Berlin. Die Bundeswehr denkt über eine Multi-Kulti-Truppe nach. Die Pläne werden konkreter, aber Verteidigungsministerin von der Leyen zögert.

Es ist eher untypisch für sie, aber Ursula von der Leyen (CDU) zögert. Die Verteidigungsministerin hängt Pläne tiefer, die sie intern längst durchspielen lässt: Die Rekrutierung von EU-Ausländern für die Bundeswehr.

Allein der Verdacht einer „Söldnerarmee“ löst bei Kritikern Abwehrreflexe aus. Der Bundeswehrverband verweist auf das „Treueverhältnis von Staat und Soldat“, die rechtspopulistische AfD würde sich erst recht auf den Plan gerufen fühlen.

Auch von der Leyens eigene Partei, die CDU, ist reserviert. Und wie die Öffnung in der Truppe ankommen würde, ahnt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD): „Der eine oder andere Soldat wird sagen, ,muss das sein?‘“

Generalinspekteur: „Option“ für Fachtätigkeiten

Eberhard Zorn ist kein Politiker, sondern Soldat, der ranghöchste in der Bundeswehr, ein Mann, der Klartext redet. EU-Bürger in Uniform seien „eine Option“, die geprüft werde, bestätigt der General unserer Redaktion. „Natürlich braucht die Bundeswehr Personal, wir sind einer der größten öffentlichen Arbeitgeber, mit einem in der Verfassung verankerten Auftrag“, erklärt er.

„Insofern müssen wir in Zeiten des Fachkräftemangels in alle Richtungen blicken und uns um den passenden Nachwuchs bemühen“, so Zorn. Es gehe nur um spezielle Fachtätigkeiten, „wir reden hier beispielsweise von Ärzten oder IT-Spezialisten“.

Auch Bartels hält es für eine „Illusion“, dass die EU-Bürger schon die Lösung aller Personalpro­bleme wären. Das erklärt wiederum, warum die Verteidigungsministerin Angst vor der eigenen Courage hat. Polit-Profi von der Leyen ahnt: Es droht maximaler Ärger bei einem überschaubaren Nutzen.

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Idee mit EU-Ausländern existiert schon länger

Seit 2010 ist die Bundeswehr in diesem „Jein“-Modus. Damals hatte eine Expertenkommission unter Leitung des Arbeitsmarktexperten, ausgebildeten Fallschirmjägers und Reserveoffiziers Frank-Jürgen Weise erstmals einen Vorstoß zugunsten von Ausländern unternommen und im Folgejahr für ein „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes“ geworben.

Das war noch unter Führung von Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). 2017 fand

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Eingang ins „Weißbuch“ – das Gesamtkonzept der Sicherheitspolitik – und im letzten Sommer auch in die Personalstrategie der Bundeswehr.

EU-Staaten fürchten die Konkurrenz um Nachwuchs

Die Vorarbeiten sind fortgeschrittener als gemeinhin bekannt ist. So hat das Verteidigungsministerium nach Informationen unserer Redaktion dazu bereits 26 europäische Partnerstaaten konsultiert. Aufgeschlossen reagierten nur Tschechien, Dänemark, Schweden und Belgien. Die Franzosen boten Gespräche an, blieben aber reserviert.

Andere Staaten reagierten gar nicht oder offen ablehnend. Die Finnen verwiesen auf ihre Wehrpflicht, die Kroaten machten verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Bulgaren, Rumänen, Slowenen und Griechen meldeten praktische Probleme an: Sie befürchten Abwerbungen – als Folge des höheren Solds.

Das ist ein Grund, warum die Prüfung noch anhält. „Wir müssen natürlich schauen, dass wir nicht bei unseren europäischen Partnerstaaten als Konkurrent auftreten“, erläutert Zorn.

Diese Szenarien werden derzeit durchgespielt:

  • eine allgemeine Öffnung,
  • bilaterale Abkommen mit Herkunftsländern (was auf ein Vetorecht für sie hinausläuft),
  • eine Rekrutierung nur aus Staaten, die ihrerseits Ausländer anwerben.

Die Bundeswehr hat die EU-Bürger im Auge, die schon in Deutschland leben. Die Weise-Kommission hatte darüber hinaus auch die Öffnung für Bewerber aus Ländern ins Spiel gebracht, mit denen es Verträge für die Anerkennung von Berufsabschlüssen gibt, etwa die Schweiz. Die Anwärter müssten Deutsch sprechen, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und sich zum Staat bekennen.

„Klar sein muss dabei, dass, wer immer in der Bundeswehr dient, diesen Dienst auf dem Boden des Grundgesetzes für unser Grundgesetz leistet“, sagt Grünen-Politiker Tobias Lindner unserer Redaktion.

