Erbil. Seit zwei Jahren trainiert die Bundeswehr Soldaten im Irak – zum Beispiel im Entschärfen von Sprengfallen. Funktioniert die Ausbildung?

In diesem Haus lauert überall der Tod. Unter der Fußmatte. Im Sofa. Im Kühlschrank. Im Topf auf dem Herd. Im Computer, der neben dem Fernseher steht. Eine falsche Bewegung, ein schriller Ton. Im wahren Leben wäre es jetzt vorbei. „Hier ist alles darauf angelegt, einladend zu wirken – und zu töten“, sagt Oberleutnant Stefan, der seinen Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht nennen kann. Das Haus steht auf einem Übungsgelände bei Bnslawa, eine Autostunde außerhalb Erbils, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak. Hier lernen kurdische Soldaten von der Bundeswehr den Umgang mit der tückischsten Waffe, die der sogenannte Islamische Staat (IS) in seinem Arsenal hat – Sprengfallen.

Seit Monaten sind die Dschihadisten in der Defensive. Noch liefern sie sich erbitterte Gefechte in der Millionenstadt Mossul 70 Kilometer westlich von Erbil. Wenn sie von dort vertrieben sind, wäre das Terrorkalifat im Irak so gut wie am Ende. Ein teuflisches Erbe aber bleibt. Sprengfallen und Minen. Immer wieder werden kurdische Soldaten auch nach dem Ende von Kampfhandlungen verstümmelt oder getötet, weil sie zu unvorsichtig sind. Die Zivilisten können vielerorts nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren.

Deutschland unterstützt die Kurden mit Waffen

Golat ist ein kleines Dorf in der Sindscharregion, in dem vor dem Vormarsch des IS im Sommer 2014 viele Jesiden lebten, Menschen, die von den Dschihadisten wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet werden. Im November 2015 eroberten Kurden das Dorf zurück, Zerevani, Einheiten der militarisierten Polizei. Eine exakte Kopie dieses Dorfes steht nun bei Bnslawa, mittendrin das Haus, das voller simulierter Sprengfallen ist. „German Village“ heißt der Komplex, das „deutsche Dorf“, weil es von der Bundeswehr errichtet wurde.

Deutschland hat die Kurden mit Waffenlieferungen unterstützt. Unter anderem wurden 30 Panzerabwehrlenkwaffensysteme des Typs Milan und 28.000 Schusswaffen – darunter 8000 moderne G36-Sturmgewehre – für den Kampf gegen den IS geliefert. Seit zwei Jahren bildet die Bundeswehr im Nordirak aber auch Zerevani und Peschmerga, die regulären kurdischen Soldaten, aus. 140 deutsche Soldaten sind derzeit im Nordirak im Einsatz.

Die Kurden können jetzt besser gegen IS-Selbstmordattentäter vorgehen

„Wir sensibilisieren hier in dem Haus für die Gefahren“, sagt Oberleutnant Stefan. „Sie sollen nicht einfach reinstürmen oder sich einfach aufs Sofa fallen lassen.“ Nach einem harten Gefecht, nach langen Stunden ohne Schlaf und Essen ist es verführerisch, in einem Haus in der Küche in den Kochtopf zu schauen oder sich aufs Bett zu werfen. Es kann aber tödlich sein. Draußen, an einem der Gebäude, in dem der Häuserkampf trainiert wird, steht eines der „Mad-Max-Fahrzeuge“, mit denen der IS früher Angst und Schrecken verbreitet hat. Ein Geländewagen, gepanzert mit dicken Stahlplatten, ausgestattet mit einem Rammsporn, gebaut, um als rollende Bombe in die Stellungen der Peschmerga zu fahren.

Seit die Kurden mit deutschen Milan-Raketen ausgestattet worden sind, können sie effektiv gegen diese Fahrzeuge vorgehen. Außerdem konnten viele der auffälligen Selbstmordvehikel aus der Luft gestoppt werden. Doch der IS ist erfinderisch. „In Mossul nutzen sie jetzt unauffälligere Fahrzeuge“, erzählt der Oberleutnant, „sie panzern sie innen, so können sie aus der Luft nicht mehr so schnell identifiziert werden.“ Durch die engen Straßen der Millionenstadt werden die Selbstmordattentäter per Funk und aus der Luft gelotst – mithilfe von Drohnen.

