Berlin. Thilo Sarrazin hat schon einmal mit einem Buch über den Islam für Debatten gesorgt. Nun gibt es ein zweites – und bereits viel Kritik.

Der umstrittene Bestsellerautor und frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) stellt sein neues Buch vor. Das Werk mit dem Titel „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ wird in der Bundespressekonferenz präsentiert und wurde schon vor seinem Erscheinen mehrfach kritisiert.

In dem Buch malt Sarrazin das Schreckgespenst einer Islamisierung der deutschen Gesellschaft an die Wand. Der Islamwissenschaftler Mathias Rohe hält diese Kernthese für nicht haltbar. Sarrazin gehe in seinem Buch fälschlicherweise davon aus, dass muslimische Zuwanderer ihre Einstellungen nicht veränderten, „dass sie sich gar nicht auf die deutsche Gesellschaft einlassen“, sagte Rohe der Deutschen Presse-Agentur.

Islam-Experte: „Sarrazin ignoriert wichtige Daten“

Eine breit angelegte Untersuchung habe jedoch beispielsweise ergeben, dass die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unter Türken in der Türkei höher sei als unter türkischstämmigen Migranten in Deutschland.

Auch ignoriere Sarrazin in seinen Prognosen zum künftigen Anteil der Muslime an der Bevölkerung Daten, die zeigten, dass die Geburtenrate muslimischer Zuwanderer durch Zugang zum Bildungssystem in den Folgegenerationen sinke.

Das ist SPD-Mitglied Thilo Sarrazin

SPD-Mitglied, früherer Berliner Finanzsenator und Bestsellerautor: Thilo Sarrazin ist seit Jahren bekannt für seine Provokationen und umstrittenen Thesen zur Finanz-, Sozial- und Bevölkerungspolitik.
SPD-Mitglied, früherer Berliner Finanzsenator und Bestsellerautor: Thilo Sarrazin ist seit Jahren bekannt für seine Provokationen und umstrittenen Thesen zur Finanz-, Sozial- und Bevölkerungspolitik. © imago/photothek | Florian Gaertner/photothek.net
Begonnen hatte Thilo Sarrazin seine Laufbahn als Beamter im Bonner Finanzministerium. Nach Volkswirtschaftsstudium und Promotion machte er dort schnell Karriere und diente seit 1975 allen Bundesfinanzministern von Hans Apel (SPD) bis Theo Waigel (CSU).
Begonnen hatte Thilo Sarrazin seine Laufbahn als Beamter im Bonner Finanzministerium. Nach Volkswirtschaftsstudium und Promotion machte er dort schnell Karriere und diente seit 1975 allen Bundesfinanzministern von Hans Apel (SPD) bis Theo Waigel (CSU). © REUTERS | REUTERS / Alexandra Winkler
Unter CSU-Minister Waigel arbeitete das SPD-Mitglied Sarrazin maßgeblich die Grundzüge der deutsch-deutschen Währungsunion aus.
Unter CSU-Minister Waigel arbeitete das SPD-Mitglied Sarrazin maßgeblich die Grundzüge der deutsch-deutschen Währungsunion aus. © imago stock&people | imago stock&people
Anfang der 90er Jahre wechselte er zur Treuhandanstalt, trennte sich dort aber bald im Streit und ging von 1991 bis 1997 als Finanz-Staatssekretär nach Rheinland-Pfalz.
Anfang der 90er Jahre wechselte er zur Treuhandanstalt, trennte sich dort aber bald im Streit und ging von 1991 bis 1997 als Finanz-Staatssekretär nach Rheinland-Pfalz. © imago stock&people | imago stock&people
Kurz arbeitete Sarrazin von 2000 bis 2001 bei der Deutschen Bahn unter Hartmut Mehdorn. Auch dort ging er schon ein Jahr später im Streit – entlassen vom ähnlich eigensinnigen Charakter Mehdorn.
Kurz arbeitete Sarrazin von 2000 bis 2001 bei der Deutschen Bahn unter Hartmut Mehdorn. Auch dort ging er schon ein Jahr später im Streit – entlassen vom ähnlich eigensinnigen Charakter Mehdorn. © imago stock&people | Reiner Zensen
Als Finanzsenator in der überschuldeten Hauptstadt setzte Sarrazin zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (l., SPD) einen drastischen Sparkurs durch und verhalf dem Land 2007 und 2008 zu den ersten ausgeglichenen Haushalten seit 1949.
Als Finanzsenator in der überschuldeten Hauptstadt setzte Sarrazin zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (l., SPD) einen drastischen Sparkurs durch und verhalf dem Land 2007 und 2008 zu den ersten ausgeglichenen Haushalten seit 1949. © imago stock&people | Bernd Friedel
Immer wieder fiel er mit provokanten Äußerungen über angeblich faule Hartz-IV- Empfänger auf und wurde auch in der eigenen Partei heftig kritisiert.
Immer wieder fiel er mit provokanten Äußerungen über angeblich faule Hartz-IV- Empfänger auf und wurde auch in der eigenen Partei heftig kritisiert. © Getty Images | Carsten Koall
2009 wurde der aus Gera stammende Volkswirt Vorstandsmitglied der Bundesbank. Schnell kam es zum Eklat. 2010 präsentierte er sein Buch „Deutschland schafft sich ab“.
2009 wurde der aus Gera stammende Volkswirt Vorstandsmitglied der Bundesbank. Schnell kam es zum Eklat. 2010 präsentierte er sein Buch „Deutschland schafft sich ab“. © imago stock&people | Thomas Lebie
In einem Interview kritisierte er türkisch- und arabischstämmige Menschen wegen angeblich fehlender Integrationsbemühungen und sprach von der Produktion neuer „Kopftuchmädchen“.
In einem Interview kritisierte er türkisch- und arabischstämmige Menschen wegen angeblich fehlender Integrationsbemühungen und sprach von der Produktion neuer „Kopftuchmädchen“. © imago | Götz Schleser
Die Bundesbank entzog ihm die Aufsicht für den Bereich Bargeld. 2012 erschien sein Buch „Europa braucht den Euro nicht“.
Die Bundesbank entzog ihm die Aufsicht für den Bereich Bargeld. 2012 erschien sein Buch „Europa braucht den Euro nicht“. © Getty Images | Carsten Koall
Die SPD wollte den Ex-Bundesbankler ausschließen, scheiterte aber bereits zwei Mal mit dem Verfahren. Sarrazin entschuldigte sich und versprach: „Ich werde in Zukunft bei öffentlichen Äußerungen mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen.“
Die SPD wollte den Ex-Bundesbankler ausschließen, scheiterte aber bereits zwei Mal mit dem Verfahren. Sarrazin entschuldigte sich und versprach: „Ich werde in Zukunft bei öffentlichen Äußerungen mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen.“ © dpa | Michael Kappeler
In seinem neuen Islam-Buch „Feindliche Übernahme – Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ malt der Bestsellerautor das Schreckgespenst einer Islamisierungen der deutschen Gesellschaft an die Wand.
In seinem neuen Islam-Buch „Feindliche Übernahme – Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ malt der Bestsellerautor das Schreckgespenst einer Islamisierungen der deutschen Gesellschaft an die Wand. © dpa | Kay Nietfeld
Weiterhin fordern verschiedene Politiker ein neues Parteiausschlussverfahren gegen den Publizisten.
Weiterhin fordern verschiedene Politiker ein neues Parteiausschlussverfahren gegen den Publizisten. © Getty Images | Carsten Koall
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Nicht nachvollziehbar findet Rohe folgende Aussage Sarrazins: „Vieles deutet darauf hin, dass im Islam eine Tendenz zum Beleidigtsein und zum Sich-angegriffen-Fühlen angelegt ist, die mit unseren Begriffen von Meinungsfreiheit und Demokratie schwer vereinbar ist.“

