Brüssel. Ein großer Wahltag in Europa: Italien stimmt über seinen Premier ab. Österreich könnte einen Rechtsaußen zum Bundespräsidenten wählen.

In normalen Zeiten wären es unspektakuläre Termine: Die Österreicher wählen ihr Staatsoberhaupt. Ein Amt mit begrenzten Befugnissen und mit Inhabern, die keiner kennt. Die Außenwelt hat es nur einmal wahrgenommen, als 1986 Kurt Waldheim Präsident wurde, der während des Zweiten Weltkriegs den Nazis dienstbar war. Und Italien? Da überholen sie ihre sperrige Verfassung nach den Vorstellungen des umtriebigen Premiers Matteo Renzi. Na und? Beides hätte jenseits der jeweiligen Landesgrenzen nur Spezialisten interessiert.

Doch die Zeiten sind nicht normal. Unzufriedenheit der Bürger und aggressive Vaterländlerei sind in Europa keine Randerscheinungen mehr. Die Volksabstimmung in den Niederlanden gegen das EU-Abkommen mit der Ukraine im Frühjahr und im Sommer das Votum der Briten für den Austritt aus der EU haben in Brüssel und den EU-Hauptstädten tiefe Verunsicherung hinterlassen.

Und nachdem die Amerikaner im November den lärmigen Anti-Politiker Trump zum Präsidenten kürten, scheint die Fortsetzung der schwarzen Serie fast logisch. Der Schuldenhochburg Italien droht der Bannfluch der Finanzmärkte, mit verheerenden Folgen für den Euro. Hier wie beim Nachbarn im Norden könnte das Wähler-Votum zu einem weiteren Schub für die Europa-Verächter werden.

271 Milliarden Euro fauler Kredite in Italiens Banken

Als realpolitisch schwerwiegendere der beiden Entscheidungen gilt die Abstimmung in Italien. Vordergründig geht es um einen Umbau des parlamentarischen Zweikammer-Systems. Mit Zutun Renzis ist jedoch das Votum zum Volksurteil über ihn selbst und seine Fähigkeit geworden, das Land zu reformieren und vor allem mit der großen Banken- und Schuldenkrise fertigzuwerden.

Nach dem Euro-Versorgungsfall Griechenland ist Italien der am zweithöchsten verschuldete EU-Staat und im Gegensatz zu den Hellenen ökonomisch ein dicker Brocken: die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, der fünfgrößte Industriestandort der Welt.

Schicksalswahl für Matteo Renzi

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    Doch das Wachstum ist schleppend, Flüchtlingskrise und Naturkatastrophen bedrücken die Gemüter, die großen Banken schleppen nach den jüngsten Zahlen der Europäischen Zentralbank (EZB) 271 Milliarden Euro fauler Kredite durch die Bücher.

    In dieser Bedrängnis schert sich der 41-jährige Renzi, vor zwei Jahren als Aufräumer und Umkrempler angetreten, nur noch wenig um die Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts. Zum Missfallen der Finanzmärkte, sie haben die Spur bereits aufgenommen.

    Die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen, Gradmesser der Nervosität, sind zuletzt wieder bedenklich geklettert und liegen mittlerweile wieder deutlich über dem, was die Bundesrepublik für ihre Schuldverschreibungen ausloben muss. Spekulationen über Italexit (oder Ixit), das Ausscheiden aus der Eurozone, schießen ins Kraut. Die Banca d’Italia warnt vor „außerordentlicher Volatilität“ der Märkte. Auf Deutsch: Absturzgefahr.

    Ex-Komiker Beppe Grillo könnte von der Wahl profitieren

    Die EZB hat wissen lassen, sie sei gerüstet, falls die Märkte nach einem „No“ zum Referendum verrückt spielen. Die Finanzminister der Euroländer beginnen am kommenden Montag ihre monatliche Zusammenkunft schon am Morgen, um nötigenfalls Krisenreaktionskräfte zu mobilisieren. Was genau wann passieren müsste, ist freilich angesichts großer Unübersichtlichkeit in Italien selbst nicht absehbar. So ist unklar, ob Renzi, wie er ohne Not erst signalisiert, dann wieder relativiert hatte, tatsächlich zurücktritt, falls sein Referendum scheitert. Zudem weiß keiner, in welchem Maß die Märkte das Risiko schon eingepreist haben.

    Die Horrorschleife sähe so aus: „No“, in den Umfragen vorn, gewinnt auch den Urnengang, Renzi tritt zurück, bei vorgezogenen Neuwahlen siegt die populistische und euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo. Die veranstaltet eine erfolgreiche Volksabstimmung pro Italexit – zugleich das wahrscheinliche Ende des Euro.

    Es gibt auch optimistischere Szenarien. Selbst wenn das Referendum scheitere, sei nicht alles verloren, argumentiert das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft. Denn „die wahrscheinlichen Turbulenzen an den Finanzmärkten werden der italienischen Wählerschaft die Risiken eines Votums für den Euro-Exit verdeutlichen“.

    Norbert Hofer liegt mit Alexander Van der Bellen gleichauf

    Präsidentschaftswahl in Österreich

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      Vergleichsweise überschaubar scheinen die Gefahren, falls die Österreicher den 45-jährigen Norbert Hofer im zweiten Anlauf zum Präsidenten machen und damit das erste EU-Land werden, das sich vom Vertreter einer Rechtsaußenpartei, der FPÖ, repräsentieren lässt. Hofer liegt Kopf an Kopf mit dem früheren Grünen-Chef Alexander Van der Bellen (72). Der hatte im Frühjahr Hofer knapp geschlagen, die Wahl muss wegen Unkorrektheiten wiederholt werden.

      Auf dem Weg nach rechts ist Österreich als EU-Pionier in unguter Erinnerung. Im Jahr 2000 bildete der Kanzler Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ und verschreckte damit die europäischen Partner. Sie verhängten über Wien eine Art diplomatischer Quarantäne, die indes ebenso erfolglos blieb wie Schüssels Versuch, die FPÖ durch Mitverantwortung zu entzaubern.

      Marine Le Pen vom Front National könnte Ende der EU sein

      Hofer, ein adretter Panorama-Lächler, bestreitet Absichten, als Präsident den EU-Austritt des Landes zu betreiben. Sein Sieg könnte aber Vorspiel eines richtigen Machtwechsels sein, mit dem wesentlich ruppigeren FPÖ-Chef Heinz Strache als Kanzler. Schon jetzt hat der Vormarsch der Rechten die etablierten Parteien mit deren Gedankengut infiziert, einschließlich europafeindlicher Ressentiments. Man dürfe die Kritik an der EU nicht der FPÖ oder dem französischen Front National überlassen, schwadroniert der sozialdemokratische Kanzler Christian Kern.

      Van der Bellens Hoffnung, Hofer ein zweites Mal zu schlagen, nährt sich ausgerechnet an der jüngsten Entwicklung in Frankreich, Ground Zero aller Untergangsängste der EU. Wenn dort im kommenden Frühjahr Marine Le Pen, Chefin des Front National, Präsidentin würde, wäre das nach allgemeinem Verständnis das Ende der EU. Der überraschende Aufstieg des konservativen Kandidaten François Fillon zum Favoriten hat indes gezeigt: Das muss nicht sein – auch wo der Wähler direkt entscheidet, gibt es die Chance, den Lauf der Rechten zu stoppen.