Bukarest. In Bukarest und anderen Städten Rumäniens weiten sich die Proteste gegen Korruption aus. Die Regierung gerät zunehmend unter Druck.

Wenn Rumänien am 1. Januar kommenden Jahres die EU-Ratspräsidentschaft von Österreich übernimmt, wartet auf die Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dancila ein Berg an schwierigen Aufgaben. Es gilt, ein weiteres Auseinanderdriften Europas zu verhindern. Doch momentan muss die Regierungschefin erst einmal eine schwere Krise in ihrem eigenen Land lösen.

Seit Monaten demonstrieren die Rumänen gegen die Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dancila. Der Vorwurf: Diese wolle den Rechtsstaat demontieren, um korrupte Politiker zu schützen. Nun sind die Proteste erstmals eskaliert. Waren Provokateure am Werk?

Am Wochenende gingen in der Hauptstadt Bukarest und zahlreichen weiteren Städten Zehntausende auf die Straße. Lautstark riefen sie Parolen wie „Gerechtigkeit statt Korruption!“, „Schande!“ und „Wir gehen erst, wenn ihr gegangen seid!“. Die Demonstrationen wurden überschattet von schwerer Gewalt. In Bukarest wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei am Freitagabend nach Angaben der Nachrichtenagentur Mediafax 452 Menschen verletzt, unter ihnen 35 Polizisten.

Demonstranten fordern Rücktritt der Regierung

Bukarest am Samstagabend: Menschen versammeln sich am zweiten Tag ihrer Proteste vor dem Regierungssitz und leuchten mit Laserlicht und Taschenlampen.
Bukarest am Samstagabend: Menschen versammeln sich am zweiten Tag ihrer Proteste vor dem Regierungssitz und leuchten mit Laserlicht und Taschenlampen. © dpa | Vadim Ghirda

Die Demonstranten forderten den Rücktritt der von den Sozialdemokraten (PSD) geführten Regierung. Außerdem verlangten sie die Rücknahme jüngst beschlossener Gesetze, die prominente Politiker vor Strafverfolgung wegen Korruption schützen sollen. Außer in Bukarest, wo mindestens 20.000 Menschen auf die Straße gingen, protestierten Tausende in Städten wie Timisoara (Temeswar), Sibiu (Hermannstadt), Brasov (Kronstadt), Cluj-Napoca und Iasi. Weitere Kundgebungen am Sonnabendabend verliefen friedlich.

Erst Anfang Juli war die angesehene Sonderstaatsanwältin Laura Kövesi auf Betreiben der Regierung entlassen worden. Kövesi hatte zahlreiche Politiker der Korruption überführt und ins Gefängnis gebracht. Dancila gilt wiederum als Marionette des PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea. Er kann derzeit nicht selbst Ministerpräsident werden, weil er wegen der Manipulation von Wahlen vorbestraft ist, kontrolliert aber die Regierung.

Seit Februar 2017, als die PSD-Regierung mit einer ersten Eilverordnung die Korruptionsbekämpfung erschweren wollte, gehen die Rumänen immer wieder in großer Zahl auf die Straße. Zuletzt waren die Proteste aber abgeflaut. Die Kundgebungen am Wochenende waren die größten seit Monaten. Erstmals hatten Auslandsrumänen zu den Märschen aufgerufen. Viele von ihnen verbringen den Sommer in der Heimat, manche reisten eigens zu den Demonstrationen an. Sie hatten sich über soziale Netzwerke verabredet und für die Protestaktionen geworben.

Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke

Rumäniens Ministerpräsidentin Viorica Dancila am Sonntag während eines Besuchs in Warschau.
Rumäniens Ministerpräsidentin Viorica Dancila am Sonntag während eines Besuchs in Warschau. © imago/Pacific Press Agency | Jakob Ratz

„Ich protestiere, weil dieses Land wird geführt von einem verurteilten Straftäter“, sagte ein Demonstrant in den ARD-„Tagesthemen“. „Viele hier waren glücklich, als die Auslandsrumänen ­gekommen sind, um friedlich zu demonstrieren“, sagte ein anderer Teilnehmer. Erstmals kam es durch vermummte, gewaltbereite Demonstranten allerdings auch zu gewalttätigen Auswüchsen.

Ein paar Dutzend Vermummte versuchten am Freitagabend, den Regierungssitz in Bukarest zu stürmen - die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken, den auch eine große Zahl friedlicher Demonstranten zu spüren bekam. Die Polizei nahm 33 Personen vorläufig fest. Für zwei von ihnen beantragte die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft, wie die Behörde am Sonntag mitteilte.

Innenministerin verteidigt Polizeieinsatz

Staatspräsident Klaus Iohannis verurteilte die aus seiner Sicht übermäßige Polizeigewalt. „In einer echten Demokratie hat jeder das Recht zu demons­trieren, doch ist Gewalt – unabhängig von den politischen Ansichten – inakzeptabel“, schrieb der bürgerliche Politiker auf seiner Facebook-Seite.

Am Freitagabend kam es bei den Protesten in Bukarest zu Ausschreitungen.
Am Freitagabend kam es bei den Protesten in Bukarest zu Ausschreitungen. © dpa | Vadim Ghirda

Der Vorsitzende der oppositionellen Mitte-rechts-Partei PNL, Ludovic Orban, warf der Regierungspartei PSD vor, gewalttätige Provokateure unter die Demonstranten eingeschleust zu haben, um Letztere zu diskreditieren. Sie seien aus der Szene der Fußball-Hooligans rekrutiert worden, mutmaßte er.

Derweil verteidigte Rumäniens Innenministerin Carmen Dan den Polizeieinsatz – die Beamten hätten vorbildlich gehandelt, sagte die unter Druck geratene Ministerin bei einer Pressekonferenz. (dpa)