Berlin/Washington. So viel Einigkeit ist selten im politischen Berlin: Nach den Gipfeln wächst der Wunsch nach einer Abkoppelung Europas von den USA.

  • Nach Merkel spricht sich auch Schulz für mehr Eigenständigkeit der EU aus
  • Die Linke fordert ein Ende das „Duckmäusertums gegenüber den USA“
  • Spitzenpolitiker stellen die Partnerschaft grundsätzlich in Frage

Nach den weitgehend gescheiterten Gipfeln von G7 und Nato besteht in Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit, dass sich Europa stärker von den USA emanzipieren muss. Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierten SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wie auch Spitzenpolitiker von Linken und Grünen für mehr Eigenständigkeit der Europäischen Union in der internationalen Politik.

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bei Militärausgaben, Klimaschutz oder in der Flüchtlingspolitik deutlich geworden. Merkel hatte anschließend gesagt: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Die Zeiten, in denen man sich auf andere völlig verlassen könne, seien „ein Stück weit vorbei“.

Auch Juncker für mehr Eigenständigkeit Europas

Für das offizielle Brüssel gilt weiter die Standard-Formel, dass „gute transatlantische Beziehungen entscheidend bleiben für die globale Sicherheit und Prosperität“. Und Kommissionschef Juncker, der am Himmelfahrtstag den US-Präsidenten getroffen hat, bleibt bei der diplomatischen Auskunft, die Unterredung sei „konstruktiv und freundschaftlich“ verlaufen.

Was er wirklich denkt, steckt in der Ermahnung ans eigene Lager, jetzt die Reihen zu schließen. Es gehe darum, „wie wir als Europäer geeint in einer Reihe kritischer Bereiche gemeinsam vorangehen, wie zum Beispiel im Handel, der Verteidigung oder der Sicherheit“, lässt Juncker seinen Sprecher erklären.

Wie die Bundeskanzlerin dringt auch Juncker auf mehr Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Europäer: Europa müsse bei aller Weltoffenheit „sein Schicksal selbst in die Hand nehmen“.

Schulz: „Das ist politische Erpressung“

Nach Ansicht des EU-Abgeordneten Reinhard Bütikofer, Chef der Europa-Grünen, hat Trump „einen ganzen Kontinent vor den Kopf gestoßen“ und damit bei den Europäern für „einen bemerkenswerten Umschwung in ganz wenigen Tagen“ gesorgt. „Trumps USA erheben noch einen Dominanzanspruch, aber sie führen nicht mehr“, sagte Bütikofer unserer Redaktion. „Die Transatlantiker in den USA wissen jetzt: Wenn sie Trump nicht loswerden, wird Europa nicht zögern, wenn nötig auch gegen die USA für eigene Werte und Interessen massiv einzutreten.“

SPD-Chef Schulz warf Trump „politische Erpressung“ vor. „Der neue US-Präsident setzt nicht auf internationale Kooperation, sondern auf Isolationismus und das vermeintliche Recht des Stärkeren“, schreibt Schulz in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“. Auch er plädiert für ein stärkeres Europa.

Linke-Chefin Katja Kipping bezeichnete Trump als „infantilen Narzissten“. Deutschland müsse nun „mit dem Duckmäusertum gegenüber den USA“ aufhören und „eine klare Kante gegen das Aufrüstungs-Diktat von Trump“ zeigen, sagte sie der „Bild“-Zeitung.

Jürgen Trittin stellt Partnerschaft in Frage

Der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin stellte sogar die Partnerschaft mit Trump in der „Bild“ grundsätzlich in Frage: „Ein Nationalist kann kein Partner sein in einer Welt, die nach mehr und nicht nach weniger internationaler Kooperation verlangt.“

Der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff, erwartet angesichts der Blockadepolitik von US-Präsident Donald Trump „unangenehme Zeiten“. Europa müsse jetzt unter deutscher und französischer Führung vorangehen, sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk Kultur.

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    Partnerschaft trotz Trump – das ist das Motto von Elmar Brok, CDU-Außenpolitiker im Europa-Parlament. „Wir müssen in den USA tätig werden – dieser Mann allein ist doch nicht die USA!“ Die EU müsse im Mittleren Westen und anderen US-Regionen mit starker Trump-Anhängerschaft in der Arbeiterschaft erklären, was offene Märkte tatsächlich bedeuten. Zum Beispiel, dass deutsche Hersteller wie VW, Mercedes oder BMW Autos in den USA fertigen und von dort exportieren.

    In den USA wurde Merkels Rede mit großer Aufmerksamkeit registriert. In den wichtigen Medien war sie eines der Aufmacherthemen und löste eine größere Debatte aus, die wiederum von einigen Kommentatoren als übertrieben bezeichnet wurde.

    „New York Times“: Merkel schaut über Trump hinaus

    „Merkel schlägt ein neues Kapitel der US-europäischen Beziehungen auf“, schrieb die „Washington Post“ und bescheinigte der Kanzlerin „eine düstere Auslegung der transatlantischen Bindungen, die das Fundament der Sicherheit des Westens in Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg waren“. Merkel habe sich eindeutig gegen Trump gewandt, so das Blatt: „Sie hat ihn glasklar zurückgewiesen, ohne ihn ein einziges Mal beim Namen zu nennen.“

    „Die Kanzlerin, Europas einflussreichste Anführerin, schaut bereits über Trump hinaus“, schrieb die „New York Times“. Erkennbar enttäuscht habe sie aus den Begegnungen beim G7-Gipfel geschlossen, dass die USA unter Trump ihrem Land und ihrem Kontinent nicht mehr der verlässliche Partner seien, an dem man sich früher wie automatisch orientiert habe.

    Die Kolumnistin Anne Applebaum schrieb auf Twitter: „Seit 1945 haben erst die UdSSR und dann Russland versucht, einen Keil zwischen Deutschland und die USA zu treiben. Dank Trump hat Putin es geschafft.“

    Der New Yorker Medienwissenschaftler Jeff Jarvis kommentierte Merkels Ansprache auf Twitter: „Dieses ist eine bedeutende Rede in der Restrukturierung der Weltmächte. Wer bei Sinnen ist, muss ein starkes Europa unterstützen, um Russland zu kontern – und Trump.“ (dpa/FMG)

    „Böse Deutsche“: Was hat Trump wirklich gesagt?

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