Kevin Kühnert kritisiert Sarrazin wegen seines neuen Buches.
Kevin Kühnert kritisiert Sarrazin wegen seines neuen Buches. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Kritikwürdige Verhaltensweisen wie ein falscher Ehrbegriff und Elemente einer „Machokultur“ würden hier auf die Religion zurückgeführt. Dabei finde man diese teilweise auch bei Nicht-Muslimen in Indien oder Russland.

Die Einschätzungen zum Islam zeugten von einem für Sarrazin üblichen „Dilettantismus“. Sarrazin wirft Rohe in seinem Buch seinerseits vor, er verschleiere und verharmlose „Missstände im deutschen Islam“.

Rohe hat unter anderem zum islamischen Recht („Scharia“) und zur Paralleljustiz unter muslimischen Migranten geforscht. Er berät als Experte den Verfassungsschutz.

„Sarrazin hat mit SPD-Grundwerten nichts zu tun“

Kritik an dem Buch kommt auch an den Reihen der Politik. Die Grünen warfen Sarrazin vor, Gewalt und Hass zu schüren. Sarrazins früherer Verleger distanzierte sich. SPD-Politiker hatten angekündigt, erneut Sarrazins Parteimitgliedschaft prüfen zu wollen. Zwei frühere Versuche zum Ausschluss aus der SPD waren gescheitert.

Die SPD-Spitze fordert Sarrazin auf, aus der Partei auszutreten. „Thilo Sarrazin ist ein verbitterter Mann, der nur noch in der SPD ist, um seine absurden Thesen zu vermarkten“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur. „Was er schreibt, hat mit sozialdemokratischen Positionen nichts zu tun. Wer die Mitgliedschaft in der SPD nur noch für persönliches Gewinnstreben benutzt, sollte gehen.“

Die Jusos fordern ein Ausschlussverfahren. Die Jusos seien „klar für einen neuen Versuch, Sarrazin rauszuwerfen“, sagte Kevin Kühnert, Chef der SPD-Nachwuchsorganisation der „Rhein-Neckar-Zeitung“. „Herr Sarrazin hat mit den Grundwerten der SPD schon lange nichts mehr zu tun.“

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Dass

, der frühere Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, die Präsentation des Buches übernehme, sage mehr über ihn aus als über Sarrazin, schrieb Kühnert zudem auf Twitter. „Gut, dass er jetzt mal deutlich entschieden hat, in welchem Team er spielt. Keine weiteren Fragen.“

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Mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ und umstrittenen Thesen zur Einwanderung im August 2010 hatte Sarrazin Entrüstungsstürme und Debatten über Islamkritik und Vererbung von Intelligenz ausgelöst.

(bekö/dpa)