Gleisweiler. Nicht immer lag Ex-CDU-Generalsekretär Geißler auf Parteilinie. Der einstige Vertraute von Altkanzler Helmut Kohl ist mit 87 gestorben.

Auf die Frage, ob er im Rückblick etwas bedauere, hatte Heiner Geißler 2015 eine überraschende Antwort parat. „Ich hätte manchmal noch mehr Krach schlagen müssen“, hatte der prominenteste Querdenker der CDU der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 85. Geburtstag gesagt. Dabei war der frühere CDU-Generalsekretär, ausgewiesene Sozialpolitiker und prominente Attac-Unterstützer auch nach seiner aktiven Zeit als Abgeordneter noch für markige, pointierte und garantiert nicht immer auf Parteilinie liegende Zwischenrufe bekannt.

Im langwierigen Streit der Union um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen etwa verurteilte Geißler die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat noch im Dezember als Schnapsidee, weil das Land nicht sicher sei, er drohte der CSU mit einem Bruch der Union und sah in

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wegen ihres Flüchtlingskurses eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis.

Beliebter Redner und Interview-Partner

„Nächstenliebe ist keine Gefühlsduselei und kein Gutmenschentum, sondern eine Pflicht, denen zu helfen, die in Not sind“, sagte Geißler 2015. Nun ist einer der prominentesten Vertreter der CDU verstummt. Geißler, der eigentlich 100 Jahre alt werden wollte, ist

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Als Redner und Interview-Partner war der scharfzüngige Wahl-Pfälzer bis zuletzt begehrt – immer gut für unbequeme Positionen. „Anstatt Sinti und Roma vom Balkan, die bei uns Zuflucht suchen, in ihr Elend zurückzuschicken, sollte man vielleicht lieber Dschihadisten, Islamisten, Anhänger des Islamischen Staates, Salafisten und Hassprediger ausweisen. Die halten ja vom Grundgesetz gar nichts und wollen es durch die Scharia ersetzen“, sagte er im Februar 2015.

