Berlin. Frank Plasberg diskutierte über die Folgen und Kosten der Klimakrise. Förster Peter Wohlleben hatte dabei Überraschendes zu sagen.

Als Mitte Juli das Hochwasser durch ihr Wohnzimmerfenster drückte, glaubte sich Dagmar Hoffmann im falschen Film: Binnen Minuten war ihr Haus vollgelaufen wie die Häuser aller ihrer Nachbarn in Schuld im Ahrtal. Nun, drei Monate später, sind die schlimmsten Flutschäden zwar beseitigt, wie das mit mehr als sieben Minuten ungewöhnlich lange Reportage-Video zeigte, mit dem "Hart aber fair" an diesem Montag begann. Aber an der Gefahr, dass sich beim nächsten Starkregen die Katastrophe wiederholen könnte, hatte sich nichts geändert.

Aufgeben oder wegziehen war für Dagmar Hofmann keine Option, sie wünschte sich vor allem Normalität. Wie aber konnte sie selbst zum Klimaschutz beitragen: Die Solarzellen passten nicht auf das zu kleine Dach ihres alten Fachwerkhauses. Und zur Arbeit nach Köln pendelte sie weiterhin täglich 150 Kilometer mit einem Verbrenner, weil mit öffentlichen Verkehrsmitteln der Weg nicht zu schaffen war. Und in der Umgebung ebenso Möglichkeiten fehlten, ein E-Auto aufzuladen.

"Das waren die Dinge, die das Leben der Menschen bestimmen", stellte Frank Plasberg, ganz ihr Anwalt, fest. Während die Präsidenten der Welt bei der Weltklimakonferenz in Glasgow um globale Lösungen zur Eindämmung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad rangen, versuchte er bei "Hart aber fair" einen echten Realitätscheck: Geht Klimaschutz ohne Verzicht für alle? Wie hart werden die Maßnahmen werden, wo die Energiepreise doch jetzt schon durch die Decke gehen?

"Hart aber fair": Diese Gäste waren am Montag dabei:

  • Peter Wohlleben, Förster und Buchautor
  • Carla Reemtsma, Sprecherin von "Fridays for Future"
  • Anne Spiegel, Politikerin (Bündnis 90/Grüne)
  • Sebastian Lachmann, Industriekaufmann
  • Dorothea Siems, Wirtschaftsjournalistin, Chefökonomin der "WELT"

In Zukunft drei Mal so viele Flussüberschwemmungen

Das war ein cleverer Schachzug, die von allen Klimaschützern ersehnte große Transformation auf ein konkretes Beispiel herunterzubrechen. So wurde deutlich, fast spürbar, wie riesig die Anstrengung tatsächlich werden müssen, um zu verhindern, dass es nicht noch schlimmer kommt, als ohnehin prognostiziert. Ein Einspieler zeigte: Ein Kind, das 2021 auf die Welt kommt, wird im Verlauf seines Lebens drei Mal so viele Überschwemmungen erleben wie ein heute 60-Jähriger, sieben Mal mehr Hitzewellen und mindestens doppelt so viele Dürren.

Stellenweise hitzig war die Debatte bei "Hart aber fair" an diesem Montag durchaus, aber nicht unbedingt aufbauend. Carla Reemtsma, 23 Jahre alte Klima-Aktivistin und Sprecherin von "Fridays for Future", sah zumindest keine Alternative, als die "Last der Eindämmung der Klimaerwärmung" auf ein "für die Weltgesellschaft" erträgliches Maß zu verteilen.

FFF-Aktivistin fordert: Konsequenten Klimaschutz sofort

Es blieben nur noch wenige Jahre, um Deutschland klimaneutral zu machen. Um in Zukunft noch mehr solcher Schicksale wie im Ahrtal zu vermeiden, gelte es, sofort konsequente Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen: Kohleausstieg, Stopp des Autobahnausbaus, Streichung der Subventionen für fossile Brennstoffe. Dass die Strom- und Benzinpreise aktuell spürbar stiegen, war vor allem die Folge einer bisher verschleppten Klimapolitik, analysierte Reemtsma. "Wir müssen weg von dem Reflex, dass Klimaschutz nur alles teuer macht."