Die flüchtenden Kinder von Mossul

Der Blick dieses Kindes spricht Bände. So wie viele Kinder ist auch dieses irakische Mädchen mit seiner Familie auf der Flucht. Irakischen Streitkräfte versuchen, den Westteil Mossuls von der Terrormiliz IS zu befreien.
Der Blick dieses Kindes spricht Bände. So wie viele Kinder ist auch dieses irakische Mädchen mit seiner Familie auf der Flucht. Irakischen Streitkräfte versuchen, den Westteil Mossuls von der Terrormiliz IS zu befreien. © REUTERS | STRINGER
Kleiner Junge auf der Flucht.
Kleiner Junge auf der Flucht. © REUTERS | REUTERS / ZOHRA BENSEMRA
Geschwisterpaar auf der Flucht.
Geschwisterpaar auf der Flucht. © REUTERS | STRINGER
Der Kampf zur Vertreibung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus West-Mossul im Irak treibt Tausende Menschen und Kinder zur Flucht.
Der Kampf zur Vertreibung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus West-Mossul im Irak treibt Tausende Menschen und Kinder zur Flucht. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Trotz der schwierigen Situation schenkt dieses Mädchen dem Fotografen ein Lachen – ihre Puppe fest im Arm haltend.
Trotz der schwierigen Situation schenkt dieses Mädchen dem Fotografen ein Lachen – ihre Puppe fest im Arm haltend. © REUTERS | REUTERS / ZOHRA BENSEMRA
Dieses Mädchen nimmt eine kleine Pause vom Tragen eines Wasserkanisters. Sie hat es in das Flüchtlingslager Hamam al-Alil geschafft.
Dieses Mädchen nimmt eine kleine Pause vom Tragen eines Wasserkanisters. Sie hat es in das Flüchtlingslager Hamam al-Alil geschafft. © Carl Court
Ostern im Flüchtlingscamp.
Ostern im Flüchtlingscamp. © REUTERS | ARI JALAL
Ein Mitglied der schiitischen paramilitärischen Gruppe namens Abbas Division trägt einen kranken Jungen, der mit seiner Familie aus Mossul fliehen musste.
Ein Mitglied der schiitischen paramilitärischen Gruppe namens Abbas Division trägt einen kranken Jungen, der mit seiner Familie aus Mossul fliehen musste. © REUTERS | STRINGER
Fragende Blicke: Vertriebene Kinder warten auf einen sicheren Ort.
Fragende Blicke: Vertriebene Kinder warten auf einen sicheren Ort. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Warten am Maschendrahtzaun, ...
Warten am Maschendrahtzaun, ... © REUTERS | SUHAIB SALEM
... um Schutz in der Zeltstadt Hamam al-Alil im südlichen Mossul zu bekommen.
... um Schutz in der Zeltstadt Hamam al-Alil im südlichen Mossul zu bekommen. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Ohne Schuhe an den Füßen geht es durch kalten Matsch in eine ungewisse Zukunft.
Ohne Schuhe an den Füßen geht es durch kalten Matsch in eine ungewisse Zukunft. © REUTERS | REUTERS / ZOHRA BENSEMRA
Diese zwei Kinder freuen sich über eine warme Mahlzeit im Flüchtlingslager Hamam al-Alil im südlichen Mossul.
Diese zwei Kinder freuen sich über eine warme Mahlzeit im Flüchtlingslager Hamam al-Alil im südlichen Mossul. © REUTERS | MUHAMMAD HAMED
Jugendliche, die ihre Heimat verlassen mussten.
Jugendliche, die ihre Heimat verlassen mussten. © REUTERS | MUHAMMAD HAMED
Während in mehreren Teilen der Stadt gekämpft wird, sammeln sich die Flüchtenden vor den Toren Mossuls und werden von Hilfskräften aufgegriffen und betreut.
Während in mehreren Teilen der Stadt gekämpft wird, sammeln sich die Flüchtenden vor den Toren Mossuls und werden von Hilfskräften aufgegriffen und betreut. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Diese neun Kinder warten auf ihren Transport an einen sicheren Ort.
Diese neun Kinder warten auf ihren Transport an einen sicheren Ort. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Zwei der flüchtenden Kinder.
Zwei der flüchtenden Kinder. © REUTERS | Suhaib Salem
Auch dieser Junge und dieses Mädchen mussten ihr Zuhause verlassen.
Auch dieser Junge und dieses Mädchen mussten ihr Zuhause verlassen. © REUTERS | Suhaib Salem
In einem Bus geht es in ein Flüchtlingslager, ...
In einem Bus geht es in ein Flüchtlingslager, ... © REUTERS | SUHAIB SALEM
... um den Kindern und ihren Familien Schutz zu bieten.
