Barcelona. Polizeigewalt überschattet die Abstimmung über die Unabhängigkeit von Katalonien. Jetzt fordern Politiker Vermittlung durch die EU.
Es sind
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, die am Sonntag aus Spanien in die Welt getragen werden.
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, der autonomen Region im Nordosten des Landes. Um neun Uhr morgens beginnt der Einsatz der Guardia Civil. Das ist die paramilitärische Polizeieinheit der spanischen Zentralregierung. Vor mehreren Wahllokalen gehen die Beamten rabiat auf die Bürger los, treten sie, reißen sie an den Haaren und schleifen sie über den Boden. Später sollen vereinzelt auch Gummigeschosse und Schlagstöcke eingesetzt worden sein. Alles, um das von der Justiz und von der Zentralregierung verbotene Unabhängigkeitsreferendum in der aufmüpfigen Region zu verhindern.
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„Einen Krankenwagen! Einen Krankenwagen!“, ruft eine junge Frau vor einem Wahllokal in Barcelona und hält eine ältere Frau in den Armen, die heftig am Kopf blutet. „Als die Menschen deutlich machten, dass sie sich nicht vom Wahllokal wegbewegen würden, haben sie uns mit Schlagstöcken attackiert“, zitiert die Zeitung „La Vanguardia“ einen Katalanen vor der Schule „Ramon Llull“ in Barcelona. „Den Hass in ihren Augen werde ich nicht vergessen. Sie haben auch Alte und Kinder angegriffen, es war ihnen egal.“ Die Bilanz der Regionalregierung am Abend: mehr als 840 Verletzte. Das Innenministerium in Madrid berichtet von mehr als 30 verletzten Polizisten.
Spiel des FC Barcelona unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Videos mit Aufnahmen der Polizeigewalt machen schnell auch außerhalb Spaniens die Runde und sorgen den ganzen Tag über für erhitzte Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern der Volksbefragung. Die Bilder von blutüberströmten Gesichtern, schreienden Kindern und prügelnden Sicherheitskräften könnten
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nun zum Verhängnis werden. Seine konservative Minderheitsregierung hatte die Sicherheitskräfte entsandt – und offenbar zum harten Durchgreifen aufgefordert.
Am Sonntagabend verurteilt Rajoy das Referendum scharf und spricht ihm jede Gültigkeit ab. Es habe „kein Referendum, sondern eine Inszenierung“ gegeben, erklärt der Politiker vor Journalisten in Madrid. Die Schuld an den Unruhen gibt er allein der Regionalregierung: „Die Verantwortlichen sind die, die das Gesetz gebrochen haben.“ Er werde ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken.
Katalanen stimmen über Unabhängigkeit ab
Auch die erste Fußballliga Spaniens wird in Mitleidenschaft gezogen. Das Duell zwischen dem FC Barcelona und UD Las Palmas, dem Club aus der Hauptstadt Gran Canarias, findet aus Sicherheitsgründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zuvor hatte Las Palmas angekündigt, die Partie mit kleinen spanischen Flaggen auf dem Trikot bestreiten zu wollen. Die Spieler des FC Barcelona hatten sich in Hemden mit den gelb-roten Farben der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung aufgewärmt.
Katalanischer Anführer der Separatistenfront wird an Wahl gehindert
Schon im Morgengrauen haben sich die Menschen vor ihrem Wahllokal in der Gemeindehalle versammelt. Hier, in dem kleinen katalanischen Ort Sant Julià de Ramis, will der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont seine Ja-Stimme für die Unabhängigkeit der spanischen Region Katalonien in die Urne werfen. In diesem Nest mit 3000 Einwohnern, rund eine Autostunde nordöstlich der Regionalhauptstadt Barcelona, hat Puigdemont seinen Wohnsitz. Doch der Anführer der katalanischen Separatistenfront wird an der Wahl gehindert.
