Die wichtigsten Fakten zur Einigung zwischen Trump und Kim
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Von Dirk Hautkapp und Sören Kittel
Washington. Viel Konkretes steht nicht in dem Papier, das Donald Trump und Kim Jong Un unterzeichnet haben. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Große Worte, wenig Konkretes – und ein historischer Händedruck von 13 Sekunden. Der Atom-Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un in Singapur ist vorüber. Begonnen hat der Kampf um die Deutungshoheit. Erfolg oder Misserfolg? Was bleibt hängen?
Was sind die größten Schwachstellen?
Sämtliche Beschlüsse über die künftige atomwaffenfreie Zone Nordkorea sind in der Sprache bombastisch („unerschütterliches Bekenntnis“), in der Sache jedoch durchweg vage gehalten. Zeitliche Festlegungen fehlen.
Selbst die im Vorfeld regelmäßig zu hörende Forderung der Amerikaner, der Verzicht Nordkoreas auf Atomwaffen müsse „vollständig, überprüfbar und unumkehrbar“ sein, hat es nicht in die feierlich unterzeichneten Dokumente geschafft.
begründete dies mit „Zeitmangel“ und verwies auf zügig beginnende weitere Verhandlungsrunden. An dieser Stelle werfen ehemalige Regierungsvertreter ihn Washington ein, „waren die USA schon mehrfach mit Nordkorea“. Kims Vorgänger hätten ihre militärischen Ambitionen jedoch immer heimlich weitergetrieben.
Donald Trump und Kim Jong Un in Singapur
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Wer hat welche Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel?
Amerika hatte seine Atomwaffen (in der Spitze fast 1000) Anfang der 90er Jahre unter Präsident George H.W. Bush aus Südkorea abziehen lassen. Nordkorea hat spätestens seit 2005 ein Arsenal von 30 bis 60 Atom-Sprengköpfen entwickelt und die dazu nötigen Träger-Raketen, die laut Pentagon Ziele in Amerika erreichen könnten.
Unabhängige Informationen dazu gibt es nicht, weil Nordkorea hermetisch abgeschottet ist und keine auswärtigen Kontrolleure ins Land lässt.
Was bedeutet das Bekenntnis Nordkoreas zur „vollständigen Denuklearisierung“ der koreanischen Halbinsel?
Trump geht davon aus, dass der von Experten auf 15 Jahre taxierte Prozess des Atomwaffenabbaus „sehr, sehr schnell“ beginnt und von internationalen Akteuren überprüft werden kann. Er entnimmt seine Zuversicht den Gesprächen mit
Nordkorea, das wurde bereits vor dem Gipfel deutlich, versteht darunter etwas anderes: eine „schrittweise und synchrone“ Abrüstung auf beiden Seiten. Inklusive Lockerung der Sanktionen, die das bitterarme Land strangulieren. Und Für Kim Jong Un zählt auch ein Teilabzug der US-Truppen in Südkorea dazu.
Trump hat sich dazu nicht verbindlich geäußert. Eine Ende der Sanktionen werde es erst geben, „wenn wir sicher sind, dass Atomwaffen keine Rolle mehr spielen“, sagte er am Montag (Ortszeit). Als hoffnungsvolles Zeichen wertet Trump, dass Nordkorea just die Zerstörung eines Testgeländes für Raketenantriebe angeordnet habe.
Was sind die Sicherheitsgarantien Washingtons wert?
Es gibt bisher nichts Verbindliches, etwa eine schriftliche Erklärung, dass die USA in Nordkorea keinen Regimewechsel anstreben wird. Oder auch die für grausame Menschenrechtsverletzungen bekannte Führung Kims selbst dann unangetastet lassen, wenn die Atomwaffen vollständig abgebaut sein sollten.
Das weitreichendste Zugeständnis ist der von Trump angekündigte Verzicht auf die seit vielen Jahren mit dreistelligem Millionenaufwand durchgeführten Militärübungen mit Südkorea, von denen sich Pjöngjang bedroht fühlt. Der US-Präsident nennt sie plötzlich „teure, provokative Kriegsspiele“. Ob die Übungen sofort eingestellt werden oder erst nach belegbaren Abrüstungsanstrengungen Nordkoreas, ist unklar.
Trump hat zudem vorsichtig angedeutet, dass er die zurzeit rund 30.000 in Südkorea stationierten US-Soldaten perspektivisch abziehen will. Eine Richtungsentscheidung, die noch vor kurzem von Verteidigungsminister James Mattis relativiert wurde. „Wir bleiben, wo wir sind.“
Kann Trump mit einem Twitter-Kommentar alles wieder zerstören?
Damit muss man potenziell immer rechnen, aber diesmal wohl nicht so schnell. Anders als
und beim Handelsstreit mit der EU hat sich der amerikanische Präsident gegenüber Kim eine auffällig wohlwollende Sprache angewöhnt. Die ist völlig frei von jenen feindseligen Tönen, die noch vor sechs Monaten zwischen beiden herrschte (Stichwort: „Raketenmann“ und „seniler Greis“).
