnissen erfahren habe. Deshalb habe keine „konkrete Gefahr“ für die äußere Sicherheit bestanden.

    Es ist der pure Zufall, ob das Geheimnis verraten wird

    Die Düsseldorfer wurden indes eines Besseren belehrt. Sie hätten außer Acht gelassen, „dass der militärische Bereich und ihn beliefernde Unternehmen nach allgemeiner Erfahrung besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Ausspähung durch fremde Mächte stehen“, urteilte der Bundesgerichtshof. Bereits eine „firmeninterne Verwendung“ des Staatsgeheimnisses lasse in der „Gesamtschau“ die Gefahr besonders hoch erscheinen, dass ein Staatsgeheimnis verraten werde, „zumal wenn es – wie hier – einer unbestimmten Zahl von Personen für firmeninterne Zwecke offenbart werden soll.“

    Im Klartext: Gelegenheit schafft Diebe. Hinzu käme, dass „Dynamit Nobel Defence“ ein Tochterunternehmen eines israelischen Konzerns sei und seinerseits Tochterfirmen im Ausland unterhalte, etwa in China und der Türkei. Ob das Geheimnis einer fremden Macht zugetragen werde oder nicht, befanden die Karlsruher Richter, hänge damit praktisch nur „vom Zufall“ ab.

    Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr standen zuletzt häufiger im Fokus.

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    Der Bundesrechnungshof hatte bereits im September 2018 kritisiert,

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    Zuletzt beschäftigte sich die Bundeswehr aber mit einem ganz anderen Thema:

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