Moskau. Kaum kritische Fragen: Auf der Jahrespressekonferenz huldigen russische Journalisten vier Stunden ihrem Präsidenten Wladimir Putin.

Es wird geklatscht, der Präsident springt mit zwei Sätzen auf die Bühne vor den großen Bildschirm, der diesmal nicht blau, sondern goldgelb leuchtet. Wladimir Putin beginnt seine 13. Jahrespressekonferenz als russischer Staatschef gewohnt dynamisch. „Warum ist nach 20 Jahren unter Ihrer Regierung kein einflussreicher Oppositionskandidat aufgetaucht“, fragt ein Reporter des kremlnahen TV-Kanals Life im Moskauer World Trade Center. „Ist Ihnen selbst nicht langweilig?“ Anstatt zu antworten, schlägt Putin vor, einer anderen Journalistin das Wort zu geben: „Um Ihre Frage noch zuzuspitzen, ich sehe hier eine junge Frau mit einem Plakat, auf dem ,Putin bye bye‘ steht.“

Die junge Frau, eine Tatarin, sagt dem Präsidenten: „Hier steht ,Putin Babai‘, das heißt auf tatarisch ,Väterchen Putin‘. So nennen die Kinder in unserer Republik Sie.“ Die „große Pressekonferenz Wladimir Putins“, wie die Staatsmedien sie nennen, hat ihre eigenen Dimensionen und Rituale. Der Staatschef beantwortet an diesem Donnerstag drei Stunden und 42 Minuten lang 65 Fragen von 1640 akkreditierten Journalisten. Ein Rekord.

Bruttosozialprodukt seit dem Jahr 2000 um 75 Prozent gestiegen

Auf die Frage, ob er mangels ernsthafter Konkurrenten einen langweiligen Wahlkampf erwartet, erwidert Putin ausführlich: „Warum gibt es bei uns scheinbar laute und aktive Oppositionspolitiker, die aber keine reale Konkurrenz für die Regierung darstellen?“ Bei allen Problemen Russlands, die es noch zu diskutieren gäbe, sei das Bruttosozialprodukt seit dem Jahr 2000 um 75 Prozent gestiegen, die Industrieproduktion um 60 Prozent. „Für eine nennenswerte Opposition ist es wichtig, nicht nur auf den Straßen Krach zu schlagen oder über das volksfeindliche Regime zu schimpfen“, sagt der Präsident.

„Wichtig ist, etwas vorzuschlagen, um es besser zu machen.“ Erst vergangene Woche kündigte Putin seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen am 18. März an. Aber da der Amtsinhaber es traditionell ablehnt, an TV-Debatten teilzunehmen, stellt diese Veranstaltung einen der letzten öffentlichen Termine vor dem Wahlgang dar, wo Wladimir Putin unangenehme Fragen drohen könnten.

Journalisten haben Skimützen und Stofftiere dabei

Debattenstimmung kommt trotzdem nur selten auf. Wie Kinder in einer riesigen Schulklasse versuchen die Presseleute mit Stofftieren oder Skimützen die Aufmerksamkeit Putins zu gewinnen. Wie immer sind die meisten der Fragesteller linientreue Moskauer Staatsreporter oder Provinz- oder Fachjournalisten. Da bedankt sich die Redakteurin des Portals „Talentierte Kinder“ freudestrahlend bei Putin, dass er bei seiner Pressekonferenz 2014 die Schaffung des Portals „Talentierte Kinder“ befürwortete.

Und da outet sich der Korrespondent des Verbraucherportals „potrebitel.ru“ als Direktor eines Murmansker Fischkombinats, beschwert sich über 349 Gesetze, die seine Branche regulierten, das Wirrwarr habe dazu geführt, dass Fisch dreimal mehr koste als Hühnerfleisch. Dann erklärt er reumütig: „Ich habe gegen das Gesetz verstoßen, tun Sie mit mir, was Sie wollen.“ Putin aber versichert dem Mann seine volle Sympathie, fachsimpelt mit ihm über Fangquoten und verspricht dann Abhilfe.

Putin kritisiert an mehreren Stellen die USA

Wladimir Putin auf der Bühne in Moskau bei seiner jährlichen Pressekonferenz.
Wladimir Putin auf der Bühne in Moskau bei seiner jährlichen Pressekonferenz. © dpa | Pavel Golovkin

Wie jedes Jahr im Dezember huldigt Russlands journalistisches Volk seinem Zaren. Und der zeigt sich großmütig, stellt auch mehr Kinderkrippenplätze, Steuerprivilegien für Rentner oder eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben in Aussicht. An mehreren Stellen kritisiert er die USA. Er hoffe, dass Präsident Donald Trump an seinem Wunsch nach besseren Beziehungen zu Moskau festhalte, sagt Putin. Und lobt die Erfolge des Amerikaners in dessen einjähriger Amtszeit: „Sehen Sie sich das Wachstum der Märkte an.“

Es ist eine an Langeweile grenzende Harmonie, die nur einmal zu kippen droht, als die Fernsehmoderatorin Xenia Sobtschak, die im März ebenfalls kandidieren will, das Mikrofon bekommt: Sie hält Putin vor, er habe keine ernsthaften Konkurrenten, weil diese entweder gar nicht zu den Wahlen zugelassen oder massiv behindert würden.

Den Namen Nawalny nimmt Putin nicht in den Mund

„Es gibt zum Beispiel den Kandidaten Nawalny, gegen den fiktive Strafverfahren eingeleitet wurden, die der Europäische Gerichtshof als rechtswidrig bezeichnet hat. Trotzdem wird er von den Wahlen ausgeschlossen.“ Putin ignoriert in seiner Antwort den Europäischen Gerichtshof und den Namen Alexei Nawalny ebenfalls. „Was die Figuren angeht, die Sie erwähnt haben“, sagt er, „wollen Sie etwa, dass bei uns Leute wie Saakaschwili in der Ukraine herumlaufen?“

Den georgischen Expräsidenten Micheil Saakaschwili nannte Putin schon vorher einen notorischen Unruhestifter. „Wollen Sie etwa, dass diese Leute die Lage im Land destabilisieren?“ Xenia Sobtschak, inzwischen ohne Mikrofon, ruft eine Antwort in den Raum, von der aber kein Wort mehr zu verstehen ist. Damit ist die Debatte zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Wenig später ist auch die Pressekonferenz vorbei, Putin gratuliert allen zu Neujahr, Russlands glückliche Presse antwortet mit Sprechchören: „Danke, danke!“