Berlin. Die große Koalition geht zu Ende. Welche Perspektiven haben führende Köpfe von Union und SPD? Wer steigt auf, wer ab? Eine Vorausschau.

Wenn es wenige Tage vor der Bundestagswahl einen Trend bei den Umfragen gibt, dann ist es eine neue Abwärtsbewegung für die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD. Allerdings bewegen sie sich von unterschiedlich hohem Niveau: Die Union würde nach einer Emnid-Umfrage jetzt noch auf 36 Prozent kommen, die SPD auf 22 Prozent.

Wenn sich daran bei der Wahl am Sonntag nichts Gravierendes mehr ändert, dann wären in der kommenden Wahlperiode nur zwei Koalitionen möglich: eine Jamaika-Koalition von Union, Grünen und FDP, die bundespolitisch eine Premiere wäre – oder die Neuauflage der großen Koalition. In beiden Fällen wäre eine Personalie schon vorab entschieden: Angela Merkel (CDU) bliebe Kanzlerin. Aber was ist mit anderen Spitzenleuten der Koalitionsparteien? Wer wird was nach dem 24. September? Ein Überblick über wichtige Politiker, die im Mittelpunkt der Spekulationen stehen:

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist eine Autorität, mit 75 noch nicht amtsmüde und eine Schlüsselfigur. Vielleicht reizt ihn aber ein Amt, das auf seine Partei zukommt und mehr als ein Abklingbecken ist: Präsident des Bundestages, Nachfolger von Norbert Lammert.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). © dpa | Britta Pedersen

Ursula von der Leyen (CDU) will Verteidigungsministerin bleiben. Indes ist Merkel nicht verborgen geblieben, dass große Teile der Truppe mit ihr fremdeln. Wenn Schäuble ausscheidet, hätte die Kanzlerin für von der Leyen (58) eine reizvolle Alternative. Dieselbe Logik gilt im Fall von Thomas de Maizière (63), auch er eine feste Größe im Kabinett und im CDU-Präsidium. Es ist fraglich, ob de Maizière Innenminister bleiben kann, weil der Job dem CSU-Spitzenkandidaten Joachim Herrmann in Aussicht gestellt wurde. De Maizière wurde schon vor vier Jahren in den Koalitionsverhandlungen mit Finanzpolitik betraut.

Volker Kauder (CDU) hat Merkel als Fraktionschef den Rücken im Parlament frei gehalten und ist seit Jahren ein loyaler Mitstreiter. Trotzdem hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er durch den fast zehn Jahre jüngeren Peter Altmaier (59, CDU) ersetzt werden könnte. Zum einen ergänzen sich Altmaier und Merkel bestens – in der Flüchtlingskrise war er ihr wichtigster Mann –, zum anderen ist die Position des Chefs des Kanzleramts traditionell ein Sprungbrett; so wie Merkel bisher auch jeden erfolgreichen CDU-Generalsekretär (Kauder, Pofalla, Gröhe) zu einer Karriere verholfen hat. Kauder käme im Kabinett für nahezu jeden Posten infrage. Einmal Minister, das fehlt ihm in seiner Karriere.

Die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl

Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013.
Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013. © dpa | Michael Kappeler
Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann.
Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann. © dpa | Matthias Balk
Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein.
Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent.
Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent. © imago | Jens Jeske
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein.
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein. © dpa picture alliance | Emmanuele Contini
Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen.
Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen. © picture alliance / Maurizio Gamb | dpa Picture-Alliance / Maurizio Gambarini
Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent.
Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent. © picture alliance / Uli Deck/dpa | dpa Picture-Alliance / Uli Deck
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Joachim Herrmann ist für die CSU die personifizierte Obergrenze. Falls die CSU ihre Forderung nicht durchsetzt, wird es umso wichtiger, einen Innenminister zu stellen, der die Zuwanderung auf maximal 200.000 Menschen im Jahr begrenzt. Persönlich ist er nicht auf ein Amt fixiert. Herrmann (60) ist ein versierter Jurist und potenzieller Justizminister und hat auch ein Faible für die Bundeswehr. Für ihn spricht seine starke Hausmacht. Das gleiche Argument zählt für Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der von der NRW-CDU nach vorn geschoben wird. Bei Hermann gibt es noch einen Unsicherheitsfaktor: Er hat keinen eigenen Wahlkreis und kandidiert nur über die Landesliste. Wenn er nicht zum Zuge käme, wäre er ein Minister ohne Parlamentsmandat. Das würde die CSU nicht stören, aber er selbst könnte ins Grübeln kommen.

CDU-Vize Julia Klöckner.
CDU-Vize Julia Klöckner. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH

CDU-Vize Julia Klöckner gehört mit 44 Jahren zur Führungsreserve der Union, genauso wie ihr sieben Jahre jüngerer Parteifreund Jens Spahn oder der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Jeder von ihnen stünde für eine Verjüngung des Kabinetts. Zumindest ein Zukunftsfeld wird wohl frei, das Bildungsministerium. Gegen Guttenberg spricht, dass er vorerst in den USA bleiben will, gegen Klöckner, dass sie weiter als Oppositionsführerin in Rheinland-Pfalz gebraucht wird. Realistischer sind die Spekulationen über einen weiteren Aufstieg von Spahn, der als Finanzstaatssekretär schon einen Fuß in der Kabinettstür hat.

Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz geht es bei dieser Wahl um alles: Rutschen die Sozialdemokraten noch unter das Katastrophenergebnis von 2009, als sie nur 23 Prozent der Stimmen holte, dürfte Schulz nicht einmal mehr als Parteichef zu halten sein – andererseits könnte er mit etwas Glück am Ende sogar Vizekanzler werden. Das positive Szenario: Die SPD kann im Endspurt noch etwas zulegen und zieht – nach längerem Zögern und langwierigen Verhandlungen – doch wieder als Juniorpartner in eine große Koalition ein.

Schulz hätte dann Zugriff auf ein Ministeramt: Spekuliert wird, dass der Genosse mit der großen Europa-Erfahrung Außenminister wird, was seine Popularität steigern dürfte. Oder Finanzminister. Nicht ausgeschlossen, dass sich der 61-Jährige am Ende doch für den Fraktionsvorsitz entscheidet, um auf Distanz zu Merkel zu bleiben und seine Ausgangsposition für die folgende Bundestagswahl zu verbessern. Wie groß seine Entscheidungsfreiheit ist, hängt sehr vom Wahlergebnis ab. Das negativste Szenario: Die SPD schneidet so schlecht ab, dass Schulz als Parteichef hinwirft und seine Laufbahn als einfacher Oppositionsabgeordneter beendet.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) würde sein Amt gerne fortführen.
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) würde sein Amt gerne fortführen. © dpa | Sebastian Gollnow

Sigmar Gabriel (SPD) macht keinen Hehl daraus, dass er gern als Außenminister weitermachen würde. Der Vizekanzler (58) hat im neuen Amt enorm an Popularität gewonnen, er ist nach Merkel das beliebteste Regierungsmitglied. Kommt es wieder zur großen Koalition, wäre Gabriel aussichtsreichster Kandidat für das Auswärtige Amt – wenn Schulz sich nicht selbst für das Ministerium entscheidet. Wie viel Rücksicht Schulz auf Gabriels Wünsche nehmen würde, ist nach dem holprigen Wahlkampf, in dem sich beide mitunter in die Quere kamen, ungewiss. Übergehen kann und will Schulz Gabriel aber sicher nicht; der könnte auch ein anderes Ressort, etwa Finanzen, übernehmen. Ein weiteres Szenario: In den Koalitionsverhandlungen bekommt die SPD den Zuschlag, einen Sozialdemokraten als deutschen Kommissar für die nächste EU-Kommission ab 2019 zu benennen. Eine Aufgabe, für die sich Gabriel bereits wärmstens empfohlen hätte.

Thomas Oppermann würde gern bleiben, was er ist: Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Aber er sollte sich diesmal auf Konkurrenz einstellen. Bei einer schweren SPD-Wahlniederlage müsste Oppermann sein Amt wohl im Zuge eines Generationswechsels ersatzlos räumen – zieht die SPD in die große Koalition ein, gilt der Jurist (63) auch als heißer Ministeranwärter, etwa für die Ressorts Verteidigung oder Justiz.

Kommt es wieder zu einer großen Koalition, dürfte Andrea Nahles (SPD) sehr wahrscheinlich eine zweite Amtszeit als Arbeitsministerin beginnen. Wiederholt hat sie signalisiert, dass ihr Gestaltungswille in diesem Amt ungebrochen ist. Doch gilt Nahles auch als zentrale Figur, sollte sich das Führungspersonal nach einem Wahldebakel der SPD ganz neu aufstellen: Dann würde die 47-Jährige wohl mit guten Erfolgsaussichten um den Fraktionsvorsitz kämpfen.

Olaf Scholz (59) wird auch nach der Wahl Hamburger Regierungschef bleiben, aber der SPD-Vize dürfte eine wichtige Rolle bei den Personalentscheidungen spielen. Sollte Schulz nach einem möglichen Wahldesaster freiwillig oder unter Druck den Weg für einen Neuanfang freimachen, gilt Scholz als alternativloser Anwärter für den SPD-Vorsitz.

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