Berlin. Der Ertrag sinkt, Schulden steigen, Fernzüge sind verspätet wie seit Jahren nicht mehr – Konzernchef Lutz schrieb nun einen Brandbrief.

Geht es rein nach der Zahl der Passagiere, müsste sich in der Führungsetage der Deutschen Bahn wohl niemand Sorgen machen. 142 Millionen Fahrgäste stiegen im vergangenen Jahr in die ICEs und Intercitys. Der dritte Rekord in Folge. Doch die Lage in dem Konzern mit seinen 300.000 Mitarbeitern ist offenbar überaus angespannt. Der Schuldenstand des Staatskonzerns erreicht eine kritische Höhe, der Ertrag schrumpft zusehends.

In einem Brandbrief wenden sich die sechs Vorstandsmitglieder jetzt an Tausende Führungskräfte. Die Bahn befinde sich in einer „schwierigen Lage“, heißt es in dem Schreiben, aus dem unter anderem das „Handelsblatt“ zitiert. Kernaussage: Trotz zahlreicher Maßnahmen, die in den vergangenen Monaten ergriffen wurden, habe sich die Situation „nicht verbessert, sondern verschlechtert“. Bahnchef Richard Lutz forderte eine strenge Ausgabendisziplin ein.

Schon zweimal musste

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in diesem Jahr das Gewinnziel senken. Damit die angepeilten 2,1 Milliarden Euro Überschuss noch zu erreichen sind, müssen nun alle Ausgaben oberhalb einer bestimmten Grenze genehmigt werden. Ausdrücklich werde darauf hingewiesen, dass der Ausgabenstopp nicht befristet sei. Eine Sprecherin bestätigte, dass der Konzern gegen die steigenden Schulden ansteuere. An Maßnahmen für Qualität und Kundenzufriedenheit werde ausdrücklich nicht gespart.

Schmerzgrenze für Schulden bei 20 Milliarden Euro

Zur Jahresmitte hat der Schuldenberg der Deutschen Bahn 19,7 Milliarden Euro erreicht. Vier Jahre zuvor waren es noch 16,2 Milliarden Euro. Intern sehe der Vorstand die Schmerzgrenze bei 20 Milliarden, darüber könnten die Kosten für eine weitere Kreditaufnahme deutlich steigen. Der Bund, dem die Bahn gehört, hat bislang ein Schuldenlimit von 20,4 Milliarden Euro gesetzt.

Lutz, seit März 2017 Vorstandschef der Deutschen Bahn AG und zuvor sieben Jahre lang Finanzvorstand des Konzerns, will zudem gegen „Ressort-Egoismen“ vorgehen. Bei der Bahn dürfe Verantwortung nicht mehr hin- und hergeschoben werden. Die DB müsse sich „grundlegend verändern“, um die notwendige Leistungsfähigkeit zu erreichen.

