Meinung
Meine wilden Zwanziger

Es ist nicht schwer, ein Alltagsheld zu sein

| Lesedauer: 5 Minuten
Annabell Behrmann
Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin des Abendblatts.

Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin des Abendblatts.

Foto: Thorsten Ahlf

Gerade in Zeiten wie diesen braucht die Welt mehr Liebe. Wer mit Freude bei der Sache ist, wirkt auf andere besonders anziehend.

Hamburg. Ich hatte das große Glück und durfte eine Woche lang nach Südtirol verreisen. In diesen Zeiten weiß man einen Urlaub noch mehr zu schätzen, als man es ohnehin sollte. Die Skier unter den Füßen zu spüren. Sie einfach laufen zu lassen.

Abzuschalten. In den Bergen erschien die Welt so friedlich. Dass sie es leider nicht ist, lässt sich aber nirgends ausblenden. „Und, was gibt es Neues von der Front?“, fragte abends ein Hotelgast an der Bar so selbstverständlich in die Runde, als würde er sich nach einem Fußball-Bundes­liga-Ergebnis erkundigen.

„Diese Welt braucht Liebe“

Während des Urlaubs habe ich ein Lied des deutschen Rappers Nico Suave und des Songwriters Teesy rauf und runter gehört. Es trägt den wunderbaren Titel: „Diese Welt braucht Liebe“. Wenn ich mir eine Botschaft aussuchen müsste, die ich in die Welt senden möchte, dann diese. Sie gilt immer, für jeden Menschen, für jeden Zipfel dieser Erde.

Gerade finde ich den Titel aber besonders passend – in einer Zeit, in der Millionen Menschen aus der Ukraine ihr altes Leben in Trümmern zurücklassen müssen und ein russischer Präsident den Befehl zum Morden gibt. In dem Song heißt es: „Es wird Zeit, dass sich all das Böse dem Ende neigt/ Bis man sich endlich wieder die Hände reicht/ Diese Welt braucht Liebe/ Und irgendeiner muss was tun/ Doch ich kann es nicht alleine/ Wo sind all die Helden hin?“

Hilfsbereitschaft für Geflüchtete ist überwältigend

Wo ich auch hinschaue, sehe ich Helden. Die Hilfsbereitschaft für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine ist überwältigend. Vorgestern habe ich mit einem Mann gesprochen, der ein achtjähriges Mädchen und seine Mutter und Oma bei sich im Haus aufgenommen hat.

Als er in seinem Freundeskreis von seinen neuen Mitbewohnerinnen erzählte, wurde er mit Geld- und Sachspenden überschüttet. Von diesen Beispielen gibt es unzählige mehr. Menschen, die an die ukrainische Grenze fahren, um Hilfsgüter zu übergeben und Geflüchtete in Sicherheit zu bringen. Menschen, die Neuankömmlingen beim Ausfüllen der Anträge helfen. Menschen, die Fremde an Bahnhöfen herzlich willkommen heißen.

Man begegnet im Alltag vielen Helden

Aber nicht nur der grausame Krieg hat Helden hervorgebracht. Im Alltag begegnet man so vielen, wenn man die Augen offen hält. Es gibt Menschen, die fühlen sich an wie Sonnenschein auf der Haut. Im Urlaub ist mir wieder einmal aufgefallen, was für eine Anziehungskraft jemand hat, der etwas mit Freude macht.

Für mich ist Petra so ein Mensch. Sie arbeitet seit Jahrzehnten als Skilehrerin. Man hört sie, bevor man sie auf der Piste sieht. Die Kinder lieben ihre laute, fröhliche Art. Egal ob es schneit oder die Sonne scheint, ob es früh am Morgen oder Nachmittag ist – sie scheint immer mit Energie und Leidenschaft bei der Arbeit zu sein. Auch ich durfte bei ihr mit drei Jahren das Skilaufen lernen. Früher hat sie nach dem Job Märchenbücher auswendig gelernt, um Kindern wie mir während der Liftfahrten Geschichten zu erzählen.

Ein Lächeln kann viel bewirken

Ich frage mich: Wie würde unsere Welt aussehen, wenn noch mehr Leute mit so viel Freude wie Petra bei der Sache wären? „Diese Welt braucht Liebe“ – es kann so einfach sein, sie zu geben. Manchmal reicht eine kurze WhatsApp-Nachricht oder ein Lächeln in der Bahn aus, um jemandem den Tag zu versüßen.

Eine ähnlich positive Ausstrahlung hat auf mich die nette Supermarkt-Kassiererin, die häufig eine Spange mit HSV-Emblem in den Haaren trägt. Sie ist immer freundlich, wünscht jedem Kunden zum Abschied „einen schönen Tag und ganz viel Gesundheit“. Wenn sie an der Kasse sitzt, stelle ich mich extra bei ihr an. Das scheinen andere Kunden ebenfalls zu machen – bei ihr ist die Schlange meistens am längsten. Aber der nette Small Talk ist es mir wert, ein paar Minuten länger zu warten.

Alltagshelden gibt es überall

Vor Zahnarztterminen fürchte ich mich nicht mehr, weil das Praxisteam so unglaublich sympathisch und fröhlich ist. Es erleichtert einem selbst den Gang zur Wurzelbehandlung. Das waren nur ein paar wenige Beispiele für Alltagshelden nach meiner Definition, denen ich in letzter Zeit begegnet bin.

Es gibt sie überall, oft gehören sie zur eigenen Familie oder zum Freundeskreis. Und das Beste daran ist: Es ist nicht schwer, selbst einer zu sein. Dafür muss man keine Ausbildung absolviert, nicht studiert haben. Oft genügt es, einfach, anderen mit Offenheit zu begegnen.

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