Essen. „Das schweigende Klassenzimmer“ bekommt die gnadenlose Politik der DDR zu spüren. Der neue ZDF-Film beruht auf wahren Begebenheiten.

Es hätte nur ein aufregendes Abenteuer pubertierender Jugendlicher sein sollen. Deutschland 1956, fünf Jahre vor dem Mauerbau: Theo Lemke (Leonard Scheicher) und Kurt Wächter (Tom Gramenz), Abiturienten aus dem ostdeutschen Stalinstadt, besuchen das Grab von Theos Großvater in West-Berlin.

Nur um sich anschließend am Ku’damm den heißdiskutierten Spielfilm „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“ mit einer leicht geschürzten Marion Michael ansehen zu können. Doch bevor die verlockenden Bilder gezeigt werden, berichtet die „Wochenschau“ in beklemmenden Aufnahmen vom Aufstand der Ungarn gegen die sowjetischen Besatzer.

Unterschiedliche Berichterstattung

Insbesondere Kurt ist von dem verzweifelten Kampf junger Menschen um Demokratie und Meinungsfreiheit tief berührt. Zurück in der DDR, teilen sie ihre Eindrücke und Empfindungen mit den Klassenkameraden. Und sie werden mit der unterschiedlichen Berichterstattung in Ost und West konfrontiert. Die pro-sowjetischen DDR-Medien verurteilen die Proteste in Budapest als faschistische, westgesteuerte Konterrevolution aufs Schärfste.

Der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor), den die Schüler regelmäßig bei einem Großonkel (der am 22. September verstorbene Michael Gwisdek) ihres Klassenkameraden Paul (Isaiah Michalski) hören, berichtet positiv über die bürgerlich-demokratische Bewegung, die brutal niedergeschlagen wird. Auch Ferenc Puskás, der legendäre Kapitän der ungarischen Fußball-Nationalmannschaft, soll zu den Todesopfern gehören.

Theo (Leonard Scheicher), Lena (Lena Klenke) und Kurt (Tom Gramenz, r.) in “Das schweigende Klassenzimmer.“
Theo (Leonard Scheicher), Lena (Lena Klenke) und Kurt (Tom Gramenz, r.) in “Das schweigende Klassenzimmer.“ © ZDF und JULIA TERJUNG

Als der RIAS zu einer Schweigeminute aufruft, sind Kurt, Theo und Freundin Lena (Lena Klenke) von der Idee begeistert. Nach einer kontroversen Diskussion überzeugen sie ihre Klassenkameraden, während des Unterrichts ebenfalls ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Doch der DDR-Staatsapparat schlägt gnadenlos zurück. Am Ende wird die gesamte Klasse der Schule verwiesen, niemand wird jemals im Arbeiter- und Bauernstaat Abitur machen können. Auf Theos Rat nutzen alle Schüler bis auf vier den unübersichtlichen Festtagsverkehr beim Jahreswechsel 1956/57 zur Republikflucht und legen ihr Abitur im Westen ab.

Wahre tragische Konflikte

Das als TV-Premiere gezeigte Drama „Das schweigende Klassenzimmer“ erzählt eine schier unglaubliche Geschichte und beruht doch auf tatsächlichen Ereignissen. Der 2018 verstorbene Autor Dietrich Garstka, der nach Flucht und Studium unter anderem als Gymnasiallehrer und VHS-Dozent in Essen lebte und arbeitete, veröffentlichte 2006 sein gleichnamiges Protokoll der dramatischen Ereignisse und der tragischen Konflikte, die tief in die Elternhäuser getragen wurden.

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Lars Kraumes feinfühlig fürs Kino inszenierte, in der Essener Lichtburg uraufgeführte Adaption führt tief in den realsozialistischen Alltag der 1949 ausgerufenen DDR. Von der Buchvorlage weicht „Das schweigende Klassenzimmer“ nur in einem Punkt ab. Garstkas Schule stand tatsächlich in Storkow; Handlung und Dreharbeiten wurden nach Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, verlegt, weil dort mehr Bausubstanz der Zeit erhalten geblieben ist.

  • „Das schweigende Klassenzimmer“ läuft am Dienstag, 13. Oktober, um 20.15 Uhr bei ZDF.