Das sind die vier ICE-Generationen

Mit den ICE begann fahrplanmäßig am 2. Juni 1991 die Ära der Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland. Wir zeigen die vier Generationen. Der begeisterte Eisenbahn-Fan Günther Voß steht am 2. Juni 1991 in Seesen (Niedersachsen) neben einem ICE der ersten Generation. Voß hat für den ersten fahrplanmäßigen Start des Inter City Express von Hamburg nach München 148 Fahrgastplätze gebucht und davon 146 zum Selbstkostenpreis angeboten. Zwei besondere Plätze nahmen er und seine Frau ein. Nach Schnupperfahrten mit den im Vergleich zu damaligen Bahnen futuristisch wirkenden Intercity-Express-Zügen begann am 2. Juni 1991 der Verkehr nach Fahrplan. Voß machte als selbsterklärter Bahntester Furore und wurde zum oft interviewten Ansprechpartner für Medien. 2013 startete er mit 74 Jahren nach eigenem Bekunden aber seinen letzten Test.
Mit den ICE begann fahrplanmäßig am 2. Juni 1991 die Ära der Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland. Wir zeigen die vier Generationen. Der begeisterte Eisenbahn-Fan Günther Voß steht am 2. Juni 1991 in Seesen (Niedersachsen) neben einem ICE der ersten Generation. Voß hat für den ersten fahrplanmäßigen Start des Inter City Express von Hamburg nach München 148 Fahrgastplätze gebucht und davon 146 zum Selbstkostenpreis angeboten. Zwei besondere Plätze nahmen er und seine Frau ein. Nach Schnupperfahrten mit den im Vergleich zu damaligen Bahnen futuristisch wirkenden Intercity-Express-Zügen begann am 2. Juni 1991 der Verkehr nach Fahrplan. Voß machte als selbsterklärter Bahntester Furore und wurde zum oft interviewten Ansprechpartner für Medien. 2013 startete er mit 74 Jahren nach eigenem Bekunden aber seinen letzten Test. © dpa Picture-Alliance | Hans Henning Fränkel
Mittlerweile hat die Bahn 271 der Züge in ihrer Flotte. Im Jahr 2015 waren Fahrgäste 80 Millionen Mal mit dem ICE unterwegs und reisten durchschnittlich 318 Kilometer weit. Die ICE-Familie besteht bislang aus vier Generationen. Die ICE 1 der ersten Generation fahren maximal 280 Kilometer pro Stunde. Die 59 Züge haben jeweils zwei Triebköpfe sowie zwölf Mittelwagen und sind 358 Meter lang.
Mittlerweile hat die Bahn 271 der Züge in ihrer Flotte. Im Jahr 2015 waren Fahrgäste 80 Millionen Mal mit dem ICE unterwegs und reisten durchschnittlich 318 Kilometer weit. Die ICE-Familie besteht bislang aus vier Generationen. Die ICE 1 der ersten Generation fahren maximal 280 Kilometer pro Stunde. Die 59 Züge haben jeweils zwei Triebköpfe sowie zwölf Mittelwagen und sind 358 Meter lang. © imago | STAR-MEDIA
Die ICE 2 sind seit 1996 in Betrieb und ebenfalls für Tempo 280 zugelassen. Im Fuhrpark sind 44 Züge, von denen sich je zwei zusammenkuppeln lassen. Alle wurden nach Angaben der Bahn bis zum Jahr 2013 modernisiert. Die Zuglänge beträgt 205 Meter.
Die ICE 2 sind seit 1996 in Betrieb und ebenfalls für Tempo 280 zugelassen. Im Fuhrpark sind 44 Züge, von denen sich je zwei zusammenkuppeln lassen. Alle wurden nach Angaben der Bahn bis zum Jahr 2013 modernisiert. Die Zuglänge beträgt 205 Meter. © ICE2 | Jet-Foto Krahnert
Der ICE T mit Neigetechnik ist seit 1999 in Betrieb und erreicht Tempo 230. Der Mechanismus, der die Triebfahrzeuge bei Kurvenfahrten in Schräglage bringt, ...
Der ICE T mit Neigetechnik ist seit 1999 in Betrieb und erreicht Tempo 230. Der Mechanismus, der die Triebfahrzeuge bei Kurvenfahrten in Schräglage bringt, ... © Deutsche Bahn AG | Uwe Miehte
... ist aber mittlerweile in allen Zügen wegen technischer Probleme abgeschaltet.
... ist aber mittlerweile in allen Zügen wegen technischer Probleme abgeschaltet. © Deutsche Bahn AG | Uwe Miethe
Die ICE 3 kamen zur Weltausstellung Expo 2000 im niedersächsischen Hannover in die Flotte. Die schnellsten Züge der Republik sind auf eine Höchstgeschwindigkeit von 330 Kilometern pro Stunde zugelassen.
Die ICE 3 kamen zur Weltausstellung Expo 2000 im niedersächsischen Hannover in die Flotte. Die schnellsten Züge der Republik sind auf eine Höchstgeschwindigkeit von 330 Kilometern pro Stunde zugelassen. © Deutsche Bahn AG | Deutsche Bahn AG
In Deutschland brettern sie mit bis zu Tempo 300 über die Gleise. Die Bahn hat inzwischen 79 dieser Züge – mit einer Zuglänge von 200 Metern.
In Deutschland brettern sie mit bis zu Tempo 300 über die Gleise. Die Bahn hat inzwischen 79 dieser Züge – mit einer Zuglänge von 200 Metern. © Deutsche Bahn AG | Deutsche Bahn AG
Rund drei Monate nach dem 25. Geburtstag des ICE stellte die Deutsche Bahn und Vorstandsvorsitzender, Rüdiger Grube, am 14. September 2016 die vierte Generation des Hochgeschwindigkeitszugs vor. Am 10. Dezember 2017 startete der ICE 4 mit einer Zuglänge von 346 Metern nach einer einjährigen Testphase in den Regelbetrieb.
Rund drei Monate nach dem 25. Geburtstag des ICE stellte die Deutsche Bahn und Vorstandsvorsitzender, Rüdiger Grube, am 14. September 2016 die vierte Generation des Hochgeschwindigkeitszugs vor. Am 10. Dezember 2017 startete der ICE 4 mit einer Zuglänge von 346 Metern nach einer einjährigen Testphase in den Regelbetrieb. © dpa | Soeren Stache
Mit 250 km/h Spitzengeschwindigkeit ist die neueste Generation langsamer als ihr Vorgänger, verbraucht aber weniger Energie und beschleunigt schneller. Gründe sind eine verbesserte Aerodynamik und ein geringeres Gewicht. Der Antrieb ist auf sechs Wagen verteilt. Fällt eines der sechs Systeme aus, kann das Flaggschiff des DB Fernverkehrs trotzdem weiterfahren. Der ICE 4 ist auf den Strecken Hamburg – München und Hamburg – Stuttgart unterwegs.
Mit 250 km/h Spitzengeschwindigkeit ist die neueste Generation langsamer als ihr Vorgänger, verbraucht aber weniger Energie und beschleunigt schneller. Gründe sind eine verbesserte Aerodynamik und ein geringeres Gewicht. Der Antrieb ist auf sechs Wagen verteilt. Fällt eines der sechs Systeme aus, kann das Flaggschiff des DB Fernverkehrs trotzdem weiterfahren. Der ICE 4 ist auf den Strecken Hamburg – München und Hamburg – Stuttgart unterwegs. © Deutsche Bahn AG | SIEMENS
Vergleich der fünf Generationen der Hochgeschwindigkeitszüge der Deutschen Bahn.
Vergleich der fünf Generationen der Hochgeschwindigkeitszüge der Deutschen Bahn. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
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Probleme hat der Bahn zuletzt etwa die Hitzewelle im Sommer bereitet. „Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass wir unsere eigenen Themen wie z. B. die Fahrzeugverfügbarkeit schlicht nicht im Griff haben“, heißt es in dem Schreiben. Im Fernverkehr kamen im August nur 69,8 Prozent der ICEs und Intercitys mit weniger als fünf Minuten Verspätung an. Das war der schlechteste August-Wert seit dem Jahr 2015. Das selbst gesteckte Ziel liegt eigentlich bei 85 Prozent.

