Berlin/Hamburg. Die Datenschützerin des Bundes hat im Nachklang zum G20-Gipfel die Qualität der Polizeidaten geprüft – und sieht erhebliche Mängel.

Einen Fall hebt die Datenschutzbeauftragte des Bundes besonders hervor: Ein Journalist habe einer Polizistin am Rande einer Demonstration im Weg gestanden. Offenbar war es zu einem Rempler gekommen, obwohl „zu beiden Seiten neben ihm Platz gewesen sei“.

Der Vorwurf dennoch: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Das Verfahren wurde schnell eingestellt. Und doch: Es hat laut der Datenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff gereicht, dass die Sicherheitsbehörden dem Journalisten die Akkreditierung für den G20-Gipfel in Hamburg entzogen hatten. Das geht aus einem vertraulichen Bericht der Datenschützerin an den Bundestag hervor, der dieser Redaktion vorliegt. Denn, so die Kritik, Aktenvermerke zu Personen seien oft jahrelang gespeichert, obwohl Ermittlungen längst eingestellt sind. Voßhoff sehe den Bedarf, die „polizeilichen Datenbestände auf ihre Qualität zu prüfen“, heißt es dort.

32 Journalisten im Fokus

Insgesamt war 32 Journalisten der Zugang zum G20-Tagungsort entzogen worden – während der Gipfel bereits lief. Dies geschah nach offiziellen Angaben kurzfristig aufgrund einer „Neubewertung der Sicherheitslage“, an mehreren Stellen der Stadt war es zu schweren Ausschreitungen durch Demonstranten und Linksautonome gekommen. Und es geschah laut Datenschützerin Voßhoff vor allem auf Grundlage der Daten, die Länderpolizeien und Verfassungsschützer an das Bundeskriminalamt geliefert hatten.

Die Nervosität in den Sicherheitsbehörden war in den Tagen des Gipfels in Hamburg hoch. Die Lage schwer zu durchschauen. Gerade in solchen Ausnahmesituationen, so die Datenschutzbeauftrage des Bundes, sei Qualität der Polizeidaten wichtig.

Doch genau diese Qualität der polizeilichen Datenbestände moniert Datenschützerin Voßhoff nun. Das hätte eine Kontrolle der Daten der 32 Journalisten gezeigt, denen beim Gipfel die Akkreditierung nachträglich entzogen wurde. Auch tagesschau.de berichtet über die Kritik der Datenschutzbeauftragten. Ihre Behörde hatte in den vergangenen Monaten die Daten des Bundes zu den 32 Fällen überprüft. Die Ergebnisse der Kontrollen zum G20-Datenschutz aus den Ländern liegen der Bundesbeauftragten laut Bericht noch nicht vollständig vor.

„An der Grenze der Strafbarkeit“

Oftmals seien demnach Aktenvermerke zu Personen teilweise länger als zehn Jahre gespeichert, obwohl es sich wie im hier geschilderten Fall um „Taten an der Grenze der Strafbarkeit“ gehandelt habe – oder um Angaben zu längst freigesprochenen Personen. Es sollte „in den polizeilichen Datenbeständen stärker erkennbar sein, wie valide die gespeicherten Vorwürfe gegen die betroffene Person tatsächlich sind“, schreibt Voßhoff in dem Bericht.

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    Für Freisprüche oder Einstellungen sehe das polizeiliche Informationssystem INPOL jedoch „kein eigenes Speicherfeld“ vor. Wenn Polizisten nicht auf eigene Faust in anderen Datenbeständen oder direkt bei Gericht nachhaken, heißt das: Sie erfahren nie, ob ein Beschuldigter längst für unschuldig erklärt oder das Verfahren eingestellt wurde. Was bleibt, ist der bloße Verdacht. Dies sei „ein erheblicher struktureller Mangel“, schreibt Voßhoff.

    Zehn Jahre oder länger

    Und der Verdacht gegen eine Person bleibt in bestimmten Fällen Jahre gespeichert. Auch das zeige die Kontrolle der G20-Fälle durch die Datenschutzbeauftragte. Einzelne Datensätze seien älter als zehn Jahre. Voßhoff schreibt: „Je älter allerdings eine Speicherung ist, desto wichtiger ist es, ihre Notwendigkeit zu begründen.“ Das zu beurteilen, falle allerdings in die Verantwortung der Landespolizeibehörden. Die BKA-Akte eines Journalisten, dem die Akkreditierung beim G20-Gipfel entzogen worden war, liegt dieser Redaktion vor. Mehrere Einträge beziehen sich auch hier auf Vorwürfe, die zehn Jahre oder länger her sind.

    Beim G20-Gipfel hatte diese BKA-Einschätzung zum unrechtmäßigen Ausschluss einiger weniger der insgesamt rund 5000 akkreditierten Journalisten geführt. Und offenbar hatte in den hektischen Tagen des G20-Gipfels das Bundeskriminalamt (BKA) selbst die Qualität der Daten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) moniert. Das BKA habe bei der Prüfung einzelner akkreditierter Journalisten um „beweiskräftige, gerichtsfeste Aussagen“ des Inlandsgeheimdienstes gebeten.

    Doch Voßhoff hält nach Überprüfung der Kommunikation des Verfassungsschutzes fest: „Zumeist handelte es sich um Mitteilungen, die sich auf gewaltorientierte, gewaltbereite oder gewaltbefürwortende Bestrebungen bezogen, die aber nicht näher genannt oder beschrieben wurden.“ Welche Nähe die unter Verdacht geratenen Journalisten zu diesen „gewaltorientierten Bestrebungen“ gehabt hätten, sei aus den Daten des BfV nicht „durchgehend deutlich“ geworden.

    Brisant auch: Verfassungsschützer und Kriminalbeamte konnten sich im Vorfeld des Gipfels nicht auf gemeinsame Kriterien einigen, wann einer Person eine Akkreditierung entzogen werden soll. Die beiden Behörden gingen „deshalb offenbar von unterschiedlichen Prämissen aus, wann Erkenntnisse vorliegen, die eine Nichterteilung der Akkreditierungen rechtfertigen“, heißt es in dem Bericht der Datenschützerin.

    Gravierende Vorwürfe?

    In vier Fällen waren die Informationen des Verfassungsschutzes jedoch offenbar so gravierend, dass diesen Journalisten noch am ersten Tag des Gipfels die Akkreditierung entzogen worden war. Nach Informationen dieser Redaktion standen Spitzenbeamte von Verfassungsschutz, Bundesinnenministerium und Bundespresseamt zu diesen vier Journalisten am ersten Gipfeltag im direkten Austausch.

    Laut der Datenschutzbeauftragten hatte sich das Bundeskriminalamt aufgrund der vorliegenden Informationen zu den 32 Journalisten zunächst gegen einen Entzug der Akkreditierung entschieden. In der Nacht zum zweiten Gipfeltag fiel dann die Entscheidung, auch den anderen 28 unter Verdacht geratenen Journalisten die Akkreditierung zu entziehen.

    Die Datenschutzbeauftragte verteidigt auch hier das Vorgehen des BKA. Diese Eilentscheidung sei „datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden“, schreibt Voßhoff. „Sie war in erster Linie situationsbedingt.“ Auch insgesamt sei die Prüfung der G20-Akkreditierungen durch das BKA mit Blick auf den Datenschutz nicht zu beanstanden.

    Der Tenor: Die mangelhafte Datenqualität zu einzelnen akkreditierten Journalisten gepaart mit der für die Polizei vor Ort nur schwer zu kontrollierenden Sicherheitslage führte zu dem viel kritisierten Ausschluss einzelner Berichterstatter. „Allerdings zeigt sich an dieser Stelle, wie wichtig gerade in Eilsituationen eine hohe Datenqualität in den polizeilichen Informationssystemen ist“, so Voßhoff.

    Kritik von Linke und CSU

    Das BKA müsse seinen Datenbestand „schleunigst auf das rechtlich Zulässige reduzieren“, hatte die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Ulla Jelpke, schon nach Bekanntwerden der Vorfälle gefordert. Das BKA mache sich eines „fortgesetzten Grundrechtsverstoßes“ schuldig. Auch der CSU-Innenexperte Stephan Mayer sah „dringenden Handlungsbedarf“ bei den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern. Der Deutsche Journalistenverband sprach von einem „Abgrund an Datenmissbrauch“.

    Nach mehreren Medienberichten hatten Sprecher von BKA und Innenministerium eingeräumt, dass Fehler den Sicherheitsbehörden Fehler im Umgang mit einzelnen Journalisten unterlaufen waren und sich bei den Betroffenen entschuldigt. Es habe aber kein „einheitliches Fehlermuster“ gegeben. BKA-Chef Holger Münch betonte damals, dass die Datensammlung seiner Behörde scharfen Kontrollen unterliege. Für die Speicherung und auch das Löschen der Daten im INPOL-System sei immer die Behörde verantwortlich, die diese eingespeist habe. Dies seien in den meisten Fällen die Polizeien der Länder.

    Datenschützer beklagen „Wildwuchs“

    Datenschützer beklagen seit Jahren „Wildwuchs“ beim Sammeln und Speichern von Informationen. Auch Sicherheitsexperten, Anwälte und selbst Polizisten sagen im Gespräch mit dieser Redaktion, dass sie nicht genau wissen, in welchen Datenbanken welche Informationen wie lange gespeichert werden dürfen. Und an wen genau diese Daten weitergegeben werden können. In Deutschland gibt es fast 40 verschiedene Sicherheitsbehörden, allein 16 Mal eine Landespolizei, dazu genauso viele Landeskriminalämter, die Bundespolizei, die Verfassungsschutzämter.