Heiner Geißler, Ex-CDU-Generalsekretär

Der deutsche Politiker Heiner Geißler ist am 12. September 2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Er war 1967 bis 1977 Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport des Landes Rheinland-Pfalz, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Danach hatte er das Amt des Generalsekretärs der CDU von 1977 bis 1989 inne.
Der deutsche Politiker Heiner Geißler ist am 12. September 2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Er war 1967 bis 1977 Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport des Landes Rheinland-Pfalz, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Danach hatte er das Amt des Generalsekretärs der CDU von 1977 bis 1989 inne. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Michael Jung
Dr. Heinrich Geißler bei seiner gestenreichen Rede zur Schulfrage am 16. Dezember 1966 im Bonner Bundestag während der Debatte zur Regierungserklärung.
Dr. Heinrich Geißler bei seiner gestenreichen Rede zur Schulfrage am 16. Dezember 1966 im Bonner Bundestag während der Debatte zur Regierungserklärung. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / dpa
Geißler wird am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar (Baden-Württemberg) geboren. Der Vater dreier Kinder studiert Philosophie sowie Rechtswissenschaften in München und Tübingen. Nach seiner Promotion 1960 an der Universität Tübingen macht er 1961 zweites juristisches Staatsexamen. Er arbeitet zunächst als Richter, dann als Leiter des Ministerbüros des Arbeits- und Sozialministers von Baden-Württemberg.
Geißler wird am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar (Baden-Württemberg) geboren. Der Vater dreier Kinder studiert Philosophie sowie Rechtswissenschaften in München und Tübingen. Nach seiner Promotion 1960 an der Universität Tübingen macht er 1961 zweites juristisches Staatsexamen. Er arbeitet zunächst als Richter, dann als Leiter des Ministerbüros des Arbeits- und Sozialministers von Baden-Württemberg. © imago stock&people | sepp spiegl
1965 wird Heiner Geißler zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt.
1965 wird Heiner Geißler zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt. © imago/teutopress | imago stock&people
Unter den Ministerpräsidenten Peter Altmeier und Helmut Kohl (beide CDU) ist Geißler von 1967 bis 1977 Sozialminister in Rheinland-Pfalz, anschließend wird er CDU-Generalsekretär.
Unter den Ministerpräsidenten Peter Altmeier und Helmut Kohl (beide CDU) ist Geißler von 1967 bis 1977 Sozialminister in Rheinland-Pfalz, anschließend wird er CDU-Generalsekretär. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / dpa
Helmut Kohl beruft den promovierten Juristen 1982 zum Familienminister.
Helmut Kohl beruft den promovierten Juristen 1982 zum Familienminister. © dpa | Peter Popp
Der neugewählte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler am Rednerpult während des Bundesparteitages der CDU 1977 in Düsseldorf.
Der neugewählte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler am Rednerpult während des Bundesparteitages der CDU 1977 in Düsseldorf. © dpa | Heinz Wieseler
Der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl (l.) gratuliert dem neuen CDU-Generalsekretär zu seiner Wahl. Rechts der ehemalige Generalsekretär Kurt Biedenkopf, links Walter Wallmann.
Der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl (l.) gratuliert dem neuen CDU-Generalsekretär zu seiner Wahl. Rechts der ehemalige Generalsekretär Kurt Biedenkopf, links Walter Wallmann. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Heinz Wieseler
Das Führungsgremium der Unionsparteien am 30. August 1980 in Mannheim zum Auftakt der „heißen Wahlkampfphase“ bei einer Abstimmung: (v.l.n.r.) Gerhard Stoltenberg (CDU, Vizekanzler-Kandidat), Franz Josef Strauß (CSU, Kanzlerkandidat), Helmut Kohl (CDU-Vorsitzender), Heiner Geißler (CDU) und Werner Dollinger (CSU).
Das Führungsgremium der Unionsparteien am 30. August 1980 in Mannheim zum Auftakt der „heißen Wahlkampfphase“ bei einer Abstimmung: (v.l.n.r.) Gerhard Stoltenberg (CDU, Vizekanzler-Kandidat), Franz Josef Strauß (CSU, Kanzlerkandidat), Helmut Kohl (CDU-Vorsitzender), Heiner Geißler (CDU) und Werner Dollinger (CSU). © dpa | Jörg Schmitt
Bundesfamilienminister Geißler stellt am 27. Dezember 1983 in Bonn den neuen Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Pfarrer Peter Hintze, vor.
Bundesfamilienminister Geißler stellt am 27. Dezember 1983 in Bonn den neuen Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Pfarrer Peter Hintze, vor. © dpa | Egon Steiner
Der damalige Bundesfamilienminister Geißler lässt es sich bei der Eröffnung der Musikmesse im Februar 1984 in Frankfurt am Main nicht nehmen, persönlich ein paar Takte auf dem Schlagzeug zu spielen.
Der damalige Bundesfamilienminister Geißler lässt es sich bei der Eröffnung der Musikmesse im Februar 1984 in Frankfurt am Main nicht nehmen, persönlich ein paar Takte auf dem Schlagzeug zu spielen. © dpa | Wolfgang Eilmes
Geißler wollte eigentlich Priester werden. Die christliche Soziallehre galt als sein maßgebliches Koordinatensystem der Politik. Diese Aufnahme zeigt ihn zusammen mit dem damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (l) vor Beginn einer CDU/CSU-Fraktionssitzung in Bonn.
Geißler wollte eigentlich Priester werden. Die christliche Soziallehre galt als sein maßgebliches Koordinatensystem der Politik. Diese Aufnahme zeigt ihn zusammen mit dem damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (l) vor Beginn einer CDU/CSU-Fraktionssitzung in Bonn. © dpa | Martin Gerten
Geißler im Gespräch mit Reporterin Carmen Thomas 1986 in Aachen. Der CDU-Politiker war kurz zuvor mit einem Farbbeutel beworfen worden als er auf dem Markt in Aachen-Burscheid in der öffentlichen Sendung
Geißler im Gespräch mit Reporterin Carmen Thomas 1986 in Aachen. Der CDU-Politiker war kurz zuvor mit einem Farbbeutel beworfen worden als er auf dem Markt in Aachen-Burscheid in der öffentlichen Sendung "Hallo Ü-Wagen" an einer Diskussion zum Thema "Ärzte gegen den Atomkrieg – was halten Sie davon?" teilnahm. © dpa | ---
Geißler während einer Pressekonferenz 1986 in Bonn, als er die Journalisten mit einer Auftaktkampagne zur Bundestagswahl bekannt macht. Das Motto lautet „Weiter so, Deutschland“.
Geißler während einer Pressekonferenz 1986 in Bonn, als er die Journalisten mit einer Auftaktkampagne zur Bundestagswahl bekannt macht. Das Motto lautet „Weiter so, Deutschland“. © dpa | Heinrich Sanden
Selbst ist der Mann: Der damalige CDU-Generalsekretär plakatiert das erste Großplakat der neuen Serie am 26. November 1986 vor der Zentrale der CDU in Bonn.
Selbst ist der Mann: Der damalige CDU-Generalsekretär plakatiert das erste Großplakat der neuen Serie am 26. November 1986 vor der Zentrale der CDU in Bonn. © dpa | Heinrich Sanden
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (l) und der scheidende Generalsekretär Geißler schütteln sich während des 37. Bundesparteitags der CDU im September 1989 in Bremen die Hände. Die CDU gerät in der Affäre um dubiose Parteispenden-Kanäle weiter unter Druck.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (l) und der scheidende Generalsekretär Geißler schütteln sich während des 37. Bundesparteitags der CDU im September 1989 in Bremen die Hände. Die CDU gerät in der Affäre um dubiose Parteispenden-Kanäle weiter unter Druck. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / dpa
Geißler bestätigt am 26.November 1999 den Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ über „schwarze Konten“ seiner Partei.
Geißler bestätigt am 26.November 1999 den Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ über „schwarze Konten“ seiner Partei. © dpa | Markus Scholz
Seine letzte ganz große Mission hat Geißler, als er im Alter von 80 Jahren 2010 den Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 schlichtet.
Seine letzte ganz große Mission hat Geißler, als er im Alter von 80 Jahren 2010 den Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 schlichtet. © picture alliance / Georg Wendt/d | dpa Picture-Alliance / Georg Wendt
Geißler war passionierter Gleitschirmflieger.
Geißler war passionierter Gleitschirmflieger. © dpa | Martina Hellmann
Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) erklärte auf Twitter: „Heiner Geißler hat die CDU geprägt: Soziale & ökologische Verantwortung, Menschlichkeit. Ich bin tief erschüttert. Sein Vermächtnis bleibt.“ Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete Geißler als „Intellektuell brillant“: Er war einer „unserer Besten“.
Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) erklärte auf Twitter: „Heiner Geißler hat die CDU geprägt: Soziale & ökologische Verantwortung, Menschlichkeit. Ich bin tief erschüttert. Sein Vermächtnis bleibt.“ Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete Geißler als „Intellektuell brillant“: Er war einer „unserer Besten“. © dpa | Marijan Murat
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Für ein gerechteres Wirtschaftssystem