Lutz nennt politisches Ziel „anspruchsvoll“

Sorgen bereitet der Bahn-Führung zudem die Güterbahn DB Cargo. Trotz des Wirtschaftsbooms ist die Sparte seit Jahren ein Sanierungsfall. Nach „Handelsblatt“-Informationen könnte sie im laufenden Jahr einen Verlust von 150 bis 200 Millionen Euro einfahren. Schwarze Zahlen trug sie zum Konzernergebnis zuletzt 2014 bei.

Während die Bahn mit steigenden Schulden und sinkendem Ertrag kämpft, stehen eigentlich Milliardeninvestitionen an. Per Digitalisierung sollen mehr Züge auf dem teils stark ausgelasteten Schienennetz rollen. Gleichzeitig verlangt die Bundesregierung, dass das Unternehmen seine Passagierzahlen bis ins Jahr 2030 verdoppelt.

Lutz nannte dieses politische Ziel im Gespräch mit unserer Redaktion kürzlich „anspruchsvoll“: Für das Wachstum müssen neue Züge her und die Infrastruktur muss ausgebaut werden. Konzernkreisen zufolge besteht ein Investitionsstau von fast 32 Milliarden Euro. Mit derzeit rund 800 Baustellen sei die Belastungsgrenze jedoch fast erreicht.

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    Dass der Brandbrief des Bahn-Vorstands schon in naher Zeit eine spürbare Wende bringen wird – damit rechnen Branchenkenner nicht. „Ich sehe keine großen Verbesserungen in den nächsten ein bis zwei Jahren“, sagt etwa Dirk Flege, Geschäftsführer von Allianz pro Schiene. Er sieht „echte Systemprobleme“, da die einzelnen Geschäftsfelder des Konzerns, wie auch von Bahnchef Lutz kritisiert, nicht ausreichend zusammenarbeiteten.

    Flege nennt als Beispiel einen Fahrkartenautomaten, der falsch aufgestellt wurde: Der Automat selbst gehöre der Sparte DB Fernverkehr, der Bahnsteig wiederum DB Station und Service, und die Stromversorgung laufe über DB Netz und DB Energie. Jede Sparte mache ihre eigene Kostenrechnung und habe das große Ganze weniger im Blick. „So kommt es, dass der Automat in der Sonne stehen bleibt und der Fahrgast das Display nicht lesen kann“, sagt der Bahn-Experte. (mit dpa)