Köln. Bei Maischberger geht es um Abschiebungen: Wann und wohin sind sie tragbar? Aufhänger ist der Fall der 14-jährigen Bivsi aus Duisburg.

Der Schultag begann wie jeder andere. Bis die 14-Jährige Bivsi Rana plötzlich mitten im Unterricht aus ihrer Klasse – der 9d des Steinbart-Gymnasiums in ihrer Heimatstadt Duisburg – herausgerufen wird. Im Büro des Rektors warten zwei Beamte des städtischen Ausländeramtes auf sie. Wenige Stunden später sitzt sie mit Vater und Mutter in einem Flugzeug Richtung Nepal, ein Land, in dem das Mädchen nie gewesen ist und das nun ihre Heimat sein soll.

Die Amtssprache ihrer neuen Heimat beherrscht das Mädchen kaum, zur Schule geht sie nicht, weil das Geld kostet, das ihre Eltern nicht haben. „Es ist hier sehr schwer für meinen Vater, Arbeit zu finden“, sagt sie in einer Video-Livezuschaltung in der Nacht zum Donnerstag im TV-Talk „Maischberger“. Und: Zu Hause, das sei für sie Duisburg.

Asylanträge unter falschem Namen

Was nach schreiender Ungerechtigkeit klingt, ist laut deutschem Asylgesetz jedoch hieb- und stichfest. Denn Bivsis Eltern hatten lange vor der Geburt ihrer Tochter ihre Asylanträge unter falschem Namen gestellt, nach eigener Aussage, um Angehörige zu schützen. Das reichte den deutschen Behörden als Abschiebegrund.

Was läuft hier falsch? Diese Frage stellte Sandra Maischberger ihren Gästen – um anhand eines weiteren erschütternden Falls gleich zu Anfang ihrer Talkrunde deutlich zu machen: falsch läuft offensichtlich vieles.

„Abschiebung trifft oft die Falschen“

Die große Runde bei Maischberger.
Die große Runde bei Maischberger. © WDR | WDR/Melanie Grande

Denn während eine bestens integrierte Familie wie die Ranas Jahrzehnte nach ihrer Einreise plötzlich ausgewiesen wird, gewährt der deutsche Staat teilweise verurteilten Gewalttätern weiterhin Schutz in einer deutschen Asylunterkunft. So geschehen bei einem Fall im bayrischen Arnschwang , der wenige Tage nach Bivsis Abschiebung bundesweit für Bestürzung sorgte. Dort erstach ein Afghane in einem Flüchtlingsheim einen fünfjährigen Jungen, obwohl er vorher als Gewalttäter verurteilt worden war.

„Man hat den Eindruck, Abschiebung trifft oft die Falschen“, leitete Maischberger den Talk denn auch ein. Die Politik sei offenkundig in Erklärungsnot.

CSU-Innenpolitiker weiter für Abschiebungen nach Afghanistan

Antworten vonseiten der Politik sollte CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer geben. Er blockte Kritik der bestehenden Abschiebepraxis weitestgehend ab und kommentierte den Fall Bivsi in Manier der Christlich-Konservativen: „Bei allem Verständnis für Enttäuschungen – die Abschiebung war richtig, auch wenn es unsensibel war, das Mädchen so aus dem Unterricht zu holen.“ Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion bekräftigte zudem, er sei auch nach dem verheerenden Anschlag auf das Diplomatenviertel in Kabul vor wenigen Wochen weiterhin für Abschiebungen nach Afghanistan.

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Dabei werden die Abschiebungen im Wahlkampf unter dem Stichwort „innere Sicherheit“ heiß diskutiert. Für die Bundeskanzlerin bedeutet das Thema einen hochgefährlichen Balanceakt. Einerseits muss Angela Merkel die parteiinternen Kritiker ihrer offenen Flüchtlingspolitik von 2015 ruhig halten. Eine „nationale Kraftanstrengung“ forderte sie schon im September 2016 für die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber. Auf der anderen Seite aber darf Merkel ihren Ruf als humane Krisenbewältigerin nicht zu sehr gefährden. Da kommt eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan denkbar ungelegen.

Künast fordert mehr Investition in Integration

Renate Künast fordert, Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin auszustetzen.
Renate Künast fordert, Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin auszustetzen. © WDR | WDR/Melanie Grande

Ginge es nach der Grünen Bundestagsabgeordneten Renate Künast, einer zuverlässigen Antagonistin der üblichen Unions-Agenda, wäre das Thema ohnehin schon lange vom Tisch. „Dass es noch sichere Regionen in Afghanistan gibt, ist verbaler Populismus“, echauffierte sich die ehemalige Bundesministerin. Statt die Abschiebepraxis zu verschärfen, müsse mehr in Integration investiert werden und das Chaos bei der Bearbeitung der Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beseitigt werden, meint Künast.

In der Frage der Sendung, ob die Abschiebe-Politik nun zu lasch oder zu hart sei, fanden die Gäste letztlich nicht zueinander. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, machte auf Mängel in der Politik aufmerksam: zu wenig Beamte für die Abschiebungen, zu wenig Abschiebehaftplätze.

20 Jahre für Asyl-Entscheidung

Arnold Plickert von der GdP.
Arnold Plickert von der GdP. © WDR | WDR/Melanie Grande

Plickert war es auch, der dann noch eine so simple wie wichtige Frage in die Runde warf: Es werde zwar immer die Rechtsstaatlichkeit in den Vordergrund gestellt – „aber wenn der Rechtsstaat 20 Jahre braucht, um eine Asyl-Entscheidung zu treffen, habe ich große Zweifel an dem Verfahren“. Mehr Flexibilität im Umgang mit Familien wie der von Bivsi sei angebracht, um ihnen einen neuen Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Doch auch auf diesen Vorschlag folgte Diskussionschaos.

Am Ende des Talks blieben, das war früh zu erahnen, viele Fragen nicht nur unbeantwortet, sondern ungestellt. Insofern bewahrheitete sich, was Sandra Maischberger während der Sendung auffällig oft betont hatte: Das Thema ist hochkomplex. Offenkundig auch für einen einzelnen TV-Talk.

Eine zweite Runde könnte sich darum etwa zu den moralischen Grundlagen der geltenden Abschiebe-Regeln anbieten. Afghanistan böte sich hier wohl als Vorlage an – etwa für die Frage, ob man Menschen gegen ihren Willen in ein Land zurückzuschicken darf, in dem sich nicht einmal die deutsche Botschaft gegen Anschläge schützen kann.