... um den Kindern und ihren Familien Schutz zu bieten. © REUTERS | MUHAMMAD HAMED
Wie erklärt man diesem kleinen Mann, was gerade geschieht?
Wie erklärt man diesem kleinen Mann, was gerade geschieht? © REUTERS | SUHAIB SALEM
Kinderlachen im Zeltlager.
Kinderlachen im Zeltlager. © Carl Court
Ein kleines Mädchen steht vor einem kriegsbeschädigten Haus in West-Mossul.
Ein kleines Mädchen steht vor einem kriegsbeschädigten Haus in West-Mossul. © REUTERS | ZOHRA BENSEMRA
Diese zwei Jungs sitzen vor ihrem zerstörten Familienhaus.
Diese zwei Jungs sitzen vor ihrem zerstörten Familienhaus. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Inmitten von Trümmern sitzt dieses junge Mädchen in einem provisorischen Bearbeitungszentrum.
Inmitten von Trümmern sitzt dieses junge Mädchen in einem provisorischen Bearbeitungszentrum. © REUTERS | REUTERS / ZOHRA BENSEMRA
Einige Kinder sind durch die Kämpfe schwer verletzt worden.
Einige Kinder sind durch die Kämpfe schwer verletzt worden. © REUTERS | REUTERS / ZOHRA BENSEMRA
Kinder jeden Alters sind auf der Flucht.
Kinder jeden Alters sind auf der Flucht. © REUTERS | ZOHRA BENSEMRA
Auf Papas Schultern.
Auf Papas Schultern. © REUTERS | ZOHRA BENSEMRA
Die Kinder flüchten mit ihren Familien aus dem umkämpften Mossul.
Die Kinder flüchten mit ihren Familien aus dem umkämpften Mossul. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Diese Mutter kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Diese Mutter kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. © REUTERS | ZOHRA BENSEMRA
Für einen Moment scheint dieses Mädchen den Schmerz zu vergessen.
Für einen Moment scheint dieses Mädchen den Schmerz zu vergessen. © REUTERS | ARI JALAL
Doch natürlich sind auch die Kinder erschöpft und traurig.
Doch natürlich sind auch die Kinder erschöpft und traurig. © REUTERS | ARI JALAL
Diese Situation ereignete sich kurz vor Erreichen des Flüchtlingslagers Hamam al-Alil.
Diese Situation ereignete sich kurz vor Erreichen des Flüchtlingslagers Hamam al-Alil. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Warten auf den sicheren Weitertransport.
Warten auf den sicheren Weitertransport. © REUTERS | ZOHRA BENSEMRA
Manche Kinder in diesem Land haben noch nie erlebt, wie sich Frieden anfühlt.
Manche Kinder in diesem Land haben noch nie erlebt, wie sich Frieden anfühlt. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Man kann nur hoffen, dass die Kinder das Erlebte einigermaßen gut verarbeiten.
Man kann nur hoffen, dass die Kinder das Erlebte einigermaßen gut verarbeiten. © REUTERS | Suhaib Salem
Ein Blick in große dunkle Kinderaugen.
Ein Blick in große dunkle Kinderaugen. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Auch dieser kleine Junge musste sein Zuhause verlassen.
Auch dieser kleine Junge musste sein Zuhause verlassen. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Mit weit aufgerissenen Augen schaut dieses Kind in die Kamera.
Mit weit aufgerissenen Augen schaut dieses Kind in die Kamera. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Mit der Nuckelflasche und ...
Mit der Nuckelflasche und ... © REUTERS | SUHAIB SALEM
... dem Schnuller geht es auf einen Hilfstransporter.
... dem Schnuller geht es auf einen Hilfstransporter. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Auch die ganz Kleinen helfen mit.
Auch die ganz Kleinen helfen mit. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Kinder müssen hautnah Kämpfe zwischen der irakischen Armee und der Terrormiliz Islamischer Staat miterleben.
Kinder müssen hautnah Kämpfe zwischen der irakischen Armee und der Terrormiliz Islamischer Staat miterleben. © REUTERS | STRINGER
Flüchtende Kinder schützen sich mit Pappkartons vor dem schlechten Wetter.
Flüchtende Kinder schützen sich mit Pappkartons vor dem schlechten Wetter. © REUTERS | SUHAIB SALEM
Ein Kinderwagen wurde im Matsch zurückgelassen.
Ein Kinderwagen wurde im Matsch zurückgelassen. © REUTERS | SUHAIB SALEM
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Die perfide Fantasie der Terroristen ist grenzenlos

