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Schluss mit der politischen Nationalmannschaft

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Henrik Jacobs ist Reporter in der Sportredaktion des Abendblatts.

Henrik Jacobs ist Reporter in der Sportredaktion des Abendblatts.

Foto: Marcelo Hernandez

Der DFB sollte aus der WM gelernt haben, dass sportlicher Erfolg nur möglich ist, wenn es vor allem um Sport geht. Ein Kommentar.

Frankfurt. Vor wenigen Wochen hat sich Joachim Löw nach langer Zeit mal wieder zu Wort gemeldet. Der Weltmeister-Trainer von 2014, von dem man seit seinem Rücktritt vor zwei Jahren kaum noch etwas gehört hat, sprach im Podcast „Spielmacher“ ausführlichüber die Gründe der zwei verpatzten Weltmeisterschaften 2018 und 2022. „Wir waren unglaublich blockiert“, sagte Löw über das Vorrunden-Aus vorfünf Jahren in Russland, das mit dem enttäuschenden 0:2 gegen Südkorea besiegelt war. Dasselbe frühe Schicksal ereilte Hansi Flick in Katar. „So etwas verträgt eine WM oder EM nicht“, sagte Löw.

Der langjährige Bundestrainer meinte mit diesenWorten nicht etwa eine Blockade gegen seine Spielidee oder die falsche Taktik von Flick. Löw sprach vom politischen Einfluss, der der deutschen Mannschaft bei beiden Turnieren den Fokus auf das Wesentliche genommen habe. 2018 war es das Foto von Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, das für eine Spaltung in der Mannschaft gesorgt habe, wie Löw es mit ein paar Jahren Abstand beschreibt.

Havertz fühlte sich überfordert

Vier Jahre später diskutierten die Spieler mehr über die passenden politischen Statements gegen die Menschenrechtslage in Katar oder die verbotene One-LoveBinde. Die Erwartungen an die deutschen Spieler waren viel zu groß. „Ich fühlte mich überfordert“, gab etwa Kai Havertz später zu.

An diesem Sonnabend kommt es nun zu einem Fußballspiel, das politisch kaum aufgeladener sein könnte, obwohl es eigentlich ein Freundschaftsspiel ist. Deutschland gegen die Türkei. In Berlin. Mit wahrscheinlich rund 30.000 Türken oder türkischstämmigen Fans im Olympiastadion. Ausgerechnet am Tag zuvorist Erdogan in der Hauptstadt bei Kanzler Olaf Scholz zu Besuch. Jener Erdogan, der die Terroristen der Hamas in dieser Woche wieder verharmlost und Israel als Terrorstaat bezeichnet hat. Währenddessen trifft Gündogan, 2018 noch stolz grinsend auf dem Foto mit Erdogan, erstmals in seiner Karriere auf die Türkei. Als Kapitän der DFB-Auswahl.

Gündogan steht vor schwierigem Interview

Es wird kein einfaches Interview sein, das Gündogan vor dem Spiel beim Rechte-Inhaber RTL geben wird. Jedes falsche Wort könnte dazu führen, dass die emotional aufgeheizte Stimmung in Deutschland weiter befeuert wird. Kann man von einem Fußballnationalspieler erwarten, dass er sich mit dieser Vorgeschichte zunächst zu dieser komplizierten politischen Gemengelage äußert und anschließend auf dem Platz die Leistung bringt, die Fußball-Deutschland von ihm erwartet? Nein, das ist zu viel der Erwartung.

Löw hat recht, wenn er sagt, dass sportlicher Erfolg nur möglich sei, wenn es vor allem auch um Sport geht. Das hat vor allem Weltmeister Argentinien in Katar gezeigt. In diesem Zusammenhang ist nun die DFB-Führung gefragt. In Katar hat sie die Nationalelf sportpolitisch ins offene Messer laufen lassen. Ein Vorwurf, den sich vor allem Präsident Bernd Neuendorf und der damalige DFB-Manager Oliver Bierhoff gefallen lassen müssen.

Das sollte hinsichtlich der Europameisterschaft 2024 in Deutschland nicht noch einmal passieren. Mündige und meinungsstarke Fußballer sind ganz sicher wünschenswert. Leon Goretzka ist an dieser Stelle als Positivbeispiel hervorzuheben. Man sollte von Spielern wie Gündogan, Leroy Sané oder Florian Wirtz aber nicht das erwarten, was Annalena Baerbock und Olaf Scholz nicht schaffen.

Politische Hoffnungen ruhen auf Rettig

Mit Andreas Rettig hat der DFB nun einen Mann an der Spitze, dem es gelingen kann, die wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten und die Fehlentwicklungen im Weltfußball rund um die grenzenlose Geldgier der Fifa oder das Sportswashing von Saudi-Arabien meinungsstark zu moderieren. Die Gesellschaft in Deutschland ist in diesen Zeiten schon gespalten genug. Da braucht es nicht auch noch eine politisch gespaltene Nationalmannschaft.

Der Fußball ist immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Was die Fußballfans in Deutschland bei der Heim-EM sehen wollen, ist eine Mannschaft, die mit ihrer Spielweise und ihrem Auftreten Spaß macht und eine Stimmung erzeugen kann, die das Land zumindest im Sport wieder vereinen kann. Oder anders ausgedrückt: Man sollte die Fußball-Nationalmannschaft einfach wieder eine FußballNationalmannschaft sein lassen.

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