Hamburg. Erfahrene Nachhaltigkeitsexperten der Hamburger Zivilgesellschaft erleben gerade ein Déjà-vu. Es geht um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Uno von 2015. Und um die Frage: Hält der Senat, was er verspricht?
Schon 1998 versprach der Senat nach Unterzeichnung der Aalborg-Charta eine „Lokale Agenda 21“, eine Strategie zur partizipativen Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung. 2001 verlief sie endgültig im Sande.
2005 veröffentlichte der Senat im Rahmen der wachsenden Stadt einen „Monitor“ mit Indikatoren auch zur „Sicherung der Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit (= Nachhaltigkeit) der Stadt“. Schon 2008 gab es den Monitor nicht mehr. Stattdessen aber einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag mit dem Ziel einer „lokalen Nachhaltigkeitsstrategie“. Auch daraus wurde nichts: Die Koalition zerbrach 2010 ohne Vorarbeiten für eine Strategie.
Kurz vor G20: Senat beschließt umfassende Agenda
Und dann die „Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Hamburg“, nachzulesen in der 36 Seiten starken Senatsdrucksache 21/9700 vom 4. Juli 2017. Drei Tage später beginnt der G-20-Gipfel in Hamburg. Auf der Tagesordnung steht die „Agenda 2030“ der Uno von 2015 – eine kraftvolle, ja pathetische Vision mit vielen konkreten Nachhaltigkeitszielen zur Transformation der Welt in eine bessere Zukunft. Es geht um die Halbierung der Armut, gesundes Leben, Abbau von Ungleichheit, bezahlbaren Wohnraum, Klimaschutz, Gleichstellung, Inklusion, Bildung und vieles mehr – in allen Ländern, bis 2030. Das Kürzel „SDG“ (sustainable development goals, nachhaltige Entwicklungsziele) macht die Runde.
Vor diesem Hintergrund beschließt der Hamburger Senat also unmittelbar vor dem G-20-Gipfel, die Uno-Agenda 2030 in Hamburg umzusetzen. Anders als die Verwaltung hatten sich zuvor bereits viele Akteure der Zivilgesellschaft mit den SDG befasst. 2016 gründeten sie den „Hamburger Ratschlag“ zu ihrer Umsetzung, forderten ein Staatsziel „nachhaltige Entwicklung“ in der Verfassung. Sie wunderten sich, dass der Senat in seiner Drucksache fast nur Projekte des laufenden Regierungsprogramms als SDG-Projekte herausstellte. Die 2030-Perspektive fehlte. Dennoch schöpften sie Hoffnung: Der Senat kündigte an, „alle interessierten Hamburgerinnen und Hamburger über die SDG zu unterrichten“, ein begleitendes zivilgesellschaftliches Gremium einzusetzen, neue Partizipationsformen auszuprobieren.
Hamburger nicht über Ziele informiert
Als zentrales Element sollte ein Monitoring- und Berichtssystem mit Zielen und Indikatoren für die SDG-Umsetzung entwickelt und ein städtisches Transformations-Tool mit Pilotanwendungen erarbeitet werden. Und das alles bis Ende 2018, innerhalb von 18 Monaten. Schon diese Zeitvorgabe und mehr noch die Tatsache, dass für dieses große Transformationsvorhaben weder finanzielle Mittel noch personelle Kapazitäten bereitgestellt wurden, dämpften die Hoffnung.
Bis heute hat der Senat zwar das Begleitgremium installiert, die Hamburger Bevölkerung aber darüber hinaus nicht über die Uno-Nachhaltigkeitsziele unterrichtet oder gar breit an ihrer Umsetzung beteiligt. Weder Bürgerschaftsabgeordnete noch Medien fragen nach. Weitsicht, langfristige Perspektiven und Visionen sind in Hamburg wohl tatsächlich etwas für den Arzt …
Steht der Senat noch hinter seinen großen Worten? Was will Hamburg bis 2030 in den SDG-Handlungsfeldern erreichen – eine Reduktion der CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990? Eine Halbierung der Armutsgefährdungsquote? „Netto-Null“ Flächenverbrauch? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Mit welchen Maßnahmen könnte man die Ziele erreichen?
Die inhaltliche Debatte zu den SDG hat noch gar nicht begonnen. Bei allem Engagement der Behördenvertretern: Was in 20 Monaten mühsam auf Kiel gelegt wurde, wird in elf Monaten nicht vom Stapel laufen. Dann sind Bürgerschaftswahlen. Und dann gibt es wieder ein neues Regierungsprogramm. Ein Déjà-vu für die Erfahrenen. Und für die vielen jüngeren, ungeduldigen Menschen in Hamburg, die Fridays-for-Future- Teenager, die sich sehr grundsätzliche Sorgen um die Zukunft des Planeten und ihrer Generation machen.
Sollte allerdings 2020 Rot-Grün weiterregieren – und danach sieht es ja aus –, dann könnte es jedenfalls theoretisch einmal anders ausgehen mit den großen Nachhaltigkeitsversprechen als 2001, 2008 und 2011.
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