So viel Beifall für Besetzer gibt es nicht alle Tage: Als vor genau zehn Jahren rund 200 Künstler unter der Schirmherrschaft von Daniel Richter die kümmerlichen Reste des Hamburger Gängeviertels besetzten, überwog in der Öffentlichkeit die Zustimmung. Das hatte gleich mehrere Gründe: Die kreative wie gewaltfreie Besetzung wirkte ganz anders, als viele Hamburger sie aus unseligen Hafenstraßen-Zeiten noch erinnerten.
Sie betraf ein Stück Kern-DNS der Neustadt, nämlich die Keimzelle zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Speckstraße, ein Stück Alt-Hamburg, das seit Jahren Spekulation und Verfall preisgegeben worden war. Und die Besetzer stießen eine Debatte an, die seitdem Hamburg beschäftigt: Wem gehört die Stadt? Nimmt die Stadtentwicklung alle relevanten Gruppen in den Blick? Und welche Freiräume benötigt und bekommt die Künstlerszene?
Hamburg: Wem gehört die Stadt?
Diese Fragen sind bis heute so wenig abschließend geklärt wie 2009 – aber inzwischen suchen widerstreitende Interessengruppen häufiger nach gemeinsamen Lösungen. Die Planung des Paloma-Viertels auf St. Pauli etwa ist ein solcher Kompromiss, nicht immer einfach, nicht immer preiswert, aber doch eine vorbildliche soziale Stadtteilentwicklung. Sperrig waren auch die Verhandlungen mit den Gängeviertel-Bewohnern über die Zukunft des Quartiers – mitunter mischten sich dreiste Forderungen unter berechtigte Wünsche.
Erst im Juni 2019 konnte sich der Senat endlich mit der Gängeviertel-Genossenschaft einigen. Aber die Mühe hat sich gelohnt. Noch vor zehn Jahren waren der Teilabriss und die Luxussanierung des Gängeviertels geplant – dort, wo sich heute ein Stück Hamburger Geschichte in die Gegenwart gerettet hat, stünde wohl austauschbare Renditearchitektur. Stattdessen hat Hamburg dort nun ein Künstlerviertel.
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