Rumänischer Arzt war jahrelang Ausnahme in Bundeswehr

„Wir. Dienen. Deutschland“, lautet der Werbeslogan der Truppe. Zum Soldaten kann nach dem Gesetz nur berufen werden, „wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes ist“. Auf der Basis einer Ausnahmeregelung leistete jahrelang ein rumänischer Arzt seinen Dienst.

Inzwischen hat der Mediziner auf sein Alleinstellungsmerkmal verzichtet: Er nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Dafür hat die Bundeswehr in ihren Reihen noch 20 EU-Bürger als Beamte und 944 Ausländer als zivile Beschäftigte, so etwa Militärseelsorger und Hochschullehrer.

Jetzt schon viele Soldaten mit Migrationshintergrund

Aus den Reihen der SPD und der Grünen wird die Ministerin zu ihren Plänen ermuntert. „Bereits heute ist es so, dass in vielen Bundesländern EU-Ausländer bei der Polizei ihren Dienst tun dürfen. Ich sehe nicht, dass prinzipiell etwas dagegen spricht, dies auch auf die Bundeswehr auszuweiten“, sagt Grünen-Wehrexperte Lindner.

Bartels argumentiert ähnlich und glaubt überdies, dass sich Vorbehalte unter den deutschen Kameraden legen würden.

„Es wäre eine Art Normalität. Wir haben viele Soldaten mit Migrationshintergrund oder Doppelstaatler“, weiß Bartels.

Der Anteil der Soldaten mit Migrationsanteil wird auf 13 Prozent geschätzt, Menschen afrikanischer oder arabischer Abstammung, vor allem viele Russlanddeutsche. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Dienstplan bei den Fallschirmspringern in zwei Sprachen aushängt, auf Deutsch und Russisch.

Deutsch-Französische Brigade und Deutsch-Holländischer Korps

Als die Bundeswehr ihren „Diversity-Tag“ beging, den Tag der Vielfalt, stellte sich eine Einheit vor, die in ihren Reihen Soldaten mit 17 verschiedenen Migrationshintergründen hatte.

Internationalität leben deutsche Soldaten erst recht in den Nato-Stäben und in binationalen Einheiten wie in der Deutsch-Französischen Brigade oder im Deutsch-Holländischen Korps vor. Und zumindest Frankreich befeuert die Debatte um eine „europäische Armee“ – sie wäre nur der konsequente Schlusspunkt einer solchen Integrationspolitik.

Zahl der Frauen in der Bundeswehr wächst

2019 soll die Feldphase der Vielfaltsstudie „Bunt in der Bundeswehr? – Ein Barometer zur Vielfalt“ anlaufen. Es ist der Versuch der Bundeswehr, in sich hineinzuhorchen. Sie will mehr über ihre Soldaten erfahren, über Religion, kulturelle Herkunft, sexuelle Identität. Längst gibt es in der Bundeswehr nach US-Vorbild eine Stabsstelle „Vielfalt“.

Zur Minderheit zählen auch die Frauen. Sie machen heute 21.000 der rund 180.000 Soldaten aus. Zum Vergleich: 2008 waren es 16.000, zehn Jahre vorher 4100 Frauen. Im Prinzip steht dem weiblichen Geschlecht die gesamte Truppe offen, wenn auch nur theoretisch bei den Minentauchern und Kampfschwimmern, die extrem hohe körperliche Anforderungen an die Bewerber stellen. Sie gelten als die letzten Männerbastionen in der Bundeswehr.

Die Strategie der Öffnung passt zur Vielfalt in der Truppe

Zur Vielfalt passt die Strategie der Öffnung für EU-Ausländer. Noch ist der Druck nicht so groß, dass man auf sie angewiesen wäre. Bei der letzten „Trendence-Studie“ über die für Schüler beliebtesten Arbeitgeber landete die Bundeswehr auf Platz drei – nach Polizei und Adidas.

2017 meldeten sich 125.000 einheimische Bewerber, nur 25.000 wurden genommen. Noch können sich die Militärs ihren Nachwuchs aussuchen, wiewohl nicht mehr in jedem Bereich. Ärzte und Soldaten mit IT-Berufen werden auch von den Streitkräften händeringend gesucht. Und dieser Trend wird sich eher verstärken.

Die Zahl der EU-Bürger zwischen 18 und 30 Jahren, die in Deutschland leben, liegt nach der offiziellen Statistik bei rund 530.000. Wenn nur jeder Zehnte sich für die Bundeswehr entscheiden würde, dann wären es 53.000 Bewerber. So gering ist das Potenzial also nicht.