Berlin. Welche Regierungsbündnisse dürften eine Mehrheit erlangen? Wissenschaftler der Uni Mannheim wagen einen Ausblick auf den Wahlausgang.

Sechs Fraktionen im Bundestag, Standpunkte, die sich nur schwierig verbinden lassen: Bei der Koalitionsbildung nach der Wahl dürfte es ganz schön knarzen. Mit Blick auf mögliche Regierungsbildungen halten sich die Parteien vieles offen.

Wie wahrscheinlich ist Schwarz-Gelb, was spricht für eine neue große Koalition? Seitdem Demoskopen mit ihren Prognosen zur US-Wahl und zum Brexit daneben lagen, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Umfragen sind Umfragen, keine Prognosen, und immer ein Spiel mit der Wahrscheinlichkeit. Nicht umsonst werden die renommierten Institute Infratest dimap und Forschungsgruppen Wahlen nicht müde zu betonen, dass sie lediglich Stimmungen messen und damit eine Momentaufnahme liefern.

Forscher verglichen Parteiprogramme

Dennoch vermitteln Rechen-Modelle einen Eindruck davon, was Deutschland nach den Wahlen erwarten könnte. Das Umfrage-Portal Zweitstimme.org von Wissenschaftlern aus Mannheim, Berlin und Zürich errechnet zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Koalition eine rechnerische Mehrheit erreichen könnte. Die Forscher kombinieren dafür „Erkenntnisse über den Einfluss bestimmter Faktoren auf vergangene Wahlen mit aktuellen Umfragedaten“, wie es auf der Website heißt.

Außerdem gleichen die Forscher der Uni Mannheim die inhaltlichen Standpunkte der Parteien miteinander ab. Wir zeigen, welche Koalitionen den Forschern zufolge am wahrscheinlichsten sind und haben Aussagen der Spitzenpolitiker zu den jeweiligen Konstellationen gesammelt.

Das ist der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme

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    1. Große Koalition

    Dass SPD und CDU gemeinsam eine rechnerische Mehrheit bekommen, ist laut Wahlforschern eigentlich gesetzt. Zweitstimme.org zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine große Koalition erneut genügend Sitze für eine Regierung bekommt, bei 100 Prozent.

    Die Wissenschaftler der Uni Mannheim haben auf Grundlage des Wahl-O-Mats der Bundeszentrale für politische Bildung inhaltliche Standpunkte von

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    miteinander verglichen. In immerhin 20 von 38 politischen Themen stimmen die beiden großen Parteien überein. Streitpunkte sind aber zum Beispiel die Bundeswehr zur Terrorbekämpfung im Inland, die dauerhafte Förderung von erneuerbarer Energie und eine gesetzliche Krankenkasse für alle.

    Gegen die Fortführung der GroKo sprechen allerdings Aussagen der SPD. „Ich habe den Eindruck, die Union will diese große Koalition nicht fortsetzen. Ich glaube, wir auch nicht“, sagte Martin Schulz. Und der SPD-Vize Ralf Stegner formulierte es bei „Maischberger“ pointierter: „Die große Koalition ist in der SPD so beliebt wie Fußpilz.“

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      2. „Jamaika-Koalition“

      Eine rechnerische Mehrheit für ein sogenanntes „Jamaika-Bündnis“ dürften Union,

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      laut dem Umfrage-Portal mit großer Wahrscheinlichkeit (90 Prozent) einfahren. Zumindest den Zahlen zufolge hat diese Verbindung also gute Chancen.

      Was aber die Inhalte angeht, dürften sich die Partner sehr viel mehr aneinander reiben als zum Beispiel Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün. Kein Wunder, müssten doch nun drei Parteien ihre Themen unter einen Hut bringen. Die drei Parteien widersprechen sich in insgesamt 21 Punkten und sind sich nur in neun einig. Uneins sind sich Union, Liberale und Grüne etwa bei der Besteuerung von hohen Vermögen, beim sozialen Wohnungsbau und der Videoüberwachung.