Richtig wütend wurde sie aber, als Bergbau-Industriekaumann Sebastian Lachmann zu bedenken gab, dass heute die Hälfte des Energiebedarfs noch durch konventionelle Energieträger gedeckt werde. Wer aus Kohle und Gas aussteigen wolle, müsse erst Ersatz schaffen, solle die Fernseh-Mattscheibe nicht dunkel bleiben. Da warf die ihm vor, "Schauermärchen vom Blackout" zu erzählen. Mehr zum Thema: Energiewende – So viele Unternehmen würden in Ökostrom investieren

Transformation einer ganzen Landschaft

Dabei sah Lachmann, der das Haus seiner Großmutter an den Braunkohle-Abbau in der Lausitz verloren hatte, seine Positionen gar nicht so weit von denen Reemtsmas entfernt. Schließlich sei auch er für den Kohleausstieg – allerdings erst 2038, wie bereits beschlossen. Es gehe dabei auch um "die Transformation einer ganzen Landschaft", begründete er. "Wir müssen reden und gemeinsame Schnittmengen finden", erneuerte er sein Angebot, mit "Fridays for Future" zu diskutieren, wie und in welchem Tempo die Energie-Transformation tatsächlich gelingen sollte.

Anne Spiegel, Grünen-Ministerin in Rheinland-Pfalz und mit "Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität" zuständig für alle Themen, die in dieser "Hart aber fair"-Sendung eine Rolle spielten, setzte vor allem auf den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien. Selbst der BDI wäre inzwischen für einen vorgezogenen Kohleausstieg, berichtete sie und beobachtete bei den Industrievertretern eine "enorme Aufbruchsstimmung": "Die Wirtschaft braucht nur noch politische Rahmenbedingungen", auf die sie sich verlassen konnte.

Dorothea Siems, Chefökonomin der "Welt", befürchtete dagegen, dass das Land seinen Wohlstand verlieren werde, sobald die "Powerhäuser" der Autoindustrie – in Wolfsburg und in Süddeutschland – bei einem Verbrenner-Verbot ersatzlos wegfielen: "Glauben Sie wirklich, dass das ohne soziale Verwerfungen abgehen kann?"

Die nächsten 40 Jahre werden schlimmer

Sie war die Einzige in der Runde, die die Notwendigkeit eines schnellen Umbaus bezweifelte und auf die Bremse trat, sobald ein Vorschlag kam, inwieweit sich ein einzelnes Land von fossiler Energie unabhängiger machen konnte: "Weltweit steigen die Emissionen", erklärte sie. Die Katastrophen der nächsten 30, 40 Jahre würden schlimmer werden, der Einzelne könne nichts dagegen tun. "Wir sollten uns besser an diese Bedingungen anpassen", schlug sie vor. Weiterlesen: Merkel beim COP26: "Sind nicht da, wo wir hinmüssen"

Da wunderte es wenig, dass Peter Wohlleben der Wirtschaftsjournalistin "altes Denken" vorwarf. Der wohl bekannteste Förster Deutschlands und Buchautor sah die Lösung für kommende Energieprobleme vor allem in der dezentralen Energieversorgung – und nicht zuletzt durch Energieeinsparungen. Mehr zum Thema: COP26: Was Sie über die UN-Klimakonferenz wissen müssen

CO2-Speicher Wald: Förster räumt mit Irrglaube auf

Nur neue Bäume zu pflanzen bringe nichts, sagte er zur Überraschung aller Talk-Gäste bei "Hart aber fair". Im Gegenteil: "Eine frisch gepflanzte Aufforstung gast in den ersten Jahrzehnten mehr CO2 aus dem Boden aus als sie aufnimmt", erklärte er. Bäume extra zu pflanzen wäre daher "reines Green-Washing." Das könnte Sie interessieren: Klimakonferenz in Glasgow: Das sind die wichtigsten Themen

Erst ein intakter, alter Laubwald – wie seiner im Kreis Ahrweiler – könnte die Aufgabe als idealer Klimakühlschrank erfüllen. Deshalb warb er dafür, insgesamt weniger Holz zu verbrauchen und zum Bauen eher energiefressenden Beton zu verwenden: "Wir verfeuern in Deutschland die Hälfte unseres Holzverbrauchs", erregte er sich, aber auch die langlebigen Holzprodukte hielten sich nur 34 Jahre im Wirtschaftskreislauf. Dagegen: "In europäischen Urwäldern werden Bäume locker 500 Jahre alt – solange können wir das in Produkten gar nicht speichern."

"Hart aber fair": Das waren die vergangenen Sendungen