München. Die USA stufen europäische Autos als Bedrohung für die nationale Sicherheit ein. Das erklärte Bundeskanzlerin Merkel in München.

Zu Beginn ihrer Rede taucht Angela Merkel tief in die Geschichte ein. Der gegenwärtige Zustand der Welt erinnere sie an den vor 250 Jahren geborenen Naturforscher Alexander von Humboldt, sagt die Kanzlerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz. „Er hatte den Drang, die Welt als Ganzes zu sehen und zu verstehen.“

Genau darauf komme es heute an. „Wir müssen in vernetzten Strukturen denken. Die militärische Komponente ist davon eine.“ Die Nato stehe aber auch für eine Wertegemeinschaft, die auf Menschenrechten und Demokratie beruhe. Es ist eine Spitze gegen die massive Aufrüstungspolitik von US-Präsident Donald Trump.

Merkel, die nicht als mitreißende Rednerin bekannt ist, spricht an diesem Vormittag engagiert wie selten, hebt immer wieder die Hände, ballt sie zur Faust. Es scheint, als stehe sie unter Strom, als wolle sie den rund 30 anwesenden Staats- und Regierungschefs und 90 Ministern ihr außenpolitisches Vermächtnis darlegen.

Sie erwähnt Trump mit keinem Wort, doch fast jeder Punkt wird zur Abrechnung mit dessen „America First“-Politik. So warnt sie vor einem Zerfall internationaler politischer Strukturen. „Wir dürfen sie nicht einfach zerschlagen.“ Sie wirbt für internationale Zusammenarbeit und gemeinsame Absprachen.

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Die Kanzlerin kritisiert, dass die USA offensichtlich planen, Sonderzölle auf deutsche Autos zu erheben. Und sie rügt indirekt den ideologischen Feldzug der Amerikaner gegen Teheran. Merkel brandmarkt zwar die Einmischung des Irans in regionale Konflikte. Doch im gleichen Atemzug verteidigt sie das internationale Atomabkommen, das das Mullah-Regime an der Entwicklung von Nuklearwaffen hindern soll.

Auch beim Erdgas-Pipelineprojekt Nord Stream 2 weist Merkel die Vorwürfe aus Washington zurück. Die Abhängigkeit Europas von russischem Gas ergebe sich nicht daraus, ob die Pipeline gebaut werde oder nicht.

Pence präsentiert sich als treuer Diener seines Herren

„Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt.“ Moskau bleibe ein Partner – trotz seiner aggressiven Politik in der Ukraine und dem Bruch des INF-Mittelstreckenvertrags. Fast jeder Satz ist eine Gegenrede zu Trumps Grundsätzen.

Als US-Vizepräsident Mike Pence in München das Podium betritt, wird nach wenigen Sekunden klar, dass zwischen Merkel und Trump Welten liegen. Er wirft dem Iran die Vorbereitung von Israels Zerstörung und damit einen neuen „Holocaust“ vor. „Für unsere europäischen Partner ist die Zeit gekommen, an unserer Seite zu stehen“, sagt Pence.

In scharfer Form und mit ultimativem Unterton verlangt er den Stopp von Nord Stream 2. „Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen.“ Es klingt nach einer Drohkulisse, die politische Gefolgschaft einfordert.

Pence präsentiert sich in München als treuer Diener seines Herrn. In fast jedem zweiten Satz lobt er Trumps „Führungskraft“. Der habe nicht nur den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un durch Härte an den Verhandlungstisch gezwungen. Er habe zudem für den größten Aktienboom und die umfassendsten Steuererleichterungen in der Geschichte des Landes gesorgt. „America First“ in Reinform. Der Beifall am Ende ist höflich, aber dünn.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow präsentiert altbekannte Standpunkte. Die EU habe sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland drängen lassen. Er fordert eine Sicherheitsgemeinschaft für den gesamten eurasischen Raum als Gegenmodell zu einer Zen­trierung auf die Nato – eine Lieblingsidee Moskaus. Der oberste Außenpolitiker Chinas, Yang Jiechi, hält ein Loblied auf den Multilateralismus.

Zugleich lehnt er „die Androhung von Gewalt, Hegemonie und Machtpolitik“ ab – ein Seitenhieb gegen Trump. Den wirtschaftlichen Aufstieg seines Landes, der zum Teil mit der Abschottung von Märkten und Schutzzöllen erkauft wird, erwähnt er nicht. Ein Beitritt zum INF-Vertrag, dem russisch-amerikanischen Abrüstungsabkommen – diesen Vorschlag hat die Bundesregierung ins Spiel gebracht – komme für China nicht infrage.

Am Sonnabend scheint Merkel die letzte Bannerträgerin einer multilateralen Welt. Die „New York Times“ hatte sie bereits wenige Wochen nach Trumps Wahl im November 2016 zur „letzten Verteidigerin des freien Westens“ erklärt.

Das Verhältnis zwischen ihr und Trump ist eine Geschichte der immer weiteren Entfremdung. Begonnen hatte diese mit Trumps verweigertem Handschlag bei Merkels Antrittsbesuch im März 2017. Es folgten der Nato-Gipfel im Mai 2017, als Trump Merkel und ihre Amtskollegen wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben maßregelte und der Streit um Strafzölle und das Pariser Klimaabkommen.

Nach dem Gespräch zwischen Merkel und Pence am Sonnabend gibt es in deutschen Regierungskreisen zumindest einen Funken Hoffnung. Die Unterredung sei „sehr gut“ verlaufen, hieß es. Der US-Vizepräsident habe zugehört und sich Notizen gemacht. Als Barack Obamas Vizepräsident Joe Biden später auf das Podium kommt, flackert für einen Moment auf, dass es noch ein anderes Amerika gibt.

Der 76-jährige Demokrat, der bei den Präsidentschaftswahlen 2020 vielleicht antritt, bekennt sich zu einer humanitären Außenpolitik, Demokratie und freier Presse. „Die Nato ist das wichtigste Militärbündnis in der Geschichte der Welt.“ Der Saal tobt – Pence ist für einen Augenblick vergessen.