      Und was sagen die Spitzenkandidaten zu dem Farbenspiel? „Gegenwärtig fehlt mir die Fantasie, wie das zusammengehen soll“, monierte FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner im „ZDF Morgenmagazin“. Er betonte vor allem unterschiedliche Haltungen in der Klimapolitik. Grünen-Chef Cem Özdemir griff im Gegenzug die FDP-Generalsekretärin an, die leugnen würde, dass Wetterkapriolen mit dem Klimawandel zusammenhängen würden. Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sprach sich hingegen für „Jamaika“ aus. Wenn es eine rechnerische Mehrheit gebe, sollte diese auch genutzt werden.

      3. Schwarz-Gelb

      Laut Zweitstimme.org stehen die Chancen einer rechnerischen Mehrheit für Schwarz-Gelb kurz vor der Wahl nicht allzu hoch: nämlich bei rund 30 Prozent. Thematisch liegen die traditionellen Koalitionspartner den Forschern der Uni Mannheim zufolge jedoch auf einer Wellenlänge.

      Immerhin 20 von 38 möglichen inhaltlichen Übereinstimmungen des Wahl-O-Mats haben Union und Liberale. Die zwei Parteien haben Meinungsverschiedenheiten zum Beispiel bei der Frauenquote in Aufsichtsräten, dem sozialen Wohnungsbau und dem Verkauf von Cannabis.

      „Die für uns wahrscheinlichste Zusammenarbeit wäre nach Lage der Dinge eine mit CDU und CSU, weil es da die größten inhaltlichen Überschneidungen gibt“, sagte Lindner der NZZ. In der „Frankfurter Neuen Presse“ klang das schon wieder anders: „Wir sind eigenständig und machen keine Koalitionsaussage. Und ich bin generell vorsichtig mit ultimativen Aussagen.“ Begeistert von einer Zusammenarbeit wäre offenbar hingegen der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Der „Bild“ sagte er: „Ich wünsche mir ein Comeback von Schwarz-Gelb.“

      4. Schwarz-Grün

      Eine Koalition aus Union und Grünen wäre auf Bundesebene ein Novum. Laut den Berechnungen von Zweitstimme.org liegt die Wahrscheinlichkeit für die rechnerische Mehrheit bei knapp 20 Prozent.

      Inhaltlich sind die beiden Parteien bei 15 von 38 Themen auf einer Linie. Über Kreuz liegen Union und Grüne bei der sachgrundlosen Befristung, der gesetzlichen Krankenkasse und auch bei dem Tempolimit auf Autobahnen.

      Trotz Differenzen können sich einige Grünen- und Unions-Politiker eine solche Koalition vorstellen. Spitzenkandidat Cem Özdemir sagte das wäre möglich, wenn es dabei Vereinbarungen über einen deutlichen Fortschritt beim Klimaschutz gebe. Kanzlerin Angela Merkel gebe den Grünen Recht, was das Ende des Verbrennungsmotors angeht. „Aber mit ihren bisherigen Partnern SPD und FDP wird Merkel das nicht umsetzen können. Für die Umsetzung braucht es starke Grüne“, so Özdemir. CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer betont hingegen, dass es Meinungsverschiedenheiten bei der Obergrenze für Flüchtlinge und eben dem Verbrennungsmotor gebe.

      5. Rot-Rot-Grün

      Dass Rot-rot-grün nach der Wahl eine rechnerische Mehrheit bekommen, ist fast ausgeschlossen. Laut den Statistikern von Zweitstimme.org zumindest liegt die Wahrscheinlichkeit bei verschwindend geringen 3 Prozent.

      Das Konfliktpotenzial der drei Parteien ist relativ niedrig: Die Parteien widersprechen sich in insgesamt 12 inhaltlichen Punkten („Jamaika“ hingegen in 21). Unterschiedliche Standpunkte haben die drei Parteien zum Beispiel beim Abbau von Braunkohle, Grundeinkommen und der Förderung der ökologischen Landwirtschaft.

      Auch die Spitzenkandidaten räumen Rot-rot-grün kaum Chancen ein. Dem „Tagesspiegel“ sagte die Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht: „Es sieht so aus, aber der Killer wurde nicht von der Linken beauftragt.“ Starke Zweifel brachte auch Grünen-Chef Özdemir ein: „Außenpolitisch bleibt die Linke unzuverlässig.“ (mit Material von dpa)