Er weicht daraufhin in den Nachbarort aus. Vor einem Wahllokal in Sant Julià de Ramis haken sich Männer und Frauen, von denen einige ihre Kinder mitgebracht hatten, unter und bilden eine Menschenmauer. Einige haben sich in die gelb-roten Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung gehüllt. Dann singen sie die katalanische Hymne. Ein kämpferisches Lied, in dem das „triumphierende Katalonien“ gepriesen wird und in dem es heißt: „Möge der Feind zittern, wenn er unsere Fahne sieht.“ Dann heben die Menschen ihre Hände, um den Beamten zu zeigen, dass sie unbewaffnet und friedlich sind. Sie rufen trotzig: „Wir werden wählen.“
Sicherheitskräfte transportieren Wahlurnen ab
Doch dazu kommt es nicht. Einer nach dem anderen wird von den Beamten weggezogen oder weggetragen. Danach holen die Polizisten einen Vorschlaghammer. Denn die Glastür des Wahllokals ist von Wahlhelfern, die sich schon in dem Gebäude befinden, von innen verrammelt worden. Glas splittert, nach wenigen Sekunden ist das Loch groß genug, damit sich die Beamten hindurchzwängen können.
Wenig später transportieren die Sicherheitskräfte jene Gegenstände ab, die es nach einem Verbot des spanischen Verfassungsgerichts an diesem Sonntag in Katalonien nicht geben durfte: weißgraue Plastikboxen mit schwarzem Deckel, die als Wahlurnen benutzt werden sollten. Laptops für die Wählererfassung und Stimmauszählung. Und braune Kartons mit weißen Stimmzetteln. Auf den Wahlpapieren steht jene Frage, wegen der Spaniens Zentralregierung das Gerichtsverbot erwirkt und ein Polizistenheer in die rebellische Region geschickt hatte: „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“
Viele Bürger haben ihre Wahlzettel selbst ausgedruckt
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und die Bevölkerung dazu aufgerufen, ihre „Stimme für die Demokratie“ abzugeben. Mitten in Barcelonas Innenstadt, unweit der von Touristen viel besuchten Basilika Sagrada Familia, eskaliert die Lage, als die Nationalpolizei Wahlurnen aus einem Wahllokal in der Schule Ramon Llull abtransportieren wollen. Hunderte Demonstranten kreisen die Beamten ein, die daraufhin Gummigeschosse abfeuern. Ein Mann sei durch eine Gummikugel am Auge verletzt worden, heißt es, er habe umgehend operiert werden müssen.
Die Regionalregierung in Barcelona erklärt, dass trotz Gerichtsverbots und massiver Polizeieinsätze 96 Prozent der 3215 Wahllokale geöffnet worden seien. Ein Sprecher räumt ein, dass man bei der Abstimmung vielerorts habe improvisieren müssen. Da die Polizei in den letzten Tagen Millionen Wahlzettel beschlagnahmt hatte, bringen viele Bürger ihre Stimmpapiere selbst mit. Sie hatten sie im Internet ausgedruckt oder sich anderswo beschafft. Auch gibt es oft keine Umschläge, sodass die Stimmzettel einfach gefaltet in die Wahlbox gesteckt werden.
Referendum wirft seine Schatten auch auf die Politik außerhalb Spaniens
Trotz dieser Hindernisse wollen sich die Befürworter der Unabhängigkeit, die laut Umfragen bisher keine klare Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatten, nicht beirren lassen. Schon bevor das Ergebnis des Wahlgangs, das kaum als repräsentativ gelten kann, feststeht, sieht sich Kataloniens Regierungschef Puigdemont als Sieger: „Wir haben bereits gewonnen. Wir haben die Ängste, die Drohungen, den Druck und die Lügen besiegt.“
Der Streit um das Katalonien-Referendum wirft seine Schatten auch auf die Politik außerhalb Spaniens. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sprach sich dafür aus, dabei zu helfen, „Druck aus dem Konflikt zu nehmen“. Man könne sich aber auch nicht auf die Seite Kataloniens schlagen. „Sonst fliegt uns der Laden um den Kopf.“ Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir sagte: „Die Rechtsstaatlichkeit gilt auch in Spanien, daher sollte das Urteil des spanischen Verfassungsgerichts akzeptiert werden.“ Es sei angesichts der aufgeheizten Lage aber politisch unklug, das Urteil mit aller Härte umzusetzen, so wie es die Regierung in Madrid derzeit mache. „Die EU-Kommission sollte sich dringend als Vermittler anbieten“, so Özdemir.
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