Weil die Absichtserklärungen von Singapur unscharf blieben, muss der notorisch ungeduldige Trump dem Projekt Zeit geben. Wie viel? Offen. Sollte Pjöngjang, womit manche Nordkorea-Experten rechnen, auf Zeit spielen oder wie früher tricksen, wird Trump mit bissigen Kommentaren nicht lange warten. Am Montag jedenfalls schloss er, wenn auch augenzwinkernd, nicht aus, dass er in sechs Monaten einen „Irrtum“ einräumen muss.
Befinden sich Nord- und Südkorea auf dem Weg zur Wiedervereinigung? Und was wird dann aus Kim?
Zum heutigen Zeitpunkt erscheint das als Wunschdenken. Ein offizieller Friedensvertrag einhergehend mit einer Entmilitarisierung der koreanischen Halbinsel – inklusive Annäherung der beiden gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich völlig unterschiedlichen Länder – wird nach Einschätzung von US-Experten ein „Generationen-Projekt mit ungewissem Ausgang“. Dem kommunistischen Diktator Kim Jong Un würde dabei ein Führungsanspruch unterstellt, der sich mit einer pluralen Demokratie wie Südkorea nicht verträgt.
Als Zeichen des guten Willens auf Seiten Kims wird jedoch interpretiert, dass Pjöngjang bereit ist, gegenüber den USA und wohl auch Südkorea die sterblichen Überreste von Gefangenen und Vermissten aus dem Korea-Krieg herauszugeben, der 1953 mit einem Waffenstillstand endete.
Was denken geflüchtete Nordkoreaner von Kims Auftritt?
Das Echo der Nordkoreanischen Flüchtlinge ist gemischt. Ältere, wie der 51-Jährige Nordkoreaner Jay Cho verbrachte die erste Hälfte seines Lebens in Nordkorea und wohnt jetzt in Kalifornien. Er traue zwar Kim Jong Un nicht 100-prozentig über den Weg, aber hält dieses Treffen für „eine riesige Chance, vielleicht sogar für die Wiedervereinigung.“
Der 31-jährige Nordkoreaner Seungmin Lee ist skeptischer. Der Student der Columbia-Universität in New York sagt: Kim Jong Un wird der Öffentlichkeit immer sagen, was sie hören will, um seine Wirtschaft anzukurbeln.“ Eine vollständige Denuklearisierung Nordkoreas kann er sich nicht vorstellen.
Und die 24-Jährige Nordkoreanerin Park Yeonmi erwartet überhaupt nichts Gutes vom Gipfel: „Solange es nicht um die Menschenrechte und um das Schicksal der 25 Millionen Nordkoreaner im Land geht, wird sich nichts ändern.“
Hat Trump den Friedensnobelpreis verdient?
Seine Anhänger würden ihm den Orden am liebsten morgen verleihen; schon weil Vorgänger Obama ihn (sehr früh) für seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt bekommen hat. Andere Stimmen, darunter das nahezu komplette politische Establishment in den USA, sind zurückhaltender. Die Anbahnung eines Prozesses der Annäherung mit Nordkorea sei zwar „verdienstvoll“ aber noch nicht preiswürdig, sagen sie. Tenor: Noch sei in der Substanz nichts erreicht worden.
Gelänge jedoch mittelfristig ein echter Friedensprozess, der das atomare Bedrohungspotenzial Nordkoreas nachweisbar beseitigt, würde nicht nur in den USA der Ruf nach der begehrten Auszeichnung für Trump parteiübergreifend lauter.
Dabei ist es ein anderer Mann, der für seine geschickte Diplomatie tatsächlich den Friedensnobelpreis verdient hätte: Südkoreas Präsident Moon Jae In. Ohne sein unermüdliches Werben wäre der Gipfel von Singapur „nicht zustande gekommen“, sagen Diplomaten im US-Außenministerium im privaten Gespräch. Sie halten darum eine gemeinsame Auszeichnung für Trump, Moon und Kim Jong Un für vertretbar - „wenn es wirklich Ergebnisse gibt“.
Welche Rolle spielen jetzt Russland und China?
Trump muss mit beiden Großmächten, die sich gestern positiv über den Verlauf des Singapur-Treffen äußerten und Mithilfe angeboten haben, die weiteren Schritte koordinieren. Andernfalls könnte der erwünschte Abrüstungsprozess schon im Frühstadium an Fahrt verlieren.
Die Interessenlagen sind dabei sehr verschieden. Moskau und Peking wollen Nordkorea zwar als Unruheherd ausgeschaltet wissen, gleichzeitig aber den Einfluss der Amerikaner in der Region zurückdrängen. Tokio und Seoul, als direkt betroffene Anrainer Nordkoreas, sind dagegen auf die Schutzmacht Amerika angewiesen.
Weil Trump allen Beteiligten in der Vergangenheit „mehrfach auf die Füße getreten hat“, vor allem in Handelsfragen, rechnen Experten in Washingtoner Denkfabriken mit „Störmanövern“.