Berlin. Doch wieder große Koalition? Während sich die SPD-Spitze bewegt und die Basis befragen will, kommt von den Jusos ein deutliches Signal.

SPD-Chef Martin Schulz ist vom kategorischen Nein zu einer großen Koalition abgerückt und will die Entscheidung über jedwede Regierungsbeteiligung den Parteimitgliedern überlassen. „Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form und in welcher Konstellation auch immer, an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen“, sagte Schulz.

Die Jusos stellen sich aber bereits quer: „Wir sind das Bollwerk gegen große Koalitionen“, sagte der neue Bundesvorsitzende der Jungsozialisten in der SPD, Kevin Kühnert (28). Er wurde auf dem Juso-Bundeskongresses mit 75 Prozentder Stimmen zum Nachfolger von Johanna Uekermann (30) gewählt.

Schulz: „Kein Automatismus“

Kevin Kühnert ist neuer Vorsitzender der Jusos.
Kevin Kühnert ist neuer Vorsitzender der Jusos. "Wir sind das Bollwerk gegen große Koalitionen", sagt er. © Jusos | Jusos

Auch Uekermann hatte sich zuvor deutlich gegen diese Option ausgesprochen: „Es darf keine Neuauflage der großen Koalition geben.“ Frenetischer Beifall war die Antwort. Sie fügte hinzu: „Bei aller Verantwortung für das Land dürfen wir die eigene Partei nicht vergessen. Die große Koalition wäre der Todesstoß für das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit, das wir als SPD noch haben.“

Schulz betonte, es gebe „keinen Automatismus in irgendeine Richtung“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Schulz für Donnerstag zu einem gemeinsamen Gespräch ins Schloss Bellevue ein. Schulz sagte, die SPD-Führung habe ausführlich beraten, welchen Beitrag die SPD für eine Regierungsbildung leisten könne – „in welcher Form und welcher Konstellation auch immer“.

Parteispitze einig über Teilnahme an Gesprächen

Am Sonntag waren die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen gescheitert. Steinmeier hatte die Parteien daraufhin eindringlich zu einem neuen Anlauf für eine Regierungsbildung aufgerufen, die Initiative übernommen und eine Reihe von Gesprächen mit den Spitzen der Parteien und Fraktionen gestartet. Am Donnerstag war Schulz zum Gespräch bei seinem alten Parteifreund Steinmeier angetreten. Im Anschluss hatte die SPD-Führung bis in die Nacht über das weitere Vorgehen beraten.

Steinmeier spricht mit Schulz über Wege aus Regierungskrise

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    Schulz sagte, die Parteispitze sei sich einig gewesen, dass er der Einladung des Bundespräsidenten zu Treffen in der kommenden Woche auch mit anderen Parteichefs folgen werde. Nach einem Termin für das Treffen von Steinmeier mit Merkel, Seehofer und Schulz werde noch gesucht, hieß es aus dem Bundespräsidialamt.

    SPD hatte Nein zunächst bekräftigt

    Schulz sagte, die SPD werde über jeden weiteren Schritt intensiv in Partei und Fraktion beraten. Selbstverständlich arbeiteten die Sozialdemokraten in der geschäftsführenden Regierung weiter mit. In der Partei wird nicht damit gerechnet, dass es vor dem am 7. Dezember beginnenden Parteitag bereits zu Sondierungsgesprächen kommen könnte.

    Noch am Montag, direkt nach Abbruch der Jamaika-Sondierungen, hatte die SPD-Führung auf Vorschlag von Schulz einstimmig ihr am Wahlabend verkündetes Nein zu einer großen Koalition bekräftigt und in Richtung Neuwahlen tendiert. Viele Bundestagsabgeordnete gingen daraufhin auf die Barrikaden. Sie wollen keine Neuwahl, bei der sie ihren gerade erst errungenen Platz im Parlament wieder verlieren könnten. Nun schwenkt die Parteispitze in eine andere Richtung - behutsam, um die Basis mitzunehmen. Denn die Option große Koalition stößt dort – anders als in der Funktionärsriege – auf große Vorbehalte.

    Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte dem Sender Phoenix, ihre Partei wolle sich Gesprächen zur Regierungsbildung nicht verweigern. Sie betonte aber: „Gespräche bedeuten für uns nicht ein unmittelbares, automatisches Go für eine GroKo. Das ist ganz und gar nicht so, sondern wir werden über die Möglichkeiten sprechen, die es gibt, um in Deutschland eine stabile Regierung zu haben.“ Für die SPD sei auch eine Minderheitsregierung grundsätzlich denkbar. „Klar ist auf jeden Fall, dass es zwischen Neuwahl und großer Koalition auch andere Möglichkeiten gibt.“

    Merkel betont Handlungsfähigkeit

    Vom 7. bis 9. Dezember findet in Berlin ein dreitägiger SPD-Bundesparteitag statt. Spätestens dann soll der Partei eine Art Roadmap vorgelegt werden, wie „ergebnisoffen“ Gespräche über eine Regierungsbildung zum Wohle des Landes geführt werden könnten. Schulz will dort erneut als Parteichef kandidieren. Der frühere SPD-Vorsitzende und geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel sagte am Rande eines Besuches in London voraus, Schulz werde die SPD auch in Zukunft führen. „Schulz wird Parteivorsitzender bleiben.“

    Merkel unterstrich unterdessen am Rande des EU-Gipfels zur Ostpartnerschaft in Brüssel unterstrich die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Auf entsprechende Fragen der anderen Staats- und Regierungschefs habe sie betont: „Wir werden als geschäftsführende Bundesregierung natürlich unseren europäischen Verpflichtungen voll nachkommen und uns aktiv einbringen“, so Merkel am Freitag. (dpa)