Vielleicht ist es ja angesichts der aufgeregten Debatten über Öffnungsschritte, Lockerungen und Stufenpläne nicht mehr allen gleichermaßen präsent, dass wir selbst es in erster Linie sind, die den Verlauf der Pandemie bestimmen. Durch unser eigenes Verhalten. Und dazu zählt auch: Nicht alles, was nun wieder erlaubt ist, muss man auch machen.
Wenn von Montag an die Einzelhandelsgeschäfte vor den Toren der Stadt in Schleswig-Holstein wieder öffnen, hindert niemand die Hamburger daran, in Pinneberg, Norderstedt oder Ahrensburg einzukaufen. Gott sei Dank, muss man hinzufügen, denn dass die Schlagbäume sich senken, hatten wir in dieser Corona-Krise ja schon einmal. So verständlich die freudige Konsumerwartung nach Monaten des Verzichts ist, so stellt sich aber doch die Frage, ob das grenzüberschreitende Shoppen vernünftig ist. Zweifel sind angebracht, denn noch immer gilt das oberste Prinzip der Pandemiebekämpfung: Kontakte reduzieren!
Schnelltestangebot wäre ein wichtiger Baustein
Die Lage ist extrem unbefriedigend, wer wollte das bestreiten. Die Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben dem starken öffentlichen Druck, der ja manchmal auch ein gefühlter ist, nachgegeben und die ersten deutlichen Öffnungsschritte beschlossen. Das ist aus zwei Gründen zu diesem Zeitpunkt widersinnig. Erstens sind die Zahlen der Neuinfektionen nicht wirklich rückläufig, und die Ausbreitung der Virus-Mutationen lässt eher einen erneuten Anstieg befürchten. Diesen Widerspruch haben die Regierungschefs und -chefinnen mit der Abkehr vom strengen unteren Grenzwert 35, der noch vor drei Wochen galt, für die Sieben-Tage-Inzidenz zu lösen versucht. Nicht sehr überzeugend.
Noch gravierender ist der zweite Punkt: das bisherige, geradezu blamable Scheitern der nationalen Impfstrategie mangels Impfstoff, zu der nun eine ähnliche Situation bei der Versorgung der Bevölkerung mit Schnelltests hinzukommt. Wenn die Läden am Montag öffnen – auch in Hamburg ist das ja, wenn auch sehr eingeschränkt, der Fall –, dann wäre ein funktionierendes Schnelltestangebot ein wichtiger Baustein für mehr Sicherheit in der Pandemie. Davon kann keine Rede sein, und so passt das eine nicht zum anderen.
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Verantwortungsbewusste Händler müssen glücklicherweise ja nur ihre Hygiene- und Abstandspläne aus der Schublade holen, um für ein möglichst virenfreies Einkaufserlebnis zu sorgen. Kann also sein, dass es gut geht – kann aber auch sein, dass schon in wenigen Tagen oder Wochen wieder die Notbremse gezogen werden muss, weil die Sieben-Tage-Inzidenz den (derzeit) gültigen oberen Grenzwert von 100 überschritten hat. Auch hier gilt: Wir haben es selbst in der Hand.
Stufenpläne schaffen Ungerechtigkeiten
Die jetzt beschlossenen inzidenzbasierten Stufenpläne, die das Licht am Ende des Pandemie-Tunnels größer werden lassen sollen, schaffen Ungerechtigkeiten. Das war von Beginn an klar. In der Metropolregion Hamburg ist das besonders deutlich zu spüren. Hier ist ein Geschäft nur für Terminshopping (und für viele Inhaber kaum praktikabel) geöffnet, ein paar Hundert Meter weiter gilt fast schon freier Ein- und Verkauf, weil die Inzidenz im Land niedriger ist.
Das ließe sich nur ändern, wenn die Metropolregion politisch gelebt und nicht nur in Sonntagsreden beschworen würde. Dann wären Hamburg und die Umlandkreise eine Einheit, die sie für die Menschen im täglichen Leben ja ohnehin ist. Aber dass sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit Hamburg über die Ladenöffnungen abstimmt, ist ebenso realitätsfern wie die Annahme, Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) würde im umgekehrten Fall in Kiel anrufen.
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