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Krieg gegen die Ukraine: Frieden ist kein anrüchiges Wort

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Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der „Süddeutschen Zeitung“

Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der „Süddeutschen Zeitung“

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Allein mit Diplomatie ist Putins Krieg zu beenden, meint Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der „Süddeutschen Zeitung“.

Hamburg. Der Krieg in der Ukraine und die kriminelle Annexionspolitik Putins sind bittere Realität. Realität ist aber auch die Gefahr, dass dieser Krieg mit Worten und mit Waffen gefüttert wird, bis er platzt. Dann ist Hiroshima überall. Das wäre nicht die von Kanzler Scholz angekündigte Zeitenwende, das wäre das Zeitenende für Europa.

Der Einsatz von Atomwaffen durch einen sich gedemütigt fühlenden Putin wäre die Apokalypse, die der Philosoph Günther Anders vor 50 Jahren beschrieben hat: „Endzeit und Zeitenende“ hieß sein Buch, das die Friedensbewegung und die Grünen von damals prägte. Die Grünen von heute sagen: Wir dürfen uns von Putin nicht erpressen lassen. Das ist wohl wahr. Richtig ist aber auch: Wir dürfen uns nicht zerstören lassen. Ein Nuklearkrieg wäre das Ende des eurasischen Kontinents. Das ist heute nicht, wie es dem Philosophen Anders damals vorgeworfen wurde, ein katastrophisches Geschichtsdenken, sondern ein realistisches.

Das Werben von Diplomatie sei keine Parteinahme für Putin

Es ist fatal und unendlich töricht, dass hierzulande schon die Wörter „Waffenstillstand“ und „Frieden“ als anrüchig gelten, wenn sie im Zusammenhang mit dem Ukra­ine-Krieg gebraucht werden. Es ist fatal, wenn das Werben für eine diplomatische Offensive fast schon als Beihilfe zum Verbrechen bewertet wird. Für Diplomatie zu werben ist keine Parteinahme für Putin, sondern eine Parteinahme für die Vernunft. Wenn der ukrainische Präsident jegliche Verhandlungen mit Putin ablehnt, muss man das verstehen, aber ihm dafür nicht applaudieren. Die Ablehnung von Verhandlungen gehört zur psychologischen Kriegsführung Selenskyjs, gehört zur Autorität tapferer Selbstbehauptung und zum Mut der Verzweiflung.

Selenskyj hat nie gebettelt – sondern gefordert: um umfangreichste Waffenlieferungen, um ein Eingreifen der Nato, um die Aufnahme in der EU und in die Nato. Er muss das tun, weil er alles tun muss, um Putins Angriff abzuwehren. Und diese Forderungen führen ja auch dazu, dass vom Westen, auch von Deutschland, sehr viel mehr gewährt wird, als man dort eigentlich ursprünglich beabsichtigt hatte.

Es ist wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren

Es gibt einen berechtigten Zorn im Westen gegen Putin, aber trotzdem und gerade deswegen ist es wichtig, kühlen Kopf zu behalten. Wenn der Krieg weiter eskaliert, wenn der Einsatz von Nuklearwaffen sich realisiert – dann sind die letzten Dinge schlimmer als die ersten. Der Ukraine-Krieg ist kein Computerspiel; die atomare Gefahr ist konkret. Sie wird nicht von Leopard-Panzern abgewendet, sondern durch Verhandlungen. Es ist eine Menschheitserfahrung, dass Frieden gestiftet werden muss. Wo sind die Stifter? Das Stiften beginn mit Reden; und es darf nicht sein, dass Reden als von vornherein sinnlos erachtet wird. Ist es sinnvoller, den Krieg bis zum Platzen zu füttern?

Die dramatische Lage wird nicht dadurch entschärft, dass Diplomatie zum Unwort erklärt wird – wie es die wirrköpfige Twitter-Notiz von Minister Lauterbach und die Erklärungen des ukrainischen Noch-Botschafters Melnyk getan haben. Lauterbach hat geschrieben: „Was sollen denn jetzt Kniefälle vor Putin bringen? Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten. Es muss weiter konsequent der Sieg in Form der Befreiung der Ukraine verfolgt werden. Ob das Putins Psyche verkraftet, ist egal.“

So weit Lauterbachs dumme Twitterei. Nur den Satz „Wir sind im Krieg mit Putin“ hat Lauterbach zurückgenommen, alles andere nicht. Man würde sich wünschen, sein verstorbener Parteifreund Egon Bahr könnte Lauterbach die Leviten lesen. Lauterbach ist bekanntlich Chef eines Ministeriums, er redet aber wie ein Kneipenwirt. In seinem Amtseid hat er versprochen, das Wohl des Volkes zu mehren – nicht die Zahl der Klicks und der Fernsehauftritte.

Man ist kein Pazifist, wenn man für Verhandlungen und für einen Waffenstillstand wirbt. Man ist dann Realist.

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