Noch immer scheint der IS genügend Menschen rekrutieren zu können, die sich freiwillig in die Luft jagen. „Kürzlich ist bei Mossul eine Ausbildungskaserne mit 40 Selbstmordattentätern entdeckt worden“, berichtet Ausbilder Stefan. „Die bereiten ihre Leute wochenlang durch Gehirnwäsche auf ihre Einsätze vor, bringen sie psychologisch bis kurz vor den Punkt, an dem sie bereit sind, sich umzubringen. Dann, direkt vor dem Einsatz, heben sie sie über den Punkt.“ Manchmal würden Attentäter allerdings auch an die Lenkräder ihrer Fahrzeuge gekettet. Oder die Fahrerkabinen zugeschweißt.

Auch beim Bau der Sprengfallen kennt die perfide Fantasie der Terroristen keine Grenzen. „Sie bauen mittlerweile die Parksensoren aus Fahrzeugen aus und nutzen sie, um Bomben zu bauen, die durch Bewegungen ausgelöst werden.“ Oft setzen sie Entschärferfallen ein: Handgranaten, die unter Minen platziert werden. Hebt ein Entschärfer die Mine an, geht die Handgranate los.

Ein Sprengmittelentschärfer bei der Bundeswehr lernt 110 Wochen

„Ich habe schon einige Kameraden verloren, anderen sind ihre Arme oder Beine weggesprengt worden“, erzählt Osman Omer Anwar. Er macht gerade einige Kilometer von Bnslawa entfernt, in Erbil, Pause im „Tiger Village“. Der kleine Mann mit dem schwarzen Schnurrbart ist seit 20 Jahren bei den Peschmerga. Seit dem 1. April bilden ihn Bundeswehrsoldaten aus, bringen ihm bei, wie man Sprengfallen entschärft. Das Tiger Village ist eine Wohnsiedlung, die nicht aus dem Rohbaustadium herausgekommen ist. Ideales Trainingsterrain für den Häuserkampf und die Sprengmittelentschärfung.

Einwohner flüchten aus Mossul

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    „Wir haben eigentlich Angst vor nichts“, sagt Osman, „aber vor den Sprengfallen fürchten wir uns.“ Ein Sprengmittelentschärfer bei der Bundeswehr braucht 110 Wochen, um komplett ausgebildet zu sein. Hier dauern die Kurse vier Wochen. Pures Basiswissen. Wie geht man mit Verwundeten um? Wie erkennt man Sprengfallen? Wie kann man sie markieren und entschärfen, ohne sich und andere zu gefährden? „Das Training hilft uns sehr“, sagt Osman. „Aber uns fehlt Ausrüstung – Spiegel, Schraubenzieher, Fahrzeuge, um die Verwundeten abzutransportieren.“

    Die deutschen Soldaten sind zufrieden mit ihren kurdischen Schülern, die sie nur „Peschis“ nennen. „Sie lernen schnell, sind motiviert“, sagt einer der Ausbilder. Allerdings dürfen die Deutschen selbst nicht mit hinaus in den Einsatz, um zu kontrollieren, was das Training in der Praxis bringt; das sieht der Einsatzbefehl nicht vor. „Wir bekommen aber ein positives Feedback von den Generälen. Ihre Leute überleben.“ Für die Zeit nach dem IS werden die Kurden das Erlernte noch lange anwenden können. Aktuell entschärfen sie 270 Bomben – am Tag.