Berlin. Nach anfänglichen verbalen Entgleisungen ist die AfD im parlamentarischen Alltag angekommen. Initiativen kommen vor ihr bisher wenige.

Der Eklat kam schneller als gedacht: Der 19. Bundestag war gerade eine halbe Stunde alt, da verglich Bernd Baumann, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, in seiner ersten Rede eine Entscheidung des vorherigen Bundestags mit einem Manöver des Nationalsozialisten Hermann Göring. Der habe 1933 als Reichstagspräsident die Kommunistin Clara Zetkin als Alterspräsidentin verhindern wollen. Der implizite Vorwurf: Mit einer Änderung der Geschäftsordnung aus dem Sommer 2017, die einen Alterspräsidenten aus den Reihen der AfD verhindert hat, mache sich das Parlament Nazi-Methoden zu eigen.

Unabhängig davon, dass Baumann nicht 100-prozentig faktenfest war – Kommunisten waren zum genannten Zeitpunkt bereits vom Reichstag ausgeschlossen –, schien die Rede die schlimmsten Erwartungen von AfD-Gegnern zu bestätigen: Die neue Fraktion würde Hetze in das Hohe Haus tragen, den Bundestag zur Bühne ihrer Gesinnung machen. Skandal statt Sacharbeit.

Alexander Gauland, Co-Fraktionsvorsitzender der Rechtspopulisten im Bundestag, hatte wenig dazu beigetragen, diese Erwartungen zu zerstreuen, als er am Wahlabend ankündigte, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „jagen“ zu wollen.

Kubicki: „AfD hat das Parlament diszipliniert“

Drei Monate nach der Wahl lässt die Umsetzung dieser drastischen Ankündigung auf sich warten, große Aufreger sind seit Baumanns Rede ausgeblieben.

„In die Fresse“ und Obergrenze-Streit: Diese Politiker sprechen bei uns Klartext

weitere Videos

    Und doch hat sich das Parlament mit dem Neuzugang verändert. So sind in dieser Legislaturperiode bislang auffällig viele der blauen Stühle im Plenarsaal besetzt. Denn die AfD-Fraktion, die mit 92 Abgeordneten die drittgrößte ist, taucht an Sitzungstagen meist geschlossen im Plenarsaal auf – und dokumentiert das fleißig auf ihren Kanälen in sozialen Netzwerken, vor allem dann, wenn in den Reihen der anderen Fraktionen nur wenige Abgeordnete sitzen.

    Die Bilder sind peinlich für die anderen Parteien, selbst wenn diese, wie in einem Facebook-Post des nordrhein-westfälischen AfD-Abgeordneten Stefan Keuter, lange vor Sitzungsbeginn gemacht wurden. Und so bemühen sich CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke darum, ebenfalls sichtbar zu sein.

    Auch interessant

    Weil die AfD vollzählig da sei, müssten mindestens 90 andere Parlamentarier da sein, um zu verhindern, dass die AfD die Mehrheit bekomme. „Das führt dazu, dass die Reihen wieder gut gefüllt sind.“

    Rund 20 kleine Anfragen hat die AfD bisher eingebracht

    Dass die AfD alleinverantwortlich sei für mehr Präsenz im Parlament, hält Martina Renner, Abgeordnete der Linken, für eine „gewagte These“. „Das Plenum ist voll, weil nicht parallel dazu Fach- und Untersuchungsausschüsse tagen“, erklärt sie. Tatsächlich arbeitet der nicht mehr ganz so neue Bundestag noch immer auf Sparflamme: Da noch keine Regierung gewählt ist und so auch die Zuschnitte der Ministerien noch unklar sind, haben die Abgeordneten außer einem Hauptausschuss noch keine Gremien gebildet. Die entsprechenden Sitzungen und die dazugehörige Arbeit fallen bislang weg.

    Bis eine Koalition steht, nutzen die Parlamentarier ihre Zeit vor allem, um die Regierung zu ihren Themen zu fragen. Rund 20 kleine Anfragen hat die AfD in ihren ersten drei Monaten im Parlament eingebracht. Das ist mehr als bei Grünen und FDP, aber deutlich weniger als bei der Linken, der zweitkleinsten Fraktion im Parlament.

    Und auch wenn es noch keine neue Regierung gibt, stimmt das Parlament zudem über jene Fragen ab, bei denen Fristen eine Entscheidung erforderlich machen – etwa die Bundeswehreinsätze im Ausland und die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung.

    Grünen-Geschäftsführerin wirft AfD Scheinheiligkeit vor

    „Voller Scham“ habe man den Antrag zum Anpassungsverfahren für die Diäten zur Kenntnis genommen, sagte der AfD-Abgeordnete Keuter und warf Union, SPD und FDP vor, dass die Anpassung ohne Aussprache „durchgewunken“ werden solle. Keuters Rede sorgte für Verwunderung bei den anderen Parteien – und für Ärger.

    Denn nicht nur war es eine parlamentarische Aussprache, die dem Parlamentarier aus NRW Gelegenheit zu diesem Vorwurf gab: Die Bundestagsverwaltung hatte auch mehrmals darauf hingewiesen, dass das Parlament bis zum 24. Januar darüber entscheiden musste, ob die geltende Regelung verlängert werden soll. Nach dieser ist die Entschädigung der Abgeordneten an die Lohnentwicklung bei Beschäftigten gekoppelt.

    Mehrmals sei das Thema in verschiedenen Runden auf der Ebene der Geschäftsführer angesprochen worden, antwortete Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. „Es gab weder einen Widerspruch vonseiten des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers noch eine inhaltliche Anmerkung zum Thema“, sagte Haßelmann. „Und da werden heute die Backen so aufgeblasen – wie scheinheilig ist das denn?“ Die Debattenkultur, sagt Haßelmann unserer Redaktion, habe sich mit dem Einzug der AfD „spürbar verändert“.

    Gabriel stellt Bedingungen für GroKo-Neuauflage

    weitere Videos

      Kubicki rät zu Gelassenheit im Umgang mit der AfD

      Hinter der Episode um die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung müsse nicht unbedingt böser Wille stecken, sagen manche. Auch mangelnde parlamentarische Erfahrung könne ein Grund sein. Und auf der Arbeitsebene verlaufe die Zusammenarbeit weitgehend geräuschlos, auch wenn Absprachen manchmal schwierig seien.

      Andere sind skeptischer. „Auf der Arbeitsebene erwarte ich nichts von der AfD“, sagt die Linken-Abgeordnete Renner. Erfahrungen in den Ländern zeigten, dass in den Fachausschüssen „keine Initiative, keine Redebeiträge“ zu erwarten seien. FDP-Mann und Bundestagsvizepräsident Kubicki rät im Umgang mit der Partei zur Gelassenheit: „Je normaler wir mit ihnen umgehen, desto geringer wird ihre Reichweite sein.“

      Ein AfD-Vertreter, der die ersten Monate im Bundestag aus seiner Sicht hätte resümieren können, stand bis Redaktionsschluss nicht zur Verfügung.