In Talkshows und Büchern setzte sich der profilierte Sozialpolitiker vehement für ein gerechteres Wirtschaftssystem ein. Die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich trieb ihn immer wieder um. „Wir brauchen eine neue Einheit der Wirtschafts- und Sozialpolitik“, hieß sein Mantra. Sonst führe die „totale Ökonomisierung“ der Gesellschaft zu einer „völligen Umkehrung der Werte“. Geißler hatte auch viele Anhänger in linken Kreisen. 2007 trat er Attac bei. 2012 riet er der CDU-Chefin zur Abkehr von der FDP und zu einer großen Koalition.

Seine letzte ganz große Mission hatte Geißler in einem Alter angetreten, in dem die meisten Menschen sich längst zur Ruhe gesetzt haben. Als 80-Jähriger schlichtete er 2010 den Konflikt um das Bahnprojekt „Stuttgart 21“. Dabei zeigte Geißler sich nach Ansicht von Beobachtern als souveräner Moderator, der die Bahn nicht mit Samthandschuhen anfasste.

Streng, schlagfertig und mit einer gesunden Portion Humor machte er die Schlichtung zu einem medialen Ereignis. In seiner Freizeit suchte er mitunter den Nervenkitzel: Gleitschirmfliegen und Klettern zählten zu seinen Hobbys. 1992 überlebte er einen Absturz mit dem Gleitschirm schwer verletzt.

Geißler startete Politik-Karriere als Jurist

Geißler wurde im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg geboren: Er kam am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar als Sohn eines Oberregierungsrates zur Welt. Vor seiner politischen Karriere war der promovierte Jurist mit den markanten Gesichtszügen vorübergehend Mitglied des Jesuitenordens, dann Amtsrichter.

Unter den Ministerpräsidenten Peter Altmeier und Helmut Kohl (beide CDU) war Geißler von 1967 bis 1977 Sozialminister in Rheinland-Pfalz, anschließend wurde er CDU-Generalsekretär. Er attackierte die anderen Parteien gerne auch mal scharf. „Eine Demokratie ist kein Gesangsverein Harmonie“, gab er als Credo aus. In der Nachrüstungsdebatte erregte er Aufsehen mit der Aussage, „ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen“.

Spannungen zwischen Geißler und Kohl

Nach Kohls Sieg bei der Bundestagswahl 1982 wurde Geißler Bundesfamilienminister. Der Sozialexperte und Vater von drei Söhnen arbeitete an einem neuen Image der CDU als moderne Programmpartei. Er führte unter anderem ein Erziehungsgeld ein.

Die fast gleichaltrigen Geißler und Kohl waren beide Machtmenschen, mehr und mehr kam es zu Spannungen. Beim Bremer Parteitag 1989 musste der Verfechter eines klaren „Kurses der Mitte“ sein Amt als Generalsekretär abgeben. 1995 warnte er vor einer führerkultischen Partei unter Kohl, nahm das aber wieder zurück.

Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist tot

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    2002 Rückzug aus der Politik

    Bis 1998 war er Fraktionsvize im Bundestag. 2002 zog er sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurück. Mit Kohl verband ihn am Ende nichts mehr. Er nahm aber am 1. Juli dieses Jahres am Requiem für den kurz zuvor verstorbenen Altkanzler im Speyerer Dom teil.

    Als „total demokratisch“ hatte Geißler 2012 den Tod bezeichnet. „Er packt den Josef Ackermann genauso wie den Arbeiter bei der Müllabfuhr“, sagte er einer Zeitung. Nun ist er dem Tod